Nachlese zum "Big Brother Award"

Vor allem verletzen Firmen und Institutionen den Datenschutz

Patrick Goltzsch 31.10.2000

Der Big Brother Award [0] ist in Deutschland zum ersten Mal verliehen worden. Er ging an Institutionen wie das Bundesverwaltungsamt für sein Ausländerzentralregister, an Firmen wie Loyalty Partner für ihr Rabatt-System Payback, an GMX, die Deutsche Bahn und das Apache-Consortium. Der Preis für die Apache-Software löste dabei die meisten Diskussionen aus.

Die Vorschläge, die für den Award eingegangen sind, spiegeln jenes Verständnis wider, das sich zum Teil auch in den Entscheidungen für die Preisverleihung findet. Vor allem verletzen Firmen und Institutionen den Datenschutz. Aber sind sie es allein?

Warum kann Loyalty Partner ein lukratives Rabattgeschäft aufziehen, obwohl die allgemeinen Geschäftsbedingungen klarstellen, dass die Daten der Verbraucher für Marketing-Zwecke verwendet werden? Warum hat GMX, nach eigenen Angaben, über fünf Millionen Nutzer, obwohl die kostenlose E-Mail mit privaten Angaben erkauft werden muss?

Datenschutz konnte bislang als Abwehrrecht verstanden werden. Abgewehrt wurde der schnüffelnde Staat, der nicht durch Häufung und Kombination von Informationen seinen Bürger ausspähen können sollte. Dieses Verständnis von Datenschutz scheint erhalten geblieben zu sein. Der Gedanke, dass die eigenen Daten schützenswert sind, hat dagegen noch keine weit reichenden Wurzeln geschlagen.

Nur eine Minderheit berücksichtigt das Kleingedruckte, beteiligt sich nicht an Adressen-Sammlungen per Preisausschreiben und achtet auch im Netz darauf, welche Daten den eigenen Rechner verlassen. Die große Mehrheit kultiviert dagegen ein durchaus pragmatisches Verhältnis zum Datenschutz. Die eigenen Daten gelten dann als Handelsware, die sich gewinnbringend zu Markte tragen lassen, sei es für kostenlose Email oder ein paar Groschen Rabatt.

Das Unverständnis, auf das der Preis für den Apache Web-Server getroffen ist, kann als Rückseite derselben Medaille gelten. Denn obwohl den Technikern klar ist, dass Protokolldateien nur zur Diagnose von Fehlern benötigt werden, schaffen sie ohne größere Bedenken die Voraussetzungen, Daten zu sammeln. Es ist unklar, aus welchen Motiven die Betreiber von Web-Servern schließlich der Versuchung erliegen, sich als kleine "Große Brüder" aufzuführen. Doch die Sorglosigkeit im Umgang mit den persönlichen Daten anderer demonstriert das bemerkenswerte Verständnis, mit dem der Datenschutz zu kämpfen hat.

Datenschutz als Abwehr gegen staatliche Begehrlichkeiten hat noch lange nicht ausgedient. Aber mittlerweile verlagert sich der Schwerpunkt des Handelns vom Staat und staatlichen Institutionen auf die Bürger. Wer welche Daten bekommt, aber auch wer welche Daten sammelt, wird immer öfter zu einer Entscheidung der Einzelnen. Es ist die schlichte Konsequenz der Etablierung eines Netzwerks, in dem Sender und Empfänger die Rollen tauschen können.

Natürlich gilt das Argument, es gehöre zu den Verantwortlichkeiten der Einzelnen, darauf zu achten, welche Daten sie preisgeben; entsprechende Werkzeuge seien schließlich vorhanden. Dabei wird übersehen, dass es sich beim überwiegenden Teil der Netznutzer um Anfänger handelt, die weder wissen, dass sie Datenspuren hinterlassen, geschweige denn, dass Programme existieren, die ihnen ermöglichen, sie zu verwischen.

Ähnliches trifft für die Vernetzung der Gesellschaft insgesamt zu. Wer bringt die freundliche Übersendung einer Rabattkarte mit der Datenbank in Verbindung, die den Kauf eines Müsli-Riegels an der Tankstelle, aber auch den Inhalt des Einkaufswagens an der Supermarktkasse registriert? Und wer teilt die seltsame, implizit vermittelte Auffassung, die Benutzung der Rabattkarte schließe das Interesse an Marketing-Aktionen ein?

Der Informationsfluss sollte nicht als Naturgewalt dastehen, der auf die Einzelnen einstürzt oder ihnen durch die Finger gleitet, ohne dass sie eine Chance zur Gegenwehr hätten. Zwei Entscheidungen müssen Bürger für sich treffen können: Was will ich an Daten preisgeben? Und welche Informationen möchte ich haben. Dafür muss der Datenschutz als persönliches Anliegen durchgefochten werden. Außerdem muss der Respekt vor der Privatsphäre der Anderen Wurzeln schlagen.

Für den "Big Brother Award" bleibt noch viel zu tun, denn die Kenntnis der Voraussetzungen für autonome Entscheidungen fehlt an allzu vielen Stellen.

Der Autor war im Namen von FITUG [1] Mitglied der Jury für den diesjährigen Award. Der Text ist keine offizielle Stellungnahme der Jury, sondern gibt die persönliche Sicht wieder.

Links
[0] http://www.bigbrotherawards.de/

telepolis, 31. Oktober 2000