Kampf gegen den großen Bruder

Zwei Netz-Aktivisten machen sich für ein freies Internet stark ? ihr derzeitiger Lieblingsfeind ist der Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow

Von Torben Müller

Bielefeld - Es mag Menschen geben, die ihn für einen Irren halten. Für einen, der Gespenster sieht, weil er zu viele Bücher wie Orwells "1984" gelesen hat. Doch den dunkelhaarigen Mann mit dem schwarzen T- Shirt interessiert das nicht sonderlich. Es ist wohl nur eine Art Bestätigung für ihn: Dafür, dass es dort draußen sehr viele Unwissende gibt, die nicht merken, wenn es ihren Grundrechten an den Kragen geht. "Es ist eine verrückte Welt, in der wir leben", sagt der Mann, "deswegen nenne ich auch meinen richtigen Namen und mein Alter nicht." Er will sich abheben, emanzipieren, nicht dazugehören. Im übrigen könnte ja jemand Missbrauch treiben mit seinem Namen. Der Mann nennt sich deswegen padeluun und muss um die 40 sein. Mittlerweile ist er sehr bekannt. Nicht in der realen, sondern eher in der virtuellen Welt. Er und seine Partnerin Rena Tangens kämpfen seit Jahren gegen Datenmissbrauch und Zensur im Internet. Bisweilen wird das Künstler-Duo wegen seines radikalen Einsatzes sogar gefürchtet.

Der Kleinkrieg, der sie zurzeit am meisten fordert, wurde vor einigen Wochen in Düsseldorf ausgelöst. Dort kündigte der Regierungspräsident Jürgen Büssow ein härteres Vorgehen gegen rechtsextreme Internet-Seiten an. Um ausländische WWW-Seiten mit Nazi-Propaganda von nordrhein-westfälischen Computern fern zu halten, wies er die Provider an, den Zugang zu zwei US-Internet-Seiten zu sperren. Das hat nicht nur padeluun und Tangens erzürnt. Auch die nordrhein- westfälische Internet-Wirtschaft läuft seitdem Sturm gegen Büssows Absicht: Erst am vergangenen Mittwoch meldete sie sich wieder zu Wort und bemängelte, dass die Sperrungsverfügungen vor rechtlich ungeklärtem Hintergrund ausgesprochen worden seien.

Padeluun und Tangens sehen das genauso. Bereits Anfang April gingen sie gemeinsam mit Mitgliedern des Hamburger "Chaos Computer Clubs" und mehreren hundert Demonstranten in der Landeshauptstadt auf die Straße. "Büssows Maßnahme richtet sich nicht gegen die Urheber der Seiten, sondern gegen das Medium", sagt padeluun. Wie so oft werde der Überbringer der Nachricht, nämlich der Provider, bestraft. Und das nicht einmal wirkungsvoll: Denn im Fall einer Sperrung wichen die Anbieter der Nazi- Seiten einfach auf eine neue Adresse aus.

"Das Netz ist ein Abbild der realen Welt", sagt padeluun. "Alles, was es in Wirklichkeit gibt, existiert auch dort." Es reiche nicht aus, NS-Seiten zu blockieren " "denn wegfiltern heißt wegsehen". Den Einwand, dass Jugendliche vom Nazi-Schund leichter angezogen werden könnten, solange er verfügbar ist, lässt er nicht gelten: Statt solche Angebote zu sperren, sollte die Regierung lieber real etwas gegen den Rechtsextremismus unternehmen und stärker über dessen Gefahren informieren. Aufgeklärte Jugendliche könnten solche Seiten besser einordnen und würden den leeren Versprechen nicht so leicht erliegen.

"Ist das Kunst, oder was?"

"Symbolische Politik" nennt padeluun den Düsseldorfer Kurs. Ein Feigenblatt, das das Übel nicht beseitige, sondern nur noch mehr Schaden anrichte. Denn die Methode könnte bald auch andere treffen, fürchten die Künstler und sehen die Grundfeste der Meinungsfreiheit gefährdet: "Jeder muss im Netz alles sagen dürfen. Wir sind gegen jede Form von Zensur", sagt Tangens. Was mit Nazi-Seiten anfange, ende womöglich einmal bei Angeboten, die Politikern, Wirtschaft oder anderen Lobbys nicht gefielen. Um das zu verhindern, haben Tangens und padeluun nicht nur auf der Straße demonstriert, sondern auch eine Art virtuelle Unterschriftenaktion mit ins Leben gerufen: "Dein Klick gegen Netzzensur" nennt sie sich.

Manchmal werden padeluun und Tangens gefragt, warum sie sich als Künstler für den ungestörten Zugriff auf Informationen im Internet engagieren. Dann verweisen sie auf den Namen ihres Projekts: "Art d'Ameublement" " Kunst als Inneneinrichtung. Sie wollten "Rahmen schaffen, in denen Menschen frei kommunizieren und sich wohl fühlen können, sagen sie. Als einen solchen Rahmen ließe sich auch das Schaufenster ihres Büros in der Bielefelder Innenstadt bezeichnen. Wenn Passanten durch die Scheibe schauen, stehen sie oft vor einem Rätsel. "Ist das Kunst, oder arbeiten die da richtig?", fragen sie sich, wenn sie die beiden Menschen im Laden telefonieren und am Computer tippen sehen. Ganz unberechtigt ist die Frage nicht, schließlich hängt in der Auslage ein Schild "Büro - eine Installation der Wirklichkeit", und dahinter sitzen padeluun und Tangens. Doch die Aktenordner oder das "Sekretärinnen-Handbuch" in den Regalen sind nicht bloß Staffage und das geschäftige Treiben ist keine Simulation: Tangens und padeluun arbeiten dort tatsächlich. Und das schon seit 15 Jahren.

1987 gründeten die beiden in Bielefeld den "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" und schufen zwei Jahre später zusammen mit Programmierern einen elektronischen Rahmen, der eine ganz neue Form der Kommunikation ermöglichte: die Computer-Mailbox "Bionic". Wie heute im Internet konnten die Nutzer damals elektronische Post verschicken und sich online unterhalten. Kein Fremder konnte die verschlüsselten Texte mitlesen, alle durften alles sagen. "Denn nur in einem Raum ohne Zensur können Menschen sich frei und unbeschwert austausche", sagt Tangens und beantwortet damit die Frage nach der Verbindung zur Kunst. Inzwischen hat das Internet die Mailbox-Systeme überrollt, in die Bionic-Box wählt sich kaum jemand mehr ein. Und so wechselten auch Tangens und padeluun Mitte der 90- er Jahre das Medium und entdeckten das World Wide Web.

Ihr wohl bekanntestes Projekt, das sie in dieser Zeit konzipiert haben, ist der "Big Brother Award", den sie aus England adaptiert haben und seit zwei Jahren auch in Deutschland verleihen. Zu "Preisträgern" werden Menschen, Firmen und Organisationen gekürt, die aus Sicht von Tangens und padeluun die Privatsphäre der Bürger beeinträchtigen und die Weitergabe fremder persönlicher Daten fördern. Auf der Gewinnerliste stehen prominente Namen: zum Beispiel Bundesinnenminister Otto Schily, der ehemalige Berliner Innensenator Eckehard Wertebach oder die Deutsche Bahn.

"Wir wollen mit dem Preis die Öffentlichkeit auf Missstände im Datenschutz aufmerksam machen", sagt padeluun. Das ist ihnen schon in kurzer Zeit gelungen: Bereits über die Premiere im Bielefelder Bunker Ulmenwall berichteten Medien aus ganz Deutschland und sogar aus Frankreich. Der schnelle Erfolg liegt vielleicht auch am routinierten Marketing der Preisverleiher: Während des Interviews in einem Café in der Innenstadt trägt Tangens ein T-Shirt, über das sich der große "Big Brother Awards.de"-Schriftzug erstreckt.

Abgeholt hat sich den Oscar der Datenschnüffler allerdings noch keiner der "Preisträger". Immer noch steht die vom Oerlinghauser Künstler Peter Sommer gestaltete Trophäe im Ladenfenster bei Art d'Ameublement in der Marktstraße: Etwa 20 Zentimeter ist das Terrakotta-Männchen groß, mit einem Bleiband gefesselt und von Kopf bis Fuß von einer Glasscheibe gespalten, auf der in Binärcode, der Sprache der Computer, eine Passage aus Aldous Huxleys "Schöner neuer Welt" steht.

Wo das Böse lauert

Doch trotz des offiziellen Desinteresses der Gewinner haben die Preisverleiher schon etwas bewegt. Eckehard Werthebach schaffte entgegen seinen Plänen keine Abhörgeräte zur Mobiltelefon-Überwachung in Berlin an, und die Münchner Firma Loyalty Partner musste nach einem verlorenen Gerichtsprozess die Teilnahmebedingungen für seine "Payback"-Rabattkarte, mit der Kunden zum Beispiel bei Obi, Real oder Dea Rabattpunkte sammeln können, ändern. Durch das alte System wäre eine unzulässige Speicherung und Weitergabe persönlicher Daten möglich gewesen.

Auch beim Kampf gegen "Payback" seien sie oft auf Unverständnis gestoßen, sagt Tangens. "Oft hören wir die Frage: ,Wieso sollten die nicht wissen, was ich kaufe? Ich habe doch nichts zu verbergen." Die Netz-Aktivistin spricht dann von Werbeangeboten, die für den minutiös vermessenen Kunden maßgeschneidert werden und anschließend im Briefkasten landen. Außerdem gibt sie zu bedenken, dass vor fünf Jahren auch kein Käufer von Rindfleisch gedacht hätte, dass sich einmal die Kranken- oder Lebensversicherung dafür interessieren könnte. Schließlich könne das Fleisch ja BSE-infinziert sein und damit die Gesundheit des Käufers beeinträchtigen.

Rabattkarten-Schnüffler, Telefon-Abhörer, Internet-Zensoren - wenn Tangens und padeluun davon erzählen, scheint es, als lauere in der modernen Kommunikationsgesellschaft hinter jeder Eingabeaufforderung und hinter jedem Ein-und-Aus-Schalter das Böse. Doch welche Gefahr ist echt, welche von künstlerischer Kreativität ersponnen? Führt der Weg des Widerstands gegen Datenmissbrauch und Fremdbestimmung im Netz nicht unausweichlich in die Paranoia? "Nein", sagen beide synchron voller Überzeugung. "Man kann sich nämlich auch gegen den Wahnsinn entscheiden", fügt padeluun lächelnd hinzu - und es sieht nicht aus wie das Lächeln eines Irren.

Stars aus der virtuellen Welt: Rena Tangens (links) und padeluun haben sich im Kampf gegen Zensur und Datenmissbrauch einen Namen in der Netz- Aktivisten-Szene gemacht. Mit ihrem Verein FoeBuD kämpfen sie für die freie Kommunikation im WWW. Manche halten die beiden für ein bisschen verrückt. Einer davon könnte Düsseldorfs Regierungspräsident Jürgen Büssow sein.

Süddeutsche Zeitung, 17. Mai 2002
Original: http://szonnet.diz-muenchen.de/REGIS_A14193046