"Datenkraken" sitzen vielerorts

Bürgerrechtler vergeben "Big-Brother-Award" an Politiker, Unternehmen und Polizei als Warnung vor zu viel Überwachung

Von Karl-Otto Sattler (Freiburg) und Sigrun Müller-Gerbes (Bielefeld)

ass sich der Bundesrat, das Unternehmen Bayer, das Bundeskriminalamt oder einer der Innenminister Volker Bouffier (Hessen) und Fritz Behrens (NRW) über diese Ehrung freuen, ist unwahrscheinlich: Sie alle sind Preisträger des "BigBrother-Award", den Bürgerrechtsgruppen am Freitag zum dritten Mal als "Negativ-Preis" für Protagonisten der Überwachungsgesellschaft vergeben haben.

"Datenkraken" nennen die Organisatoren des Award ihre Preisträger. Zu den Preisverleihern gehören der "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (Foebud) aus Bielefeld, die Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD), der Chaos Computer Club und die Humanistische Union.

Der Bundesrat erhält den Big-Brother-Award für seinen Beschluss vom Mai, die Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen zur Speicherung der Verbindungsdaten aller Nutzer auf unbestimmte Dauer zu verpflichten. So sollen Polizei und Geheimdienste nachträglich ermitteln können, wer via Telefon, Fax, E- Mail und Internet mit wem in Kontakt getreten ist. Aus Sicht von DVD-Präsident Thilo Weichert, Vize-Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein, ist diese "Vorratsdatenspeicherung" der gesamten Bevölkerung "verfassungsfeindlich".

"Demütigend" nennt Rena Tangens von Foebud die Praxis der Firma Bayer, Auszubildende vor der Einstellung einem Drogen-Urintest zu unterziehen. Dieses Vorgehen, so die Bürgerrechtlerin, ziele darauf ab, die Persönlichkeit der Betroffenen auch in deren Privatsphäre in den Griff zu nehmen "nach dem Motto, vor der Firma gibt es keine Geheimnisse". Der Arbeitssicherheit dienten diese Tests nicht, denn harte Drogen wie Heroin oder Kokain seien schon nach ein bis zwei Tagen nicht mehr im Urin nachweisbar. Dies sei lediglich bei Cannabis der Fall, dessen Genuss in kleinen Mengen nicht bestraft wird.

Die auch von Telekom und Daimler Chrysler getragene Firma Toll Collect bekommt die Anti-Auszeichnung, weil sie im Auftrag der Regierung auf den Autobahnen ein satellitengestütztes System zur automatisierten Ermittlung und Kontrolle der Lkw- Maut aufbaut. Die lückenlose Feststellung der Position und der Fahrtrouten von Lastwagen stelle eine neue Dimension der Überwachung der Verkehrsteilnehmer dar, so die Kritik.

Der Düsseldorfer Innenminister Fritz Behrens (SPD) erhält den Big-Brother-Preis, weil er die Verankerung der Videoüberwachung öffentlicher Plätze im Polizeigesetz des Landes betreibt. In der Laudatio für seinen hessischen Kollegen Volker Bouffier (CDU) heißt es: "Sie haben die vom Gericht verbotene Rasterfahndung per Gesetzesnovellierung quasi durch die Hintertür wieder eingeführt." Das BKA wird geehrt wegen der Dateien, in denen linke, rechte und ausländische "Gewalttäter" auf Jahre gespeichert sind. Erfasst würden, so die Kritik, indes nicht nur strafrechtlich Verurteilte: Registriert würden nach vagen Verdachtskriterien auch Personen, die nie gewalttätig waren.

Der "Lifetime-Award", der Preis für das Lebenswerk also, gebührt nach Ansicht der Juroren dem Konzern Microsoft. Schon mehrfach habe das Unternehmen "preiswürdige" Produkte auf den Markt gebracht. Die kürzlich unter dem Namen "Palladium" angekündigte Innovation des PC-Betriebssystems Windows aber sei besonders bedenklich. Das Gerät blockiert einfach, sobald ein Nutzer auf Inhalte zugreifen will, die "Palladium" als geschützt definiert hat, etwa urheberrechtlich geschützte Musik oder Programme.

Frankfurter Rundschau, 26. Oktober 2002
Original: http://www.fr-aktuell.de/fr/101/t101003.htm