Datenschutz: Preisverleihung soll den öffentlichen Diskurs fördern

Big-Brother-Preis "prämiert" Verstöße gegen Datenschutz

VDI nachrichten, Bielefeld, 3. 11. 00

Die öffentliche Diskussion um Privatsphäre und Datenschutz soll der Big-Brother-Award fördern, der jetzt erstmalig auch in Deutschland verliehen wurde. "Ausgezeichnet"

Vergangene Woche wurde in Bielefeld erstmals der deutsche "Big-Brother-Award" (www.bigbrotheraward.de) verliehen. Seit 1998 wird der Preis in Großbritannien, den USA, Kanada und Österreich ausgelobt. Deutschland und Frankreich stießen in diesem Jahr in die Runde dazu. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Bielefelder Verein Foebud. Wie die Veranstalterin Rena Tangens in ihrer Eingangsrede betonte, will der Preis vor allem den Diskurs mit den Preisträgern anregen und Dinge in Bewegung bringen. Als Auswahlkriterium galt die Frage der Diskursfähigkeit, so der Bielefelder Veranstalter und Künstler Padeluun.

Tatsächlich sorgte die Preisverleihung in der Kategorie "Business und Finanzen" an Payback (www.paybackde) für einiges Aufsehen. Rena Tangens begründete dies damit, "weil hier unter dem Deckmantel der Rabattmarke ein System geschaffen wurde, mit dem im großen Umfang Marketing-verwertbare Daten erhoben, gespeichert, ausgewertet und weitergegeben werden". Dies sei jedoch den meisten Nutzern völlig unklar [steht aber im Kleingedruckten; man sollte sich überlegen, ob man tatsächlich für die paar Mark sein Profil verscherbelt. -jetho]. Ein Kunde, der nicht auf den Rabatt verzichten will, hat keine Möglichkeit, die Er- stellung eines Profils seiner Kaufgewohn- heiten zu verhindern. Beim Payback-System sind zahlreiche Unternehmen beteiligt, unter anderem auch die Lufthansa, AOL, Consors, DEA, Europcar, Kaufhof, die UFA-Kinos und DM-Drogeriemärkte.

In der Kategorie "Kommunikation" wurde die Firma GMX ausgezeichnet. Wie Jury-Mitglied Patrick Goltzsch ausführte, erhielt GMX den Preis, da sie die elektronische Post ihrer Nutzer ungenügend gesichert hat.

In der Kategorie "Politik" ging der Preis an den Berliner Senator für Inneres, Eckardt Werthebach. Er plante die Erweiterung und Erneuerung der Telefonüberwachungsanlage in der Bundeshauptstadt. Bereits bis zum letzten Jahr waren hierfür 3 Mio. DM investiert worden, und damit war die Erweiterung auf 70 Aufzeichnungsgeräte und 55 Auswertungsgeräte erreicht. Bis 2003 sollen nach Willen von Werthebach weitere 4,7 Mio. DM ausgegeben werden. Außerdem wurde die Genehmigung für die Mobilfunküberwachung mit Hilfe von Imsi-Catchern gefordert - zu einem Kostenpunkt von 500 000 DM. Da mit Imsi-Catchern auch Bewegungsprofile erstellt werden können, sind diese rechtlich äußerst umstritten.

In der Kategorie "Behörden und Verwaltung" wurde die Deutsche Bahn AG ausgezeichnet, da die Videoüberwachung auf den Bahnhöfen mittlerweile "undurchschaubar" geworden sei. So sei unklar, wer jeweils für die Überwachung zuständig ist: Die Bahn, der Bundesgrenzschutz oder der Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn AG.

Den Preis für das Lebenswerk, den "Lifetime-Award", wurde dem Ausländerzentralregister verliehen. Dieser Preis geht an Personen oder Organisationen, die sich seit vielen Jahren um die Schwächung der Privatsphäre und der persönlichen Grundrechte verdient gemacht haben. Das Bundesverwaltungsamt in Köln führt eine Datenbank mit den Angaben zu mehr als 10 Mio. Personen. Sie dient vor allem der Überwachung von Ausländerinnen und Ausländern, die damit zu der am intensivsten und besterfassten und überwachten Bevölkerungsgruppe in Deutschland gehören. Neun Betroffene haben deshalb1995Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht. Bis heute wurde die Beschwerde nicht verhandelt. Auch nach dem Regierungswechsel wurde nicht versucht, das Ausmaß der Kontrolle durch das Ausländerzentralregister zurückzunehmen. Vielmehr verfolgt das Bundesinnenministerium weiterhin das Ziel, den Datenumfang sowie die Befugnisse des Registers auszuweiten.

Auch ein ganz besonderer Preis, der Szenepreis, wurde verliehen. Dieser richtet sich an Menschen mit Fachkenntnissen und ging an das Apache Konsortium. Der Apache Webserver ist mit geschätzten 40% bis 60% Marktanteil einer der beliebtesten Webserver im Internet. Als Open-Source-Software ist er kostenlos verfügbar. Die Konfiguration des Servers erfolgt in einer Textdatei, in der alle Parameter einstellbar sind. In der Standard-Konfiguration protokolliert der Server unter anderem die IP-Adresse des Abfragenden und die Namen der abgerufenen Webseiten. Mit Hilfe der Informationen sei im Nachhinein ermittelbar, welche Anwender welche Seiten in welcher Reihenfolge abgerufen und wie lange sie sie sich angesehen haben.

C. SCHUIZKI-HADDOUTI


Eine Anmerkung speziell für RTL2-Zuschauer:

Die Bezeichnung "Big-Brother-Award" bezieht sich auf das Buch "1984", das George Orwell 1948 geschrieben hat. Darin beschreibt er die totale Überwachung der Bevölkerung durch die Regierung, "Big Brother" (- der große Bruder, der sich fürsorglich um die kleinen Geschwister kümmert) genannt. Als Utopie kreiert, sind inzwischen einige Aspekt Realität geworden. Bei Verstößen im Datenschutz wird eben auf "Big Brother" angespielt.

VDI-Nachrichten, 03. November 2000