Beruf und Karriere

Der Chef surft mit

Software ermöglicht Überwachung am Arbeitsplatz

Was treiben Angestellte während der Arbeitszeit? Für so manchen Chef hat sich mit der Einführung spezieller Schnüffelprogramme ein Traum erfüllt. Mit der Software Spector beispielsweise lässt sich - unbemerkt vom Anwender - jede besuchte Website und jede E-Mail, jede geöffnete Anwendung und jeder Tastenanschlag registrieren. Einträge in Chats sind ebenso einzusehen wie Passwörter, auf Wunsch alarmiert Spector bei bestimmten Schlüsselwörtern den Überwacher. Zudem "fotografiert" das Programm den Bildschirm des Arbeitnehmers.

In Deutschland wird die aus den USA stammende Spionagesoftware seit Januar vergangenen Jahres verkauft. "Rund 7000 Mal bislang", erklärt Händler Carsten Rau, dessen Firma ProtectCom mittlerweile ein eigenes Überwachungsprogramm vertreibt. "Ungefähr die Hälfte der Spector-Käufer sind Firmen", sagt Rau. Vor allem bei dem Verdacht auf Wirtschaftsspionage oder Verbreitung beispielsweise rassistischer Inhalte werde das Programm angefordert. Mit den lückenlosen Protokollen vom Tun der Mitarbeiter ließe sich auch herausfinden, warum ein Angestellter nur 20, sein Kollege dagegen 80 Prozent einer bestimmten Leistung erbringe.

Bei Datenschützern rufen solche Qualitätskontrollen Entsetzen hervor. "Datenschutz hört ebenso wenig am Werkstor auf wie das Grundrecht auf überwachungsfreie Telekommunikation", so Rena Tangens vom Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD). Dieser verlieh ProtectCom im letzten Jahr den "Big Brother Award" der Kategorie "Überwachung am Arbeitsplatz", ein Negativ-Preis für Firmen, die nach Ansicht des Vereins die Privatsphäre von Mitarbeitern oder Kunden verletzen. Ob sich virtuell lauschende Chefs strafbar machen, bedarf der Klärung. "Es gibt noch keine gerichtlichen Entscheidungen darüber", sagt Wolfgang Däubler, Professor für Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht der Universität Bremen.

Nach Ansicht der FoeBuD-Datenschützer ist das Mitlesen von E-Mails ebenso illegal wie die Überwachung des Surfverhaltens. Für Däubler dagegen sind diese Kontrollmaßnahmen legitim, wenn ihnen der Betriebsrat zugestimmt hat und die Mitarbeiter Bescheid wissen. Eine Totalüberwachung mit Aufzeichnung der Tasteneingaben oder aufgerufener Programme hält auch er für rechtswidrig. Dass sich die Firmen von den zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen virtueller Lauschangriffe schrecken lassen, glaubt er nicht: "Mein Verdacht ist, dass es schon jetzt passiert, aber kein Arbeitnehmer weiß es." Vor allem in Unternehmen ohne Betriebsrat würden Schnüffelprogramme vermutlich eingesetzt. Einen bei dieser Überwachung negativ auffallenden Mitarbeiter könne man dann ja mit anderen Mitteln loswerden.

Seine Befürchtung scheint weit verbreitet: Ein von der Hamburger Softwareschmiede ElbTec entwickeltes Programm zur Abwehr von Spionageprogrammen wurde dessen Entwickler Björn Kahle zufolge bislang 150 000 Mal von der Firmenhomepage heruntergeladen. Rund zwei Dutzend Computernutzer wurden fündig, die Hälfte davon entdeckte Spector auf dem Firmencomputer.

In den USA werden FoeBuD zufolge etwa 80 Prozent aller Computerarbeitsplätze großer Firmen überwacht, Kündigungen auf Grund der dadurch erhaltenen Ergebnisse sind erlaubt. Ob auch deutsche Firmen massiv zum Lauschangriff auf ihre Mitarbeiter übergehen können, wird sich erst mit dem Inkrafttreten des geplanten Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes eindeutig zeigen.

Annett Klimpel

Stuttgarter Zeitung, 2003
Original: http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/306371?_seite=1