Triumph des Humors über die Überwachungsbürokratie

Armin Medosch
24.10.2000

Am 26.Oktober werden die Big Brother Awards 2000 zeitgleich in Österreich, Deutschland und der Schweiz verliehen

Nach der ersten Verleihung von Big Brother Awards in Großbritannien im Jahr 1998 und nachdem diese Idee 1999 auch in USA, Kanada und Österreich aufgegriffen wurde, bekommt dieses Jahr auch Deutschland erstmals seinen Big Brother Award. "Diese Negativ-Auszeichung geht an Firmen, Behörden und Organisationen, die sich in besonderer Weise um die Verletzung der Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern "verdient" gemacht haben", schreiben die Veranstalter in ihrer Pressemeldung. Um das publizistische Echo zu maximieren und sich gegenseitig das Rückgrat zu stärken, finden die Veranstaltungen zur Verleihung der Awards in Deutschland, Österreich und der Schweiz fast genau zur selben Stunde am 26. Oktober 2000 statt. Unterschiede in der Vorgehensweise und im Stil verweisen trotz der grundsätzlichen Ähnlichkeit der Intentionen auf unterschiedliche Mentalitäten.

Dass es in Deutschland überhaupt einen Big Brother Award gibt, ist vor allem dem Bielefelder FoeBuD e.V. zu verdanken. Dieser 1987 gegründete Verein ist bekannt durch seine Vernetzungsarbeit im "Zerberus-Netz", seine MailBox "BIONIC", das Friedensnetzwerk "ZaMir" in Ex-Jugoslawien, die Veröffentlichung des deutschen Handbuchs zum Verschlüsselungsprogramm PGP und seine monatliche Veranstaltungsreihe "Public Domain". Die Vielzahl der Aktivitäten vermag aber nicht darüber hinwegzutrösten, dass FoeBuD e.V.keine schlagkräftige Lobby-Organisation oder PR-Maschinerie zum Schutz der Bürgerrechte ist.

Immerhin gelang es den Bielefeldern weitere Partner für die Auslobung des Preises zu finden: die Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V., den Chaos Computer Club e.V., den FITUG e.V. und den Rechtsanwalt und Publizisten Dr. Rolf Gössner. Getreu dem internationalen Vorbild werden die Preise für die schlimmsten Verletzungen der Privatsphäre in den Kategorien Business und Finanzen, Politik, Behörden und Verwaltung, Kommunikation sowie als "Lifetime Award" für lebenslange Unverdienste verliehen. Neu sind in Deutschland ein Szene-Preis und der Regionalpreis für die Region Bielefeld.

Die Jury-Mitglieder sind Dr. Thilo Weichert, Vorstand der Deutschen Vereinigung für den Datenschutz und stellvertretender Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein, Kiel, Hans Hübner, Chaos Computer Club, Berlin, Patrick Goltzsch, Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft, (FITUG e.V.), Hamburg, Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, Bremen sowie Rena Tangens und padeluun, beide vom FoeBuD e.V., Bielefeld. Unklar ist, warum die Organisatoren des deutschen Awards von der Praxis der anderen Länder abweichen, die Nominierungen bereits im Vorfeld zu nennen. Ebensowenig gab es eine Möglichkeit für die breitere Öffentlichkeit, mit eigenen Vorschlägen zu den Nominierungen beizutragen. Man darf also gespannt sein, was die Jury im stillen Kämmerlein ausgeheckt hat.

Big Brother Awards Schweiz 2000

Am 26. Oktober 2000 werden im Kulturzentrum "Rote Fabrik" in Zürich zum ersten Mal auch Schweizer "Big Brother Awards" verliehen werden. Mit diesem Anlass "wollen die VeranstalterInnen das beängstigende Thema der zunehmenden Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung aufgreifen", heißt es auf deren Website.

Anders als in Deutschland hat in der Schweiz die Öffentlichkeit die Möglichkeit, eigene Vorschläge einzureichen. Dafür können "Personen und Institutionen nominiert werden, welche das persönliche Grundrecht auf den Schutz der Privatsphäre missachten und/oder die Überwachung und Kontrolle von Personen oder von Personengruppen fördern". Diese Vorschläge werden zunächst geprüft und dann einer zehnköpfigen Jury vorgelegt. Die Nominierungen wurden im Netz veröffentlicht. Demzufolge können sich bereits einige namhafte Schweizer Unternehmen wie die Firmen Hoffmann-La Roche und Migros, aber auch die Krankenkassen oder der Kinderschutzbund auf unverhofftes (und wahrscheinlich unerwünschtes) Preisträgerglück gefasst machen

Big Brother rockt das Haus

Mit dem Schlachtruf "D i e N o m i n e e s s i n d d a !" kündigen die österreichischen Organisatoren die Vorauswahl der Kandidaten an, als ginge es um die jährliche Weinernte. Die Rebsorte "grüngekleideter Staatsbediensteter" wurde in Österreich durch die jüngst aufgeflogenen Spitzelaffären rund um die kriminalpolizeiliche Datenbank vor allem um Blautöne bereichert. Doch neben dem Klassiker Grün (Polizei) und der Modefarbe Blau (FPÖ) haben auch die Roten (SPÖ) und nicht wenige Kollegen von der Wirtschaft (Schwarz/ÖVP) wieder hart für den Abbau der Privatsphäre und der individuellen Schutzrechte gearbeitet.

Doch Spaß beiseite: Die Organisation des österreichischen Big Brother Award zeigt vor, wie es auch gemacht werden kann. In praktisch allen Belangen zeigen sie eine schlagkräftigere Organisation, eine bessere Publicity, mehr Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten. Noch dazu verspricht das Ereignis mit der Big Brother Party im Wiener Lokal Flex ein richtig unterhaltsamer Abend zu werden. Bei diesen Awards geht es ja schließlich darum, Aufmerksamkeit für das Thema über jenen kleinen Personenkreis hinweg zu finden, die sich ohnehin von Berufswegen oder aus Berufung dafür interessieren.

In der Vorphase hatten alle Netizens aus AT-Land die Möglichkeit, eine begründete Nominierung einzugeben. Ganze 200 Nominierungen sammelten die österreichischen Juroren. Neben der Berücksichtigung dieser Vorschläge für die endgültige Entscheidung der Jury wird es auch eine eigene Kategorie "People's Choice" geben, bei der das Webpublikum noch bis zum 25.Oktober via Webformularen abstimmen kann. Ein solches Feature einzurichten, sollte doch auch im High-Tech-Land Deutschland nicht zuviel verlangt sein, zumal ein entsprechendes CGI-Scrip nicht wirklich High-Tech genannt werden kann.

Die Nominierungen verweisen auf ein weitreichendes Spektrum an Praktiken, welche das Recht auf Selbstbestimmung der Daten, die andere über einen halten dürfen, aushöhlen. Diese Unterwanderung führe zu immer größerer "sozialer Kontrolle und kommerzieller Verfügbarkeit" aller Individuen, schreiben die Veranstalter. Mit der Veröffentlichung der gesamten Liste an Nominierungen inklusive der Begründungen wird damit bereits im Vorfeld ein Bewußtsein für die Breite und Vielfalt der Missbrauchsmöglichkeiten geschaffen.

Im Bereich "Business und Finanzen" fallen vor allem Praktiken auf, bei denen die Firmen das Recht zur Weitergabe von Nutzerinformationen einholen, ohne den Kunden überhaupt eine Chance zu geben, darüber selbst zu entscheiden. In der "Politik" kommt es zu immer bedenklicheren Verschmelzungen zwischen Sicherheitsapparat, politischen Interessen und Regierungsmacht, die bis hin zu Formen der Bespitzelung, der Gedankenkontrolle, der aktiven Einschüchterung und des Meinungsterrors gehen. Naiv, wer denkt, solche Tendenzen würde es nur in Österreich geben. Aber auch Unternehmen aus der Kommunikationsbranche basteln am Big-Brother-Staat mit, sei es durch vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem Staatsapparat, wirtschaftliches Eigeninteresse (z.B. Bonitätsauskünfte über Kunden) oder einfach nur schlampige Programmierung, die Userdaten offen legt. Während alle Nominierungen auf bedenkliche Praktiken verweisen, verdient vor allem diejenige der Arbeitsgruppe SEC LI (Lawful Interception) des ETSI (European Telecom Standards Institute) internationale Beachtung. Die Veranstalter begründen die Nominierung folgendermaßen:

"In dieser Arbeitsgruppe befasst man sich mit dem Design von Abhörschnittsstellen für alle digitalen Netzwerke ISDN, GSM bis hin zu UMTS. Techniker der österreichischen Siemens-Tochter PSE und anderer Firmen aus dme Telekom-Bereich wie Nokia, Ericsson, Alcatel, Nortel-Dasa, Comverse, Britische und Deutsche Telekom sitzen dort nicht nur mit Polizei, sondern Geheimdienst-Verbindungsleute vor allem aus England, Deutschland, und Holland, sowie Firmen aus Israel, die ganz offen als Ausrüster von Geheimdiensten auftreten. Diese saubere Gesellschaft legt die technische Infrastruktur aller künftigen digitalen Telefonzentralen in ganz Europa fest. Im Moment beschäftigt sich die Arbeitsgruppe SEC LI mit der Integration des Internet-Protokolls in ihre Überwachungsdesigns."

Die PR-Offensive der österreichischen Veranstalter der Big Brother Awards läßt auch die Möglichkeit nicht aus, vorgefertigte Videoclips aus dem Netz zu laden. Fernsehanstalten können diese Clips sogar im professionellen Beta-SP-Format erhalten. Insbesondere die Jugend dürfte sich angezogen fühlen, da im Anschluss an die Preisverleihung die Techno-Formation Random Noise Generation aus Detroit auftreten wird, sowie drei weibliche DJs, auch DJanes genannt: Cassy von female pressure (Wien), Electric Indigo (Wien) und Brenda Russell (London) werden das Haus rocken. Eine ähnliche Kombination aus Politik und Party hatte im Vorjahr 2000 Leute zum Big Brother Award 1999 ins Flex am Donaukanal in Wien gelockt, dieses Jahr dürften es noch mehr werden.

Die Verbindung von Politik und Party mag im protestantischen Norden suspekt erscheinen, doch wenn man immer nur unter sich bleibt, darf man sich nicht wundern, warum sich weder die sogenannte Mainstream-Presse, noch eine breitere Öffentlichkeit für den Themenkreis nicht interessiert. Es ist halt mal so, dass Themen, die zwar "einfach wichtig" sind, trotzdem medien- und publikumswirksam verbreitet werden müssen. Auch die britischen Initiatoren haben das erkannt und deren Verleihung im Vorjahr war begleitet vom Live-Auftritt einer Punk-Band und einer schmissigen Moderation voller Gags und Appercus. Der Big Brother Award ist, so ernst das Thema auch zu nehmen ist, eine Parodie auf den Überwachungsstaat und signalisiert den (symbolischen) Triumph des Humors über die Technokraten.

Telepolis, 24. Oktober 2000
Original: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/8974/1.html