"Big-Brother-Award" für die Lkw-Maut

Bürgerrechtler kritisieren die automatische Registrierung der Laster als Instrument zur lückenlosen Überwachung

Die geplante Lkw-Maut in Deutschland sorgt derzeit nicht nur bei Politikern in Berlin und Brüssel für Diskussionen. Auch Bürgerrechtler sehen der Maut-Einführung mit Sorge entgegen. Sie befürchten, dass die automatische Registrierung der Fahrzeuge mit Satelliten- und Kameraerfassung einer lückenlosen Überwachung von Reisenden Tür und Tor öffnet.

Von Karl-Otto Sattler (Freiburg)

"Das ist eine Zäsur in der Menschheitsgeschichte." Im Urteil über die Konsequenz der Lkw-Maut auf deutschen Autobahnen sind sich Thilo Weichert und Frank Rosengart einig: Sie fürchten die vollkommene Überwachung der Fahrzeuge (und damit letztlich auch ihrer Fahrer) über die permanente Lokalisierung mit Hilfe von Satellitenortung aus dem Himmel und Kamerakontrolle auf der Straße.

Thilo Weichert, früher einmal grüner Landtagsabgeordneter aus Freiburg, jetzt Präsident der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD) sowie Vize-Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein, sieht das "Recht auf anonyme Mobilität" ausgehebelt, wenn die Routen lückenlos erfasst werden. "Das ist eine staatlich angeordnete Überwachung, der sich niemand entziehen kann", warnt auch Rosengart, beim Chaos Computer Club (CCC) Fachmann für diese Fragen. Die beiden Bürgerrechtler befürchten, dass sich nun der Trend verstärken werde, eine Pkw-Maut einzuführen und damit sämtliche Autofahrten zu registrieren. Die grundlegende technische Infrastruktur werde jetzt installiert, und mit der CSU habe bereits eine große Partei die automatische Satellitenortung jedes einzelnen Autos und seiner gefahrenen Kilometer auf allen Straßen gefordert.

Im Büro des Bielefelder Vereins Foebud ("Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs") wartet seit Monaten eine kleine Statue auf ihren Eigentümer. Alljährlich verleiht eine Foebud-Jury, in der unter anderen Weichert und Rosengart sitzen, die "Big-Brother-Awards" - Anti-Preise für "Datenkraken". Im Herbst 2002 zählte zum Kreis der Geehrten auch die Firma Toll Collect als Betreiber des Lkw-Mautsystems. Doch anders als die sonstigen Preisträger zeigt das von der Telekom, Daimler-Chrysler und Cofiroute (Frankreich) gebildete Unternehmen nicht die Souveränität, den Big-Brother-Award in Gestalt der Statue entgegenzunehmen. In seiner Laudatio kritisierte Rosengart seinerzeit die "neue Dimension der Beobachtung von Verkehrsteilnehmern".

Unabhängig von Art und Umfang der späteren Verarbeitung erhobener Daten bedeute die automatische Erfassung jeder Autofahrt einen "revolutionären Vorgang", so Thilo Weichert: Bislang war es so, dass Autoreisende lediglich von anderen Menschen gesehen wurden, denen sie zufällig oder absichtlich begegneten - mehr passierte nicht. Allein das Wissen, auf jedem Meter einer Fahrt im Visier von Satelliten und Computern zu sein, müsse Folgen für das "gesamte Klima in der Gesellschaft" haben. Frank Rosengart befürchtet eine "schleichende gesellschaftliche Veränderung", die sich auch auf die Persönlichkeit des einzelnen Menschen auswirke. Die Überwachung der Mobilität füge sich ein in ähnliche Entwicklungen wie die Videokontrolle immer größerer Lebensbereiche oder die Durchleuchtung des Konsumverhaltens auf dem Weg elektronischer Bezahlung. Rosengart: "Die Kinder und Jugendlichen von heute wachsen von vornherein in diese Welt hinein."

Grundsätzliche Einwände der Bürgerrechtler werden ergänzt durch konkrete Kritik an der Praxis der Lkw-Maut. Schließlich dient die Datenerhebung nicht allein der Berechnung der Gebühr. Prinzipiell sei zwar im Gesetz eine Zweckbindung festgelegt, und es existierten auch differenzierte Löschungsfristen, so Johann Bizer, Dozent für öffentliches Recht an der Universität Frankfurt am Main. Bei näherem Hinsehen, bemängelt der Herausgeber der Zeitschrift Datenschutz und Datensicherheit, gebe es indes viele Ausnahmen: "Das ist wie bei einem Schweizer Käse mit Löchern." Ein Zugriff der Polizei auf die Informationen sei nicht ausgeschlossen. DVD-Präsident Weichert erläutert, dass die Daten durchaus für eine Rasterfahndung genutzt werden könnten. CCC-Sprecher Rosengart weist auf den Informationsaustausch zwischen dem Mautbetreiber und der Zollfahndung sowie dem Bundesamt für Güterverkehr hin. Johann Bizer blickt überdies in die Zukunft: "Sind Datenpools erst einmal da, werden sie irgendwann auch für Zwecke genutzt, die ursprünglich nicht vorgesehen waren."

Bürgerrechtler beklagen, dass bei der Straßenmaut kaum über Datenschutz oder Freiheitsrechte diskutiert werde und sich die Politik auf den Streit mit der EU, auf Finanzfragen und das Thema Ökologie beschränke. Aus Sicht Weicherts ist für viele Autofahrer das Problem der Überwachung noch weit weg, solange Pkw nicht betroffen sind: "Doch wenn es dann so weit ist, dann ist es zu spät."

Das Bundesverkehrsministerium teilt die Befürchtungen der Bürgerrechtler nicht. Ein Ministeriumssprecher erklärte am Freitag auf Anfrage der FR lapidar, die Lkw-Maut sei aus Datenschutz-rechtlicher Sicht vollkommen unproblematisch. Die Internet-Seite der Pressestelle zeigt denn auch bei der Suche nach "Datenschutz" beim Mautsystem an, dazu gebe es derzeit keine Dokumente.

Aber selbst kritische Zeitgenossen unterschätzen offenbar die Gefahren. Nach der Verleihung des Big-Brother-Award an Toll Collect wunderte sich Frank Rosengart über einen Anruf aus der Schweiz: Am Telefon äußerten die dortigen Grünen ihr Unverständnis, wie man so etwas Positives kritisieren könne. Dagegen ist für Axel Mayer, Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) am Oberrhein, alles ganz ohne elektronische Überwachung machbar - nämlich über den Benzinpreis.

Frankfurter Rundschau, 26. Juli 2003
Original: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/deutschland/?cnt=258011