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Pl@net BIELEFELD

DIE GANZE STADT WIRD INTERNET

Jochen Mayer kann das Wort "Internet" eigentlich nicht mehr hören - und arbeitet an einem bielefeldweiten Internet ohne Internet; Volker Schimmel wußte vor 3 Wochen noch nicht was ein Baud ist - und macht in drei Wochen Bielefelds erstes Online-Cafe auf; Michael Falkenstein ist verzweifelt, weil seine eMails ständig als "vom mac geschickt" fehlausgezeichnet werden - und fälscht demnächst im Internet Franjo Tuchmans Präsidenten-Homepage als virtuelle Kunst; Hans-Rudolf Holtkamp verdient sein Geld mit dem Image-Marketing der Stadt - und erlaubt freundlich, daß uralte City-Infos die Datenwege der Welt blockieren; gut unterrichtete Kreise werkeln mit Bertelsmann und America Online an der weitaus größten Regional-Tageszeitung im World Wide Web - aber die aktuellsten Termine der Stadt gibt es immer noch nur über Mailbox; bis zu 1 Million Kunden im Regionaltakt-Bereich versprechen sich Vernetzungs-Experten vom Standort Bielefeld - und ließen im letzten Monat die Zahl der lokalen Internet-Anbieter von 1 auf knapp unter 10 hochschnellen. Zuletzt Jochen Mayers Quicksoft-Firma, die aber noch an ihrer Standleitung schraubt. Da soll sich noch einer durchfinden. Eben. Das ist der Witz: daß man sich selber durchfinden muß. Weil das Internet ungeplant zusammenwucherte, ist es jetzt ein weltumspannendes Chaos von etwa 30000 ständig laufenden Computern und 40 Millionen zeitweise reinriechenden Benutzern. Zum Ende des Jahrtausends wird der Milliardenste erwartet. Und jeder der ein "@" hinter seinem Namen hat, das typische "at" einer Internet-Adresse, kann im Prinzip Anbieter und Abfrager an der Datentauschbörse sein - und über Abertausende von Diskussions-Foren an einer gemeinsamen Cyber-Demokratie, der Geburt einer InforNation mitwirken. Im Prinzip.

Offenes Netz

Dummerweise sind sie dazu zu viele. Und seit Telekom-Online jeden bisherigen Btx-Benutzer relativ billig ins Netz rüberrutschen läßt, sind es in Deutschland über Nacht noch fünf mal mehr geworden, eine knappe Million. Die aber werden, erzählt ein Bielefelder Forums-Manager, inzwischen grußlos wieder aus dem Kanal gekickt, weil sie ja bloß eine von anderen aufgebaute und bezahlte Infrastruktur zum Klönen mißnutzten. Und sowieso nicht über CB-Funk-Niveau hinauskämen.

Das Internet ist also auch nicht offener als ein moderner Gesamtschulhof, nur größer und bunter. Sogar in Bielefeld, wo die momentan privat angeschlossenen Benutzer sich mit den Netzwerk-Dienstleistern noch bequem in einer Kneipe treffen könnten. Weil sie es aber nicht tun, plaudern halt wir aus dem World Wide Web, Unterknoten Bielefeld.

Zum Beispiel Boca Chica. Die Cocktail- und Salsa-Bar läßt sich gerade ein Internet-Angebot programmieren, mit dem auch Australier gucken können, was die da in Bielefeld in ihren Tequila Sunrise kippen, was der kostet und wie die Musik anschließend klingt. Leider fehlt in der Demoversion noch die automatische Weiterleitung zum nächsten Reisebüro. Und natürlich wird es kein Link zu den wohl nachkommenden Info-Angeboten der Konkurrenz geben.

Das dürfte den Programmieren eigentlich nicht gefallen, die aus dem FoeBud-Verein für allgemeine Informations-Beförderung stammen, und ihre Cybernauten-Schulung zu Daten- und Demokratie-Problemen in dessen Bionic-Mailbox absolvierten. Aber das war Hobby, winkt mit dem in den letzten Wochen explodierenden Thema Internet das Geschäft?

Die Gesinnung jedenfalls winkt zurück: auf den FoeBud-eigenen WWW-Seiten etwa gibt's neben viel wichtiger Info einen Gültigkeits-Tester für Kreditkartennummern. Und trotz ausdrücklichen Warnung benutzen die Leute ihn, die damit eigentlich vor der notorischen Unsicherheit des Netzes gewarnt werden sollen.

Noch viel ernsthafteres plant die KunstCoop. Als "virtuelle Skulptur" zu den Themen Kunst, Krieg und Frieden hat sie schon einige Seiten gestartet, die das Daten-Bein zu kommenden weltweiten Aktionen bilden sollen. Die aufregendste wird wohl ein Cyber-Krieg mit scheinbar echten Meldungen in der Schweiz sein. Etwa wie Orson Welles' Marsianerlandung, meinen die Künstler - und wollen damit von bloß betroffenen Peace Now Plakaten weg.

Völlig anders Volker Schimmel. Weil es ruhiger an seinen Billiard-Tischen wurde verfiel der Geschäftsführer des Royal Snooker Pub in der Heeper Straße aufs Internet. Nach Vorbildern in Toronto und Köln sollen Ende November 3 PCs mit großem Monitor und Farbdrucker für etwa 20 Pfennig die Minute seine hoffentlich neuen Gäste im ersten Bielefelder Online-Cafe (Name noch offen) an die Welt anschließen. Die sich für nochmal 20 Pfennig pro Seite dann auch ihre Filmtips aus Osaka ausdrucken können. Oder die ominösen Bombenbauanleitungen, Kinderpornos und NS-Symbole, die im Netz eben auch zu finden sind. Wie im Leben. Nur noch versteckter.

Bielefeld versteckt

Auch sehr versteckt ist Bielefeld selbst im Internet. Wer über internationale Such-Dienste wie City.Net hereinkommt, landet in der Technischen Fakultät der Uni, wo eine Mitarbeiterin privat den Sales Guide der Stadt vom letzten Jahr abtippte und ein paar Sehenswürdigkeiten als Bild beigab. Lieb gedacht, aber eine echte Image-Bremse.

Weshalb der Internet-Cafe-Berater Mayer ein City Netz projektiert (und zum patent angemeldet hat). Der jüngste Internet-Anbieter der Stadt möchte ganz Bielefeld über einen Rechner an die Welt lassen, auf dem schon Auszüge aus dem Internet preiswert herumliegen - und ein komplettes, täglich aktualisiertes Stadtinformations-System. An sowas jedoch denkt die Stadt hier lieber nicht, solange nichtmal ihre Image-CD (siehe nächste Seite) finanziert ist. Aber schön war's wohl schon, weshalb es im auch von SPD (erste Partei im Internet) und Grünen (fleißigste Partei in der Mailbox) regierten Münster bereits, in Kenntnis der hiesigen Bionic, einen Ratsbeschluß gibt, wenigstens die Möglichkeiten eines Stadtnetzes zu prüfen.


WING, Ultimo 23.10.1995


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