Der Chef als Agent 007

Spionage" im Büro wird immer einfacher

Mainz/dpa. Angestellte, die im Büro Witzchen über ihren Chef machen, sind gut beraten, das hinter vorgehaltener Hand und nicht per E-Mail an die Kollegen zu tun. Denn die Überwachung am Arbeitsplatz ist heute so billig und einfach wie nie. "Entworfen zur vollständigen visuellen Überwachung aller PC-Aktivitäten", preist etwa der Softwareanbieter ProtectCom aus Saarbrücken ein Produkt an und ergänzt für Arbeitgeber mit mangelnder Fantasie: "Aufzeichnung der besuchten Internetseiten, E-Mails, Chats, Anwendungen - ausführlich bis zum letzten Tastenanschlag." Datenschützer fordern eine Erneuerung des bestehenden Rechts und mehr Aufklärung. "Die Sensibilität in Sachen Datenschutz existiert zwar, die Aufklärung der Computernutzer über die tatsächlichen Spionagemöglichkeiten hinkt aber hinterher", sagt Christoph Bach, Datenschutzbeauftragter beim ZDF in Mainz. Für Arbeitnehmer bedeutet das: Ihr Chef kann dank moderner Software theoretisch jeden ihrer Handstreiche im Büro überwachen. E-Mails lassen sich auf Schlagworte hin absuchen, die Zahl der Tastenanschläge von Mitarbeitern kann gespeichert werden und gibt Auskunft über die Arbeitsgeschwindigkeit. Doch das ist längst nicht alles: Mit Netzwerkanalysen können Chefs herausfinden, wer im Unternehmen nach Rat gefragt wird und welche Instanzen übergangen werden. Zudem verraten Überwachungsprogramme, welche Internetseiten die Angestellten besuchen. Im Prinzip ist es selbst denkbar, in Computern oder Monitoren Mikrofone einzubauen. "Das Ausmaß ist vielen nicht bewusst", sagt Bach. Thilo Weichert, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz in Bonn, geht davon aus, dass in Betrieben mit 10 und 300 Mitarbeitern am häufigsten spioniert wird. Während in den USA jeder zweite Arbeitsplatz überwacht werde, schätzt er die Quote in Deutschland auf zehn Prozent. "Geld, Bedienung und Technik sind überhaupt kein Problem mehr", sagt Weichert, der auch Jurymitglied für den "Big-Brother-Award" ist. Dieser wird jährlich an Unternehmen vergeben, die Negativbeispiele für den Umgang mit dem Datenschutz abgeben. Immerhin ist die Situation anderswo laut Weichert deutlich gravierender als in Deutschland: "Das ist mit Ländern wie England oder Frankreich nicht zu vergleichen." Grundsätzlich haben Chefs nach Weicherts Worten in Deutschland nur dann das Recht, einzelne Mitarbeiter zu überwachen, wenn begründeter Verdacht auf Unregelmäßigkeiten vorliegt. Eine generelle Überwachung oder Datensammlung sei unzulässig. Bereits bei der Installation entsprechender Software und Technik dürfen die Vertreter der Arbeitnehmer mitbestimmen. Aber in der Realität werde gegen solche Vorschriften immer wieder verstoßen, so Weichert. Schon vor Jahren habe die Bundesregierung das Datenschutzrecht als den aktuellen Anforderungen nicht mehr genügend eingestuft. "Ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz wird seit 1987 angekündigt, passiert ist aber bisher nichts." Gisela Trommsdorff, Psychologin an der Universität Konstanz, hält Beobachtungssituationen zumindest aus psychologischer Sicht für interessant und gibt den Arbeitgebern im Grundsatz Recht: "Mitarbeiter arbeiten besser, wenn sie wissen, dass sie beobachtet werden", sagt sie mit Blick auf den vor mehr als 70 Jahren entdeckten "Hawthorne-Effekt". Bei dem Feldversuch, auf dem dieser basiert, hatten sich die Mitarbeiter positiv an die Erwartungen angepasst. Ebenso beobachten Menschen, um von anderen zu lernen: "Es kann also auch sein, dass jemand durch das Beobachten profitieren möchte." Der als "Big-Brother-Psychologe" bekannt gewordene Ulrich Schmitz aus Köln gibt jedoch zu bedenken, dass Spionage am Arbeitsplatz das Misstrauen zwischen Arbeitnehmer und -geber vorantreibt. "Angesichts von Millionenschäden durch surfende Arbeitgeber kann man zwar Arbeitgeber verstehen, die nach dem Prinzip verfahren "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser"", so Schmitz. "Allerdings ist eine Dauerüberwachung nicht tragbar." Literatur: Karl-Hermann Böker, Lothar Kamp: Betriebliche Nutzung von Internet, Intranet und E-Mail. Analyse und Handlungsempfehlungen, Bund-Verlag, ISBN 3-7663-3513-8, 9,90 Euro.

Mitteldeutsche Zeitung, 23. Juni 2003
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