Die Frauen kommen - langsam, aber gewaltig!

Menschen im Netz

"Sag mir, wo die Frauen sind..." Nach den Ergebnissen der meisten Internet-Umfragen überspringt der Frauenantell im Netz nicht einmal die Fünf Prozent-Hürde. com! hat sich nach den Netzbürgerinnen umgesehen und erstaunlich viele gefunden. Es stimmt nicht, daá viel weni ger Frauen als Männer im Netz sind, sie stellen sich nur weniger aufrecht hin und brüllen nicht laut Kikeriki!", beurteilt Rena Tangens, Mailbox-Pionierin der frühen Tage die Online-Präsenz ihrer Geschlechtsgenossinen.

Pionierin mit Vision.

Rena Tangens ist schon lange dabei - noch bevor Internet & Co. schick wurden: "Was mich interessiert, habe ich gemacht. Ob das jetzt das Rumschrauben an einem Auto ist oder einen Computer zu benutzen." Um so "erschrockener" war die attraktive Softwerkerin, als sie 1988 beim alljährlichen Hacker-Treffen, dem Chaos Communication Congress in Hamburg, nur eine Frau antraf. Anreiz für sie, bei künftigen Kongressen Workshops für Frauen zu veranstalten. Der Anteil der KongreáTeilnehmerinnen ist seitdem wesentlich gestiegen. Doch heute will die Betreiberin der Bionic-Mailboxen - in denen unter anderem Schwarze Bretter für Frauen installiert sind - und Teilhaberin des Zerberus-Software-Unternehmens (http://www.zerberus. de) noch mehr: "Es gibt noch zu wenig Frauen in den Netzen, die Themen sind männlich vorbelastet und interessieren Frauen wenig." Sowohl die Software als auch die Strukturen in der Online-Welt seien überwiegend an Männern orientiert: "Wie sollen sich Frauen beispielsweise in einer Newsgroup willkommen fühlen, wenn sie nicht persönlich mit Namen angesprochen werden?" In Vor-trägen und wissenschaftlichen Arbeiten will sie darüber aufklären und eine gleichberechtigte Kommunikation im Netz schaffen. So hat sie auch dafür gesorgt, daá in der Zerberus-Netzsoftware die elektronischen Briefkästen perfekt verschlüsselt sind und so die Privatsphäre der TeilnehmerInnen gewahrt bleibt.

Karrieren im Netz.

Wie frau im Netz beste Geschäfte machen kann, beweist ausgerechnet eine Untemehmerin, die vornehmlich Männern das Geld aus der Tasche lockt: Beate Uhse, berühmte Versandhändlerin aus Deutschlands Norden, klärt mit groáem Erfolg über T-Online und das Internet auf. Daá auch hinter guten Online-Angeboten oft Frauen stecken, beweisen Laura Fillmore, die 1992 den erfolgreichen Online Bookstore OBS (http://www.obsus.corn) gründete, und Sibylle Seidel, die in Hamburg die Online-Ausgaben des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" managt (http://www.spiegel.de und *spiegel#).

Karriere ums Netz.

Heute treten (noch) vor allem Männer in Erscheinung, wenn wichtige Dinge im und ums Netz passieren. Das wird sich jedoch vielleicht bald ändern. Candace Johnson, internationale Expertin für Telekommunikation, hat nicht nur Europe Online (http://www.europeonline.com) mitbegründet, sondern auch das Global Telecom Womens Network. Dieser bis jetzt 40 Mitglieder zählende Verband will Frauen in die Vorstandsetagen der Telekomfirmen bringen. Candace Johnson geht selbst mit gutem Beispiel voran. Sie war in führenden Positionen bei den Satellitenunternehmen Iridium, Teleport Europe und Astra. Gröátes Ziel der Online-Karrierefrau: "Die internationalen Netze waren bis vor zwei Jahren auschlieálich von der Männerwelt geprägt. Die Kommunikation muá aber grenzenlos werden, so daá alle Barrieren fallen und sie bis in die Familien, bis zu den Müttern geht."

Madame *0#.

"Es gibt viele interessante Programme, sowohl für Männer als auch für Frauen.- Dagmar Stark muá es wissen. Sie wertet täglich das T-Online-Angebot aus, um das Suchsystem, das auf der "Nullseite" beginnt, auf dem laufenden zu halten. "Madame *0#" findet Programme sinnvoll, "die im Alltag nützen - wie die Bahnseiten - und nicht nur auf Abzockerei abzielen." Was die Online-Redakteurin stört, ist, daá es einen "Haufen Erotik gibt, der nur einseitig auf Männer ausgerichtet ist." Sie wünscht sich für die Zukunft, "daá sich mehr Frauen fürs Online-Geschehen interessieren und selbst mehr ins System stellen, warum nicht auch erotische Angebote für Frauen?"

Fit fürs Netz und Telearbeit.

"Schade, daá so wenig Frauen im Netz sind", bedauert Ilse Stiller. Die Fachbuchautorin und Dozentin an der Münchner Frauencomputerschule, sieht den Grund dafür vor allem darin, daá das Internet mit dem Attribut Technik versehen wurde. Und: "Internet hat auch viel mit Spielen zu tun. Der spielerische Trieb ist aber bei Männnern mehr entwickelt", erklärt die freiberufliche EDV-Trainerin. Frauen würden eher die Dienste anpeilen, die einen praktischen Nutzen haben wie E-Mail oder die Newsgroups. Ilse Stiller glaubt, daá der Hauptnutzen des Netzes in der Telearbeit liegen wird: "Es wird ganz viele Tätigkeiten geben, die sich in Zukunft übers Netz abwickeln lassen!" Damit Frauen (und Männer) dafür gerüstet sind, hat sie ein Grundlagenbuch geschrieben, das als Führerschein für die Datenautobahn dienen soll.

Bürgernah und frauenfreundlich.

"Es stimmt nicht, daá die Frauen nicht im Netz sind", behauptet dagegen Gabriele Hoofacker, promovierte Journalistin, Buchautorin, Dozentin und Gründerin des Münchner Medienladens und des CL-Bürger-Netzwerks, "die arbeiten damit und reden nicht soviel darüber wie die Männer." Bei den Seminaren der Online-Allrounderin sind 99 Prozent der Teilnehmer Frauen. Gabriele Hoofacker engagiert sich seit über zehn Jahren im Netz. Vor allem die Foren haben es ihr angetan: "Das WWW nutze ich nur, wenn ich dazu gezwungen werde. Die Newsgroups dagegen sind nicht zu unterschätzen." Ihre Empfehlung für Onlinerinnen: news://cl.frauen.allgemein, ein Schwarzes Brett im CL-Netz, das frauenspezifische Tips für Beruf, Gleichberechtigung und Veranstaltungshinweise gibt.

Aus Neugierde ins Netz.

"Neugierig sein und einfach reinschauen", das empfiehlt Carola Hubert allen Netzsurfern. Die Pro-Sieben-Assistentin war von den Möglichkeiten des PC so begeistert, daá sie sich für zuhause eine komplette Ausrüstung kaufte, um auch privat mit ihren Freunden in den USA per E-Mail zu kommunizieren: "In meinen elektronischen Briefkasten schaue ich jeden Tag", gesteht sie. Ihrer Meinung nach macht Online-Sein Frauen und Männern gleich viel Spaá. Aber: "Frauen sind mutiger und neugieriger", glaubt sie. Als Football-Fan freut sie sich darüber, daá sie im WWW Infos zu ihren Vereinen (beispielsweise http://members.aol.com/wildbells/index.html) abrufen und "fantasymäáig" selbst mitspielen kann.

Der Kongreß tanzt...

wenn Beate Werlin 'die Net-Society um sich versammelt. Die quirlige Organisatorin von Online-Kongressen beim Münchner Veranstalter Communic (http://www.communic.de) zieht auch praktischen. Nutzen aus den neuen Medien: ¯Sämtliche Vorträge unserer Referenten erhalten wir bereits über E-Mail", freut sie sich. Einzige Kritik, die ihr zur neuen Netzgemeinde einfällt: "Leider gibt es immer noch Probleme, wenn wir Dateien zwischen den verschiedenen Providern übers Internet schicken wollen.® Ihre Kongreá-Teilnehmer sind (leider) meist männlichen Geschlechts. Für ihren "lst Eurpe@n Internet Kongreá", der im Juli in Luxemburg stattfindet, will sie allerdings mindestens eine oder zwei Referentinnen gewinnen.

Eine Homepage für mich allein.

So könnte das Motto der wenigen Damen lauten, die ihre eigene Web-Site ins Internet eingespielt haben. Bettina Elsholz ist DV-Tutorin an der Uni Augsburg und baut ihre Homepage gerade auf (http://www.public.uni-augsburg.de/~elsholz/welcome.html). Bis jetzt gibt's ihre Lieblingslinks und ein Foto. Ina Becker aus Stuttgart ist "hauptberuflich" Informatikstudentin, im Nebenjob zeichnet sie Cartoons und Karikaturen, die sie auf ihrer Homepage (http://www.informatik.uni-stuttgart.de/fachschaft/adressen/iabecker/) veröffentlicht, darunter auch ihr Selbstporträt.

Keine Musen, sondern interaktive Künstlerinnen.

Elisa Rose ist durch die "Station Rose" im Netz bekannt. Es handelt sich um ein Multimedia-Kunst-Projekt, das sie mit ihrem Partner Gary Danner 1988 in Wien begonnen und später in Frankfurt und im Netz fortgesetzt hat (http://www.well.com/user/gunaf). Das Künstler-Duo will im digitalen Zeitalter neue Kommunikationsformen aufbauen und seine interaktive Kunst über die Datennetze weltweit zur Performance bringen. Elisa Rose ist davon überzeugt, "daá die Technologie eine riesige Chance bietet, damit Männer und Frauen gleichberechtigt zusammen arbeiten können." Auf jeder Veröffentlichung der Station Rose - beispielsweise auf ihrer letzten CD Gunafa - steht ein Verweis auf ihre E-Mail-Adresse. Žhnliche Absichten hegt ihre Kollegin Sue Gollifer, die Dozentin am College of Arts in Brighton ist und im WWW ihre virtuelle Galerie führt. Sie fordert, "daá Künstler das Netz übernehmen sollten und Frauen... warum denn nicht?"

sc

com!, Mai 1996