Von Peter Praschl
Männer lieben das Internet. Es erledigt die Jobs, zu denen sie zu faul oder zu feige sind, und es verschafft ihnen eine prima Ausrede für mysteriöse Insider-Kürzel wie "FTP" oder "TCP/IP". Mit seiner Hilfe können sie vorn Schreibtisch aus in Datenbänken stöbern, Pizzas bestellen, Roboter steuern, Brüste beglotzen, Konten bewegen und Fremde beflegeln, ohne je auch nur mit einem verstörend leibhaftigen Menschen Kontakt aufnehmen zu müssen - es sei denn, mit dein noch genialeren Experten am anderen Ende der Nothilfe-Hotline.
Außerdem, und das ist das Beste darin, katapultiert uns das Internet direkt in die Zukunft. Sagt jedenfalls Bill Gates und der ist mit seinen Visionen immerhin zum reichsten Milchbu bi des Planeten geworden. Das beeindruckt Männer immer. Frauen sind da anders. Die meisten jedenfalls. Sie bilden sich ein, Technik sei bestenfalls bequem und nützlich, aber keiner Leidenschaft wert. Und sie stellen unangenehme Fragen, bei deren Beantwortung Fortschrittsapostel leicht zu stottern beginnen.
Männer lieben Maschinen und träu men von einer Datenautobahn, auf der sie rasen können Frauen lieben Menschen und wünschen sich Einen "globalen Dorfbrunnen".
Welchen Sinn macht es, fragen sie zum Beispiel, sich mittels Internet aus einem kalifornischen Rechner ein Musikvideo herunterzuladen, wenn es sowieso den ganzen Tag auf MTV läuft? Wieso per Mausklick einen Hunderte Kilometer entfernten "Telegarden" wässern, dessen Blumen man nicht riechen kann? Und warum soll man sich mit Menschen im Cyberspace treffen statt in der Kneipe oder beim Kaffeeklatsch? Wozu der ganze Krern pel? Bloß, weil er angesagt ist? Rena Tangens ist so jemand. Das modische Gerede von den Datenautobahnen macht sie bockig. "Auf Autobahnen geht es immer nur vorwärts", ätzt sie, "Radfahrer und Fußgänger dürfen nicht rauf, und es gibt kaum Abzweigungen, dafür viel Kahlschlag und Umweltverschmutzung.
Ihre Vision von der Cyber-Zukunft ist menschenfreundlicher: Tangens träumt von einem "globalen Dorfbrunnen", zu dem die Menschen kommen, um ihre Sorgen zu teilen, ihr Wissen auszutauschen, ihre Angelegenheiten zu verhandeln; Bürgernetze als Rückeroberung einer langst verlorengegangenen Öffentlichkeit. Irn geräumigen Keller ihrer Bielefelder Wohnung plätschert und sprudelt dieser Dorfbrun nen schon. Fein säuberlich in ein Sperrholzregal geschichtet stehen hier die Rechner, durch die die Datenströme der //BIONIC-Mailbox fließen, die Tangens und ihr Freund "padeluun" Jahre vor dem Intenet-Fieber gegründet haben. Wer für 15 Mark im Monat zum //BIONIC-Mitglied wird, hat Zutritt zu einem raren Kommunikationsparadies. In den öffentlichen Foren, "Bretter" genannt, diskutieren Hunderte von Menschen über alles, was ihnen am Herzen liegt: über SPD und Umweltschutz, Frauenfragen und Wissenschaft Gott und die Weit - und ganz ohne die forschen Manieren, die im Internet so häufig nerven.
Schon gar nicht sollen die leisen Stimmen jener verloren gehen, die sonst nichts zu sagen haben: Einer der Rechner im //BIONIC-Keller ist der Hauptknotenpunkt von "ZaMir" einem über-regionalen Computernetz im ehemaligen Jugoslawien, dessen Name "für den Frieden" bedeutet. Mit seiner Hilfe konnten all die Kriegsjahre hindurch Privatpersonen und Organisationen über die Fronten und Schützengräben hinweg Nachrichten austauschen, SuchMeldungen etwa, Hilfsaufrufe oder unzensierte Augenzeugenberichte. Weil die einander bekriegenden Regimes ihre Post und Telefonverbindungen zueinander größtenteils gekappt haben, läuft der Bürger-Verkehr nun eben über Bielefeld: elektronische Kommunikation als gesellschaftliche Notwehr.
Die Arbeit, die Tangens macht, hat wenig zu tun mit dem Medien-Hype, der uns tagtäglich um die Ohren geschlagen Wird. Trendsurfer die an coolen Designs oder abgefahrenen Videos interessiert sind, werden von //BIONIC vermutlich enttäuscht sein. Hier gibt es gute alte Wörter, weiß auf blauem Grund. Das wunderbare Zagreb-Tagebuch des holländischen Friedensaktivisten Wam Kat etwa statt der miauenden Katze bei Clintons. Low-Tech, sagt Tangens: "Wir wollen keine elektronischen Umweltverschmutzer sein, keine Ressourcen vergeuden, die Telefonleitungen nicht mit Datenmüll verstopfen *
Die nicht so ganz raffinierten technischen Standards von //BIONIC ermöglichen es auch Leuten ohne teure Geräte und ständig verfügbare Leitungen, an der Kommunikation teilzunehmen. Dabei kann Tangens auch an ders. Wenn es drauf ankommt, singt sie den ganzen Techno-Jargon im Schlaf. Im Verein "FoeBuD", der zu //BIONIC gehört, versammelt sich ein Gutteil der europäischen Häcker- und Häcksen-Elite, und alle paar Wochen halten bei "Public domain"- Veranstaltungen illustre Experten Vorträge über Datenschutz, "künstliche Dummheit" oder die Gefühlswelt von Computern, zu denen Interessierte schon mal ein paar hundert Kilometer anreisen.
Wenn es in der Netz-Kultur bislang nur wenige Frauen wie Tangens gibt, liegt das daran, daß sie sich oft so willkommen fühlen wie ein Systernabsturz. Die Massenmedien suchen im Netz den Nervenkitzel und berichten mit Vorliebe über Kinderpornos, Bombenbauanleitungen und Neonazis - was Frauen garantiert nicht anregend finden. Und die Internet-Fachblätter sind ein klares Männer-Ding: ausführliche Testberichte über superschnelle Modems und hochleistungsfähige Programme, Portraits von Cyber-Freaks, denen man ansieht, daß sie im wirklichen Leben jede Menge Probleme haben, marktschreierische Verweise auf "irre" Internet-Adressen, unter denen man dann kalifornische KaffeeMaschinen oder Anna-Nicole-Smith-Fanclubs findet.
Tatsächlich ist das Netz-Land ein Refugium für wuchernden Männerschwachsinn und Ungezogenheiten, die sie sich im wirklichen Leben kaum noch leisten können, ohne Streß zu bekommen. In den "Newsgroups" etwa, den Diskussionsforen des World Wide Web, sind es immer die Kerle, die das große Wort führen, ellenlange Traktate zu noch so kleinen Problemen absondern, sich in haarspalterischen Diskussions-Schlachten verzetteln und unwirsch reagieren, wenn Neulinge ihre Anfängerfragen stellen. Frauen sind diplomatischer, fragen nach, sprechen auch schon mal über ihre Gefühle - und werden dafür immer wieder mal angebaggert, auch wenn sie vor einem Bildschirm am anderen Ende der Welt sitzen.
Wieviele Frauen sich trotz allem im Cyberspace bewegen, weiß niemand genau, da die Netze rasant wachsen und ihres dezentralen Charakters wegen statistisch nur schwer zu vermessen sind. Während neuere US-Untersuchungen den Anteil der Userinnen mit 15 bis 30 Prozent beziffern und bei den Neuzugängen sogar einen Frauenüberschuß konstatieren, sieht es in Deutschland wesentlich trister aus. Eine jüngst an der Uni Trier entstandene Studie veranschlagt den Anteil der weiblichen "Datenreisenden" in deutschen Netzen mit kläglichen vier Prozent - wobei aber berücksichtigt werden muß, daß viele Frauen unter ihren geschlechtsneutralen Initialen online gehen, um sich Generve mit Männern zu ersparen.
Von akademischen und feministischen Netz-Adressen abgesehen, gibt es in Deutschland noch nicht allzuviel Angebote, die speziell für Frauen von Interesse sein könnten. Die paar Pionierinnen, die in den deutschen Netzen werken, haben ihr Handwerk oft in den USA gelernt, wie die evangelische "Online-Pfarrerin" Melanie Graffam-Minkus die von München aus elektronische Seelsorge betreibt. In Amerika sei das längst üblich, erzählt sie, und verweist auf einschlägige religiöse Cyber-Dienste wie "Ask Your Rabbi".
In den USA dagegen hat das vormals reichlich testosteronhaltige Internet erfreulicherweise schon eine kräftige Östrogen- Injektion bekommen. Eigene Frauennetze wie "Women's Ware'' oder "Virtual Sisterhood" versorgen ihre Userinnen mit Nachrichten, Datenbanken und Expertinnentips oder verschaffen direkten Zugang zu großen Frauenkonferenzen wie ver gangenen Herbst in Peking. Wissenschaftlerinnen finden ebenso ihre Diskussionsforen wie Einhandseglerlinnen ihre Women's Sport Pages; Modesüchtige können bei Fashion Net die neuesten Kollektionen begutachten, Krebs-Patientinnen in Cyber-Selb hilfegruppen Mut schöpfen auch über-gewichtige Lesben finden hinreißenden Zuspruch, bei "Fat Girl" aus San Francisco. Für rebellischen Humor sorgen Cybergirl-E-Zines wie "Foxy!" mit hilfreichen Listen a la "Zehn gute Gründe, um das Arschloch endlich sitzenzulassen". Und brüllkomische Erotik-Sites wie "FemmeWorld" nehmen die auf dem Netz so häufig vor sich hin pubertierenden Phantasien von College-Knaben auf die Schippe und malen sich lüstern sexy Matriarchate aus.
Längst auch haben die amerikanischen Netsurferinnen Vorbilder - die legendäre Häckse Jude Milhon etwa, in der Szene bloß "St. Jude" genannt. Seit 1967 knackt sie Programme, 1973 war sie dabei, als in Berkeley das erste öffentliche Netz gegründet wurde, und nie hat sie daran gezweifelt, daß der Cyberspace, in dem alles nur auf Worte, auf Witz und Intelligenz ankommt, den Frauen die Chance bietet, die vom Sexismus gezogenen Grenzen zu überschreiten. "Girls need modems", lautet ihr Credo, das sie mit poetischer Verve verficht: "Online kannst du lernen, furchtlos zu werden, du kannst es dir leisten, kühn zu sein. Das Netz nimmt dir sogar deine Stimme: Und wenn du nichts hast, hast du auch nichts zu verlieren. Du kannst sogar das Unerhörteste tun: einfach ehrlich sein."
Selbstverständlich finden sich gute Gründe dafür, solchen Modemokratie-Visionen ge genüber skeptisch zu bleiben - und sei es nur der, daß Mut sich nicht einfach so beschließen läßt. Fest steht aber: Wer sich nicht beizeiten mit den neuen Informationstechnologien auseinan dersetzt, wird von der Entwicklung überrollt werden und begibt sich der Chance, sie mitzugestalten.
So die pragmatische Position von Silke Faubel, Co-Leiterin des Berliner FrauenComputer-Zentrums und Systembetreiberin der Frauenmailbox "FemNet Berlin". In ihren Einführungskursen nimmt sie Frauen - vor allem solchen, die nach Kinderpause oder Scheidung wieder ins Berufsleben einsteigen wogen - die Scheu vor angeblich dummen Fragen und der vermeintlich undurchschaubaren Technik. "Viele, die zu uns kommen, wollen erst mal ängstlich wissen, ob sie auch wirklich nichts kaputtmachen können. Dann lasse ich sie mit beiden Händen auf die Tastatur trommeln und schraube die Rechner auœ" Faubel, in ihrem Vorleben Soziologin, gibt viel auf die emanzipatorischen Potentiale, die in den Computer-Netzen stecken - gerade auch für Frauen, die keiner technologischen oder gesellschaftlichen Avantgarde angehören oder auf dem flachen Land leben, wie die berühmte ¯Hausfrau und Mutter", die sich im Internet ein elektronisches Fenster zur Welt aufstoßen und ihre Isolation ein wenig aufknacken könnte. "FernNet", ein bundesweiter Zusammenschluß von Frauen-Mailboxen, bietet dazu eine nicht-sexistische Gelegenheit - und darüber hinaus Zugang zu diversen anderen Netzen, was jeden Nischen-Verdacht erledigen dürfte.
Wie Faubel wollen auch die Künstlerin Catherine Lutz-Walthard und die Soziologin Bettina Lehmann die Frauen dort abholen, wo sie sind. Im Auftrag von drei Schweizer Gleichstellungsbehörden haben die beiden die CD-Rom "ProNet" gestaltet. Die beste Interriet-Einführung, die im deutschsprachigen Raum zu haben ist, erlaubt es Frauen (und nicht nur ihnen), sich in einer Art Trockentraining das Basis-Wissen für das Netsurfen anzueignen. In bestens kommentierten Simulationen lemt man unter anderem, wie man E-mails verschickt oder irn globalen Datendschungel recherchiert, ein Glossar erläutert die Fachbegriffe, ohne weitere Verwirrung zu stiften, und ein Diskussionsforum versammelt hilfreiche Argumente zu häufig angstbesetzten Themen wie Pornographie oder Datensicherheit. Dazu gibt es ein gutes Dutzend Interviews mit Netz-Werkerinnen wie der über 60jährigen Baslerin Nelly Meyer-Fankhauser, die per Internet ein Ein- Frau-Unternehmen betreibt, oder der New Yorkerin Kathryn Turnipseed, die aus einer hochbezahlten Wall-Street-Karriere desertierte, um in Zagreb die "Electronic Witches" zu gründen, eine Gruppe, die Frauen im ehemaligen Jugoslawien den Umgang mit elektronischer Kommunikation beibringt. Das Erstaunlichste an "ProNet" ist, daß es sich um eine staatlich geförderte Initiative handelt, die Frauen für den "Wandel von der Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft zu weltweiten Informationsgemeinschaften" qualifizieren will - ein Vorhaben, das deutschen Politikern eher selten in den Sinn kommt. Zukunft hin, Informationsgesellschaft her: Der Computer ist die persönlichste, die intimste Maschine, die die Menschheit je erfunden hat. Jede elektronische Schaltung ein Gedanke, jedes Bit ein Gefühl, in jedem Chip abertausende Synapsen, Kaskaden von Ideen. Elisa Rose hat das schon immer gewußt. Für sie waren Computer nie kalte Kästen, sondern eher so etwas wie die zeitgemäße Form von Kirchenfenstern. "Die letzte analoge Kunst" , sagt sie, die "das Spiel von Licht und Geist" in Gang zu setzen verstand '
Einst hat sie Mode bei Karl Lagerfeld studiert; nicht übel, aber es war damit verbunden, daß sie mit Scheren in den Stoff hineinschneiden mußte, jede Kreation ein Akt der Gewalt. Im immateriellen Raum des Cyberspace kann sie nun ihre Gedanken, Ästhetiken aus dem übervollen Kopf auslagern, ohne daß das Material vor Schmerzen schreit.
Gemeinsam mit ihrem Freund Gary Danner betreibt sie seit acht Jahren, zuerst in Wien, ab 1991 in Frankfurt, die "Station Rose", ein reges Kraftwerk der internationaten Multimedia-Kunst. Mit einem imponierenden Produktionsausstoß arbeiten Rose und Danner an Intelligent Techno, multimedialen Performances, Public Brain Sessions, CD-Roms - und an der Einrichtung ihres virtuellen Heims im Cyberspace. Wer ihre Internet-Homepage anklickt, stößt auf Bildergalerien und Videoclip-Archive, kann sich Techno-Endlosschleifen -auf den eigenen Computer laden oder sich in Videokonferenzen einloggen, interaktive "Late Night Shows".
In der analogen Welt bewegt sich das "Station Rose"-Paar nur noch seiten. Dafür ist der Ver kehr mit den Netizens, den Bürgern der Netz-Welt, um so intensiver: kleine Aufmunterungen für den krebskranken Psychedelik- Pionier Tim Leary, luzide Gespräche mit dein Virtual-Community-Gui-u Howard S. Rheingold, Online-Meetings mit Japanerinnen und Freaks im tiefsten Texas, eine nette Gemeinde, deren Mitglieder eben über den Planeten verstreut sind anstatt in eine Kneipe gepackt. Die Sorte Leben, die Elisa Rose sich angewöhnt hat, nennt sie "digital bohemian lifestyle". Alles, was sie tut, hat sie auch schon früher im Underground der analogen Welt getan: die Nächte durchmachen, Partys feiern, endlos mit Freunden reden, Ekstasen produzieren, Drogen nehmen. Bloß, daß sie dazu jetzt keinen Fuß mehr aus ihrer Wohnung tun muß und "digital ecstasv" nimmt, was sowieso besser kommt. Der Computer ist in diesem Leben mehr als etwas so Schnödes wie ein Werkzeug: Er ist die beste Stimulanz. Es nervt sie ganz fürchterlich, daß Menschen nur zehn Prozent ihrer Gehirnkapazitäten nützen; sie will alles, und das will sie von ihren Maschinen lernen. Multi-Tasking. Mehrere Programme gleichzeitig laufen lassen. Alles mit allein vernetzen und gucken, was geschieht. Schnell sein. Flüssig werden wie der Datenstrom. "Ich bin kein 'material girl'", lacht sie, "ich bin eine digitale Frau."
Amica