"Prävention heißt Überwachung"

Fried Dahmen, Sprecher des Innenministeriums (li.), erhielt den Big Brother-Award von Datenschützer Lutz Donnerhacke. Foto: tlz/Schwarz Erfurt. (tlz) Innenminister Andreas Trautvetter ist weit weg von den Unbilden der Innenpolitik. Im Kosovo informiert er sich über den Einsatz deutscher Soldaten und will sich ein Bild über den Wiederaufbau des Landes machen. Sicher ein Termin, der dem derzeitigen Vorsitzenden der Innenministerkonferenz angenehmer ist als das, was sich da auf den Treppenstufen des Innenministeriums abspielte.

Denn dort musste Pressesprecher Fried Dahmen für seinen Chef einspringen und den "Big Brother Award" entgegennehmen. Der Preis war Thüringen verliehen worden, weil mit dem neuen Polizeiaufgabengesetz massiv in die Grundrechte der Thüringer eingegriffen wurde. Das unterstrich noch einmal Lutz Donnerhacke, Datenschützer und Mitglied der Jury, die Thüringen für die "Auszeichnung" ausgewählt hatte.

Das Polizeiaufgabengesetz von 2002 ermöglicht die Videoüberwachung von Brennpunkten ohne konkreten Anlass und die Telefonüberwachung zur Gefahrenabwehr. Es ist bei Fachleuten und der Landtagsopposition aus PDS und SPD umstritten. Wer im Verdacht steht, dass er eine Straftat von erheblicher Bedeutung begeht, kann telefonisch überwacht werden - ebenso seine Kontaktpersonen. Damit würden das Fernmeldegeheimnis und Sonderrechte wie Pressefreiheit aufgeweicht, sagte Donnerhacke. Bisher wurde die Möglichkeit der telefonischen Überwachung nach Ministeriumsangaben in 13 Fällen angewendet, aber nicht wegen Verdachts einer Straftat, sondern etwa um Unfallopfer zu orten.

"Prävention heißt für Herrn Trautvetter scheinbar nur Bürgerüberwachung", kam eine neue Frontalattacke auf den bedrängten Innenminister von der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt. Sie fordert, dass Kriminalität in Thüringen anders bekämpft werden müsse als mit Videoüberwachung oder anderen Mitteln der Überwachung. "Es gilt an die Wurzeln zu gehen, statt später mit dem Häcksler zu kommen", schreibt Göring-Eckardt dem Innenminister ins Stammbuch.

Der SPD-Landtagsabgeordnete Günter Pohl warf Trautvetter mangelndes Unrechtsbewusstsein und ein fehlentwickeltes Demokratieverständnis vor.

Die Video-Überwachung in Weimar wurde bei der Preisvergabe 2003 noch nicht berücksichtigt. "Aber es können schon Bewerbungen für 2004 abgegeben werden", so Donnerhacke.

28.10.2003 Von Hartmut Kaczmarek und den Agenturen

Thüringische Landeszeitung, 29. Oktober 2003
Original: http://www.tlz.de/tlz/tlz.politik.volltext.php?id=886760&zulieferer=tlz&rubrik=Thueringen&kategorie=THU®ion=National