Big Brother im Supermarkt?

Umstrittener Einsatz der RFID-Technik beim Metro-Konzern

Von Dominik Reinle

Die Metro AG hat den Test einer umstrittenen Kundenkarte am Donnerstag (26.02.04) abgebrochen. Die Karte des Future-Stores in Rheinberg enthielt einen RFID-Chip, der möglicherweise ein Ausspionieren der Kunden zulässt. Aber die Proteste der Datenschützer gehen weiter.

Die Zukunft des Shoppens beginnt in Rheinberg bei Duisburg: Im April 2003 eröffnet Top-Model Claudia Schiffer in ihrer Heimatstadt den "Future Store" der Metro-Gruppe. Zusammen mit dem Metro-Vorstandsvorsitzenden Hans-Joachim Körber lacht sie gut gelaunt in die Kameras. Die schöne neue Einkaufswelt scheint in Ordnung. Doch der High-Tech-Supermarkt gerät schon bald in die Kritik. Im Oktober 2003 wird die Metro AG mit dem BigBrotherAward in der Katergorie Verbraucherschutz ausgezeichnet. Organisiert wird die jährliche Verleihung der "Oscars für Datenkraken" vom Bielefelder "Verein zur Förderung des bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (FoeBuD). Der Vorwurf: Die RFID-Technik, die von Metro am Niederrhein im eigens umgebauten Extra-Markt getestet wird, gefährde die Privatsphäre der Verbraucher.

Gläserne Konsumenten durch RFID?

Das Kürzel RFID steht für "Radio Frequency Identification" _ Identifizierung mittels Radiowellen. Winzige Computerchips, so genannte RFID-Tags, werden an den Waren angebracht. Sie enthalten Produktinformationen, die von Lesegeräten per Funk erfasst werden können. Im Test-Markt in Rheinberg sind drei Produkte mit RFID-Etiketten ausgestattet: Philadelphia-Frischkäse, Pantene-Shampoo und Gillette-Rasierklingen. RFID-Tags auf CDs, Videos und DVDs ermöglichen das Ansehen von Trailern zu einzelnen Filmen sowie das Anhören von Musik. RFID soll den heute üblichen Strich- oder Barcode ablösen. Das Problem: "Mit RFID kann nicht nur das Produkt, sondern auch der Kunde identifiziert werden - und zwar ohne, dass er es merkt", sagt Datenschützerin Rena Tangens vom FoeBuD. "Werden die Einkaufsdaten mit den Daten einer EC- oder einer Kundenkarte kombiniert, kann das Unternehmen Kundenprofile erstellen." Es drohe der "gläserne Konsument". Denkbar sei, dass die gewonnenen Erkenntnisse über das individuelle Kaufverhalten für gezielte Werbung eingesetzt werden. Ebenso bestehe die Möglichkeit der "Preisdiskriminierung", bei der nicht alle Kunden gleichwertig behandelt werden: "Das Unternehmen kann profitablen Stammkunden niedrige Preisangebote machen, während die Preise für Gelegenheitskunden erhöht werden."

"Technisch möglich, aber wir tun es nicht"

Metro verbannt die Befürchtungen der Datenschützer ins Reich der Phantasie: "Da werden Monstren aufgebaut", sagt Konzern-Sprecher Albrecht von Truchseß. "Eine Verknüpfung von Produktdaten mit persönlichen Kundendaten findet über RFID zu keinem Zeitpunkt statt." Es gebe auch keine Pläne dafür. "Wir wollen nicht verschweigen, dass dies technisch möglich ist, aber wir tun es nicht." Ziel des Projektes sei es, die Warenlogistik effizienter zu machen und Kosten einzusparen. Zukünftig könne der Weg der Ware von der Produktion bis ins Ladenregal lückenlos dokumentiert werden. "Wir wollen mit RFID Warenströme verfolgen, aber nicht Menschen ausforschen." Die RFID-Lesegeräte am Ein- und Ausgang des Ladens dienen lediglich dem Diebstahlschutz.

Rena Tangens vom FoeBuD ist skeptisch: In den Vortragsunterlagen von Gerd Wolfram, dem Projektleiter des Future-Stores, für eine Veranstaltung in Wien im September 2003 stehe doch wörtlich, die RFID-Technik "ermöglicht kundenbezogene Datenbanken und CRM" (Customer Relationship Management). Also doch Kundenprofile? Metro-Sprecher von Truchseß räumt ein, dass dieses Zitat einen solchen "Eindruck erwecken könnte". Entscheidend sei aber nicht die technische Möglichkeit, sondern wie Metro die RFID-Technik tatsächlich nutze - "nämlich nicht zur Kundenüberwachung".

"Einkaufen wird sicherer und attraktiver"

Aus Metro-Sicht bietet die RFID-Technik viele Vorteile für die Verbraucher: "Bei Rückruf-Aktionen sind die belasteten Lebensmittel schnell und vollständig lokalisierbar", sagt Sprecher von Truchseß. Ebenso könne genau festgestellt werden, wo die Kühlkette unterbrochen worden sei. "Einkaufen wird durch RFID nicht nur sicherer, sondern auch attraktiver." Dank des "intelligenten Regals" sei das gesamte Angebot immer verfügbar. "Das Regal meldet automatisch, wenn bei einem Produkt das Verfallsdatum überschritten ist." So könne rechtzeitig die Nachbestellung veranlasst werden. Auch die Wartezeiten an der Kasse könnten abgebaut werden: "In ein paar Jahren wird das Umpacken aufs Kassenband entfallen." Dann werde der Einkaufswagen einfach am RFID-Lesegerät vorbei geschoben. Zudem werde das Bezahlen ohne Kassiererin möglich.

Datenschützer entdecken Anfang Februar 2004 auf der Kundenkarte des Metro-Future-Stores in Rheinberg einen RFID-Chip. Damit sei feststellbar, welcher Kunde wann den Laden betrete und was er kaufe. Metro entgegnet, der Chip diene lediglich dem Jugendschutz. Trotzdem zieht der Konzern die Chip-Karte Ende Februar aus dem Verkehr.

Kundenkarte: Der RFID-Chip ist von außen nicht sichtbar

Die Metro-Group bezeichnet ihre Informationspolitik zur RFID-Technik als "offen und transparent". Die Aktivisten des Bielefelder Datenschutzvereins FoeBuD haben daran starke Zweifel. Sie haben ihre eigenen Erfahrungen gemacht: Ende Januar 2004 besuchen sie den "Future-Store" in Rheinberg, werden offiziell empfangen und bekommen die spezielle Pay-Back-Kundenkarte des Modell-Supermarktes überreicht. Später halten sie die Karte unter ein Röntgengerät und stellen fest, dass sie einen RFID-Chip enthält. "Wir sind bei unserem dreistündigen Besuch nicht auf diesen brisanten Aspekt hingewiesen worden", sagt Datenschützerin Rena Tangens. "Weder Pressesprecher von Truchseß noch Projektleiter Wolfram haben davon etwas erwähnt."

Information über Chip in der Kundenkarte fehlte im Antragsformular

Die Information über den Chip in der Kundenkarte fehlte bis Mitte Februar 2004 auch im Kartenantrag. "Wir haben diesen Hinweis des FoeBuD gerne aufgegriffen", sagt Metro-Sprecher Albrecht von Truchseß am 20. Februar 2004. Er spricht von einer "Lernphase", die bei einem Test-Projekt wie in Rheinberg normal sei: "Wir haben in den letzten Monaten kontinuierlich dazu gelernt und entsprechend reagiert." Rund 10.000 Kundenkarten seien ohne den entsprechenden Hinweis im Antragsformular ausgegeben worden. Rechtlich sei aber alles in Ordnung, behauptet der Firmensprecher: "Wir haben das zuvor von unserer Rechtsabteilung und externen Anwälten prüfen lassen." Es bestehe keine Verpflichtung, im Anmeldeformular darüber zu informieren.

Der FoeBuD hingegen sieht darin einen "klaren Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz". Die NRW-Landesbeauftragte für Datenschutzbeauftragte, Bettina Sokol, hat sich darüber noch keine Meinung gebildet: "Wir planen einen Besuch im Super-Store, um uns vor Ort zu informieren, was genau gespeichert wird", sagt Pressereferentin Bettina Gayk am 24. Februar 2004.

"Karten-Chip wird an keiner Stelle ausgelesen"

Die Entdeckung des RFID-Chips in der Pay-Back-Karte des Future-Stores bestätigt den FoeBuD in seiner Kritik: "Wenn auch die Kundenkarten berührungslos und vom Kunden unbemerkt ausgelesen werden können, ist dem Ausspionieren keine Grenze mehr gesetzt", sagt FoeBuD-Mitbegründerin Rena Tangens. Im Geschäft aufgestellte Antennen könnten die Funksignale der Karte empfangen. Damit sei feststellbar, welcher Kunde wann den Laden betrete und was er kaufe. Metro weist die Vorwürfe zurück: Die einzige Funktion des RFID-Chips in den Kundenkarten sei die, Trailer von DVD-Filmen mit Altersbeschränkung freizuschalten, sagt Firmensprecher von Truchseß. Der Karten-Chip werde an keiner Stelle des Future Stores ausgelesen.

Trotzdem zieht die Metro AG am 26. Februar 2004 die Notbremse: Der Projektleiter der Future-Store-Initiative, Gerd Wolfram, schreibt an FoeBuD, das Unternehmen habe sich "entschlossen, diese Chips in den Extra Future Cards nicht mehr einzusetzen". Die bereits mit RFID-Chips ausgestatteten und vergebenen Kundenkarten würden "in den nächsten Wochen gegen konventionelle Kundenkarten ohne Chips ausgetauscht". Der Einsatz des Chips habe "im Einklang mit den datenschutzrechtlichen Bestimmungen" gestanden. Dennoch wolle Metro mit diesem Schritt "einen Beitrag leisten, überwiegend emotional begründeten Bedenken entgegenzukommen".

Deaktivator für RFID-Chips nur Augenwischerei?

Umstritten ist auch der Mitte Januar 2004 im Future-Store aufgestellte Deaktivator hinter den Kassen. Dort können Kunden ihre gekauften Waren einzeln einlesen lassen und den RFID-Chip auf den Produkten löschen. Für Rena Tangens handelt es sich allerdings um reine Beschwichtigung. Das Gerät überschreibe zwar offenbar den auf dem RFID-Chip gespeicherten Produkt-Code mit Nullen, aber nicht die Hersteller-Seriennummer des Chips. "Richtig", sagt von Truchseß. Das sei aber kein Problem, weil die Hersteller-Seriennummer "mit keinerlei produkt- oder kundenbezogenen Daten verknüpft" sei. Bei einer neuen Generation von Chips, die gerade entwickelt werde, werde es jedoch möglich sein, auch diese Seriennummer zu löschen. "Im Future-Store wird diese Funktion voraussichtlich ab Mitte 2004 angeboten." Für den FoeBuD wäre auch damit das Problem noch nicht gelöst: "Die Deaktivierung fände dann nur außerhalb des Ladens statt", sagt Rena Tangens. Im Geschäft selbst wäre eine Überwachung aber weiterhin möglich.

Ab November soll die RFID-Technik bundesweit eingesetzt werden

Im November 2004 will Metro, das weltweit fünftgrößte Handelsunternehmen, die RFID-Technik bundesweit in rund 250 Märkten einsetzen. Rund 100 Lieferanten sollen ihre Paletten und Verpackungen bereits in den Produktionsbetrieben mit RFID-Etiketten ausstatten. Bis Ende 2007 sollen alle zum Düsseldorfer Metro-Konzern gehörenden Ketten in Deutschland (Real, Extra, Media-Markt, Saturn, Praktiker) auf das neue System umgestellt werden. Der FoeBuD bleibt derweil ebenfalls nicht untätig. Der Verein entwickelt Sensoren, mit dem sich RFID-Etiketten und ihre Lesegeräte orten lassen. "Bisher haben wir nur ein Mittel, RFID-Chips unschädlich zu machen: in die Mikrowelle stecken!", sagt Rena Tangens. "Die verbrannte Ware kann dann aber auch gleich mit auf den Müll."

WDR, 27. Februar 2004
Original: http://www.wdr.de/themen/wirtschaft/1/rfid/index.jhtml;jsessionid=FGZKZXLBB521VFO1YOCXBMQ?rubrikenstyle=wirtschaft