Preis für Datenkraken

Torsten Kleinz  
25.10.2002

Der Big-Brother-Awards 2002 geht an Microsoft und sieben weitere Preisträger

Am Freitag hat der  FoeBuD e.V in Bielefeld zum dritten Mal der deutsche Big-Brother- Award verliehen. Der Hauptgewinner kommt nicht überraschend: Es ist der Softwarekonzern Microsoft. Weitere Preisträger sind die Innenminister von Nordrhein-Westfalen und Hessen, der Bundesrat, die Deutsche Post AG, die Bayer AG, die Toll Collect GmbH und das Bundeskriminalamt (siehe auch:  Big Brother Microsoft).

"Datenkraken" - dieses Wort haben die Veranstalter für die Empfänger des Big-Brother-Awards ersonnen. Die Preisträger haben sich in Augen der Jury gegen die informelle Selbstbestimmung verdient gemacht. Wo immer mehr Daten von immer mehr Menschen gesammelt und zusammengeführt werden besteht ein hohes Missbrauchspotential. Aus 60 Nominierungen hat die sechsköpfige Jury acht Preisträger ausgewählt.

Microsoft: Lebensverdienste und Palladium

Bei Microsoft hat das Datensammeln geradezu Tradition, deshalb wurde dem Konzern in Gestalt des Kurt Sibold, Geschäftsführer von Microsoft Deutschland gleich einen Lifetime-Award zuerkannt. Laudator Patrick Goltzsch erinnerte daran, dass bereits unter Windows98 Userdaten  gesammelt, die dann unvermutet wieder in Office-Dokumenten und Emails aufgetaucht seien.

Aktueller Anlass für den Preis ist jedoch das angestrebte Digital-Rights-Management von Microsoft mit dem Namen "Palladium", das erste Boten voraus schickt. So hat Microsoft dem Update des MediaPlayers heimlich, still und leise auch geänderte Lizenzbestimmungen beigelegt, die den automatischen Einbau des DRM-Systems in den Home-PC ermöglichen. Danach kann der User keine vermeintlich unsicheren oder illegalen Dateien mehr abspielen, Produzenten von digitalen Produkten haben jedoch die Möglichkeit genau festzulegen, wie oft man ein Dokument ansehen darf und Kopien zu untersagen (Auf leisen Sohlen vom Betriebs- zum DRM-System)

Es sei ein leichtes, alle Dateien, die nicht von Microsoft-Produkten erzeugt wurden als nicht vertrauenswürdig einzustufen. "Microsoft hat uns labile Betriebssysteme beschert, einem Überfluss an Viren den Boden bereitet und für einen Mangel an Standards gesorgt. Und nun sollen die Anwender mit der Einführung von DRM endgültig ans Gängelband genommen werden. Das ist preiswürdig", schloss Patrick Goltzsch vom Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (  FITUG) seine Laudatio. Als einziger Preisträger hatte Microsoft einen Vertreter zur Veranstaltung geschickt, der den Preis auch gerne annahm - wenn auch nur wegen längst vergangener Sünden.

Zweimal Innenminister

Im vergangenen Jahr war Bundesinnenminister Otto Schily der Haupt-Preisträger, diesmal wurde zwei Länderkollegen der Preis verliehen. Der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens erhielt den Regionalpreis dafür, dass seine Behörde eine Videoüberwachungsmaßnahme in Bielefeld als Erfolg verkaufen will, obwohl die Kriminalität in dem überwachten Gebiet schon im Jahr vor der Installation gesunken war, im Jahr danach sogar wieder zugenommen hatte. Durch den vermeintlichen Erfolg sollen weitere Überwachungsprojekte begründet werden.

Der hessische Innenminister Volker Bouffier erhielt den Preis in der Sparte "Politik". Er hatte eine Polizeirechtsnovelle zu verantworten, die die Schwelle für die Durchführung einer Rasterfahndung erheblich herabgesetzt hatte. Nach Auffassung der Jury darf eine solche Maßnahme nur unter restriktivsten Voraussetzungen erlaubt sein. Durch die Gesetzesneuregelung sei die Kontrolle der Rasterfahndung durch einen anordnungsberechtigten Richter abgeschafft worden.

Die Länderkammer und die Datenspeicherung

In der Sparte "Kommunikation" erhielt der Bundesrat den Anti-Preis für seinen Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdienstleistern (Kein Anfangsverdacht, keine Befristung, keine Zweckbindung). Die Maßnahme, die in einem Gesetz zur "Verbesserung der Ermittlungsmaßnahmen wegen des Verdachts sexuellen Missbrauchs von Kindern" enthalten ist, betreffe in Wahrheit die ganze Bevölkerung. Dazu würde dem immer noch schwachen Pflänzlein E- Commerce das Wasser abgegraben, argumentierte Thilo Weichert von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz: "Was würden wir tun, wenn man uns beim Bäcker beim Brötchenkauf zur Vorlage unseres Personalausweises aufforderte, der dann kopiert und registriert wird?"

Datenautobahn mal anders

Auch der Preis im Bereich Technik basiert auf einem neuen Gesetz: der Einführung einer LKW- Maut auf deutschen Autobahnen, die einen gewaltigen Datenerfassungsapparat voraussetzt. Der Preis wurde an die Toll Collect GmbH verliehen, einem Gemeinschaftsunternehmen von DaimlerChrysler, des Deutschen Telekom und des der französische Autobahnbetreiber Cofiroute.

Um die zu zahlenden Mautgebühren zu ermitteln werden in Zukunft die Bewegungsprofile von LKWs auf deutschen Autobahnen ermittelt. Für die Datenschützer ein Problem: sie rechnen damit, dass schließlich auch die Autobahnbenutzung für private Autos kostenpflichtig wird und somit eine massenweise Verarbeitung von Bewegungsdaten eingeführt wird.

LIMO, REMO und AUMO

Das Bundeskriminalamt in Wiesbaden erhielt den Award "Behörden und Verwaltung". Preiswürdig waren die so genannten Präventiv-Dateien LIMO, REMO und AUMO, in denen potentielle Gewalttäter verzeichnet sind. Die Jury bemängelt vor allem, dass nicht etwa nur vorbestrafte Gewalttäter in diese Dateien gelangten. Eine einfache Überprüfung der Personalien während einer Demonstration reiche aus, um in Zukunft als Unruhestifter zu gelten. Selbst ein Freispruch vor Gericht könne die Daten aus den Dateien nicht tilgen. Die Folgen für die Betroffenen gingen bis hin zu polizeilichen Meldeauflagen, Pass-Entzug und Ausreiseverboten.

Du hast Post

Auch die gute alte Deutsche Post mochte den Datenschützern nicht recht gefallen. Ihr Umgang mit Daten aus Nachsendeaufträgen brachte ihnen den Award im Bereich "Verbraucherschutz". Selbst wer auf den Nachsendeanträgen ausdrücklich die Einwilligung zur Datenweitergabe streiche, sei nicht vor dem Verkauf seiner Daten geschützt. Unwillige Kunden würden von der Post nochmals angeschrieben und müssten innerhalb von 10 Tagen nochmals der Weitergabe der Daten widersprechen. Die Datenschützer sehen auch den Zugriff auf die Adressen als verbesserungsbedürftig. So reiche die Angabe eines "berechtigten Interesses", um an die neue Adresse eines Post-Kunden zu gelangen. Zudem führe die Post AG die Creme de la Creme des deutschen Adressenhandels als Vertriebspartner.

Aspirin im Urin?

Dass man nicht unbedingt im Daten-Business tätig sein muss, um die Informationsfreiheit zu beschränken, bewies nach Auffassung der Jury die Bayer AG. Das Unternehmen verlange von künftigen Auszubildenden - formal freiwillig - eine Urinprobe, die von Betriebsärzten auf Drogenrückstände untersucht wird. Die Begründung des Unternehmens, die Kontrolle diene der Arbeitssicherheit, können die Datenschützer nicht nachvollziehen: schließlich gehe jeder dritte bis vierte Arbeitsunfall auf die legale Droge Alkohol zurück - und darauf werden die künftigen Azubis nicht getestet. Die Urinprobe sei eine Demütigung und diene dazu, die zukünftigen Mitarbeiter einzuschüchtern.

Auch in anderen europäischen Ländern stehen die Preisverleihungen bevor. In Wien werden am Samstag die österreichischen Gewinner vorgestellt, die Preisverleihung in der Schweiz folgt am 29. Oktober und in  Ungarn am 7. November.

Telepolis, 25. Oktober 2002
Original: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/13493/1.html