Böse, böse!

Wie die Big Brother Awards Aufmerksamkeit binden

Ihr wesentliches Ziel haben die Initiatoren der deutschen ?Big Brother Awards? auch in diesem Jahr erreicht: Aufmerksamkeit. 17 Presseveröffentlichungen allein im ganz nahen Umfeld der Verleihung vom 25. bis zum 28. Oktober zählen die Datenschutzaktivisten vom Verein Foebud in ihrer Pressesammlung auf. Die Organisatoren wissen, wie die knappe Ressource Aufmerksamkeit von Medien verteilt wird: Als Reize benutzen sie den Glamour einer Preisverleihung, Anleihen aus der populären Mythologie bei Orwell und bei aller produzierten Besorgnis anstelle des erhobenen Zeigefingers ein wenig leichte Ironie. Diese Mischung setzen die Organisatoren für einen guten Zweck ein: ?Um die öffentliche Diskussion um Privatsphäre und Datenschutz zu fördern.? Doch in diesem Jahr scheint der Zweck unter den Mitteln zu leiden.

Microsoft wurde mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Eine Entscheidung, der wohl alle zustimmen. Na klar: Microsoft ist böse. So beschrieb es auch der Laudator Patrick Goltzsch: ?Microsoft erhält den Preis vor allem für seine flächendeckende Einführung von Kontrolltechnologie zum vermeintlichen Schutz von Urheberrechten. Microsoft hat uns labile Betriebssysteme beschert, einem Überfluss an Viren den Boden bereitet und für einen Mangel an Standards gesorgt.? All das stimmt, ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Zudem haben Microsofts Sicherheitsprobleme wenig mit Datenschutz, dafür aber etwas mit Vorurteilen zu tun. Natürlich weisen Microsoft-Produkte viele Sicherheitslücken auf und setzen auf proprietäre Formate. Doch dasslbe tun viele andere Softwarehersteller auch. Nur erwartet es von Microsoft jeder. Der Unternehmensschriftzug ist als Symbol eines bösen Machtwillens in die moderne Ikonographie eingegangen. Doch Marktmacht und bestenfalls ein Monopol wollen alle Unternehmen.

Den Datenschutz hat Microsoft schon oft sträflich missachtet. Doch warum der Konzern dann den Hauptpreis ausgerechnet in diesem Jahr bekommt, ist nicht eindeutig. Die als Schutz von Urheberrechten getarnte Verwandlung der Informations- zur Informationskontrollgesellschaft stellt Bürgerrechte in Frage, hat aber weniger mit Datenschutz zu tun. Zudem steht Microsoft hier nicht an vorderster Front, sondern versucht eher, den Wünschen der Kunden aus der Copyrightindustrie gerecht zu werden.

Die Preisverleihung an Microsoft hat viele Gründe, doch keinen wirklich überzeugenden - außer dem Medienecho. In der dpa- Agenturmeldung steht Microsoft in der Überschrift und im Mittelpunkt der Artikel. So dann auch in allen Regionalzeitungen. Das versteht jeder: Die Krake schlängt wieder zu. Die wirklich spannenden Preise treten dabei in den Hintergrund: Drogentests bei Bayer, die zudem allerlei andere Daten verschaffen können. Oder Maut-Eintreiben mittels satellitengestützter Erhebung der Bewegungsdaten von Kraftfahrzeugen. Vor zwei Jahren, als der Hauptpreis ans Kundenkartensystem Payback ging, lenkten die Big-Brother-Awards Aufmerksamkeit zu einem bis dahin unbeachteten Thema: Konsumerfassung zwecks Profilbildung. Deutschland hat dank Foebud gelernt, dass Kunden nicht immer Menschen sind. In diesem Jahr hat der Hauptpreis vielleicht mehr Aufmerksamkeit gebunden - doch nur, indem er Vorurteile bediente.

(Konrad Lischka)

Tagesspiegel, 30. Oktober 2002
Original: http://www.konradlischka.de/nhproben398.htm