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Ober, ein Bier und 20 Kilobyte

Das Leben ist mit Computern reichlich bestückt: Es fängt morgens mit dem digitalen Radiowecker an und hört abends bei der computergesteuerten Lichtanlage in der Disco auf. Daran haben wir uns längst gewöhnt, obwohl wir die Technik, die dahinter steht, nicht sehen, meistens nicht einmal spüren. Was soll man auch mit diesen Dingern in der Freizeit anfangen, außer sich von ihren Effekten berieseln zu lassen?

Etwa eine Datenbank für die zwölf CDs erstellen? Für die Nachwelt die Noten der Schulaufsätze archivieren? Langweilig. Der Computer wird erst so richtig interessant, wenn mit seiner Hilfe - auch am Feierabend -Nachrichten und Informationen ausgetauscht werden können.

Zum Beispiel im Online-Cafe, wo statt, Zeitungsständern Computer aufgebaut sind und das Bier von der Bedienung an den Monitor gebracht wird. Das erste Online-Cafe steht mit dem SF Net schon seit vier Jahren in San Francisco. Auch in Deutschland ist seine Eröffnung kein Wunschtraum mehr.

Ein Tisch, der redet

Den Netzwerken privater Online-Dienste sei Dank: Der Computer wird öffentlich, womit von seinem Benutzer das schiefe Bild, vom einsamen Hacker, der zu nachtschlafender Zeit mit unstetem Blick die Rechner des CIA anzapft, begradigt werden kann. Das Medium zum Transport von Daten aller Art muß jedum zugänglich gemacht werden, egal, ob ein Computer mit Datenfernübertragungstechnik vorhanden ist oder nicht.

Einen Versuch, den unheimlichen Kasten mit seinen endlosen Möglichkeiten publik zu machen, hat die Bundespost schon einmal gewagt. Damals hat sie öffentliche Terminals für ihr Btx-Sy-stem - heute Datex-J genannt - in ihren Postämtern aufgestellt.

Das Experiment scheiterte zum einen, weil sich das Postamt nicht unbedingt als der Ort herausstellte, an dem Menschen Informationen austauschen.

Zum anderen war der Bildschirmtext als Medium weniger auf aktive Kommunikation ausgelegt, sondern eher zum Datenkonsum bestimmt. Wen wundert's also, daß das Prinzip "Informationsaustausch für alle" mal wieder in den USA geboren wurde.

Vor ein paar Jahren hatte Wayne Gregori aus.San Francisco die Idee gehabt, "…Computer an jene Plätze zu bringen, wo die Leute sie benutzen können". Und zwar an jenen Platz, an dem seit jeher der Austausch von Nachrichten zwischen Menschen stattfindet: das Cafe. Damit knüpfte er nahtlos an die Tradition der gemütlichen Wiener Kaffeehäuser an, in denen der Gast neben Gesprächspartnern auch jede Menge Zeitungen oder sogar Lexika vorfand - sollte sich niemand zur gepflegten Konversation einladen lassen.

Und was für die gute, alte Tageszeitung im Kaffeehaus gilt, muß für einen Computer nicht verkehrt sein. Mit einem entscheidenden Unterschied: Die Elektronik antwortet, das Papier nicht.

Gregori rüstete also Tische mit Rechnern, Monitoren und Modems aus. Diese "RJ-1 l-Tables" stellte er in mehreren Cafes von San Francisco auf, so daß grundsätzlich jeder eine Zugangsmöglichkeit zu den Datennetzen hat.

Diese Computer sind mit einem Kommunikationsprogramm ausgestattet, das automatisch Kontakt zu einer Zentrale herstellt. Dort bedient ein 386er Rechner 16 Telefonleitungen, um die Verbindung zwischen den einzelnen Cafes herzustellen.

Die Tische arbeiten ähnlich wie ein Münzfernsprecher, alle 15 Minuten online ist ein weiterer Dollar fällig. In guten Zeiten wird ein solcher Tisch durchschnittlich fünf Stunden pro Tag belegt.

An ihm kann nicht nur elektronische Post verschickt oder in offenen Foren diskutiert werden. Man kann sich auch direkt mit einem Nutzer am Nebentisch oder auch am anderen Ende der Stadt unterhalten.

Obwohl Gregori bei der Einführung seiner Tische von der Erweiterung auf andere Gebiete der USA und von internationalen Kooperationen schwadroniert hatte, ist doch heute immer noch nur vom SF Net die Rede. - Und seit dem Start des Projekts sind immerhin fast vier Jahre ins Land gegangen.

Hierzulande dauert es noch ein Weilchen, bis die Bestellung lautet: Herr Ober, 'n Bier, 'n Korn und 20 Kilobyte E-Mail, bitte! Denn bislang haben sich allenfalls Mailboxen etabliert; etwas wie SF Net befindet sich gerade mal im Planungsstadium.

So bastelt der "Verein zur Förderung des bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (FoeBud e.V.) aus Bielefeld an einem ähnlichen, öffentlich zugänglichen System.

In diesem Online-Cafe sollen wie in San Francisco Terminals aufgestellt werden, die den Kontakt zu einem Zentralrechner herstellen. Solange es aber keine speziellen Rechner für diesen Einsatzzweck gibt, werden normale PC verwendet.

Bewährt sich das System in einer Testphase, sollen anspruchsvollere und robustere Geräte dafür eingesetzt werden. Einen Prototyp dieser Kneipe zimmern die Bielefelder zum allgemeinen Reinschnuppern auf der diesjährigen CeBIT zusammen.

Frei ist der Eintritt ins Online-Cafe jedoch nicht. Wer Zugang sucht, muß monatliche Gebühren berappen, zu denen sich noch ein Zeittakt addiert. Dieser wiederum richtet sich nach der Menge der versendeten oder empfangenen Daten. Bis es jedoch soweit ist, muß das Koffein noch durch die eigene Kaffeemaschine brummen, weil das dazugehörige Kränzchen nur vom Privatcomputer aus - über Mailboxen - vonstatten gehen kann.

Diese gibt's aber reichhaltig, und sie sind problemlos erreichbar. Denn nach dem Wegfall hemmender Vorschriften der Telekom hat sich eine erstaunliche Vielfalt an Mailbox-Systemen angesiedelt. Während die ersten Boxen vor Jahren den scharfen Augen der Post noch sorgsam entzogen werden mußten, stehen Durchwahlen heute sogar im Telefonbuch.

Und handelte es sich früher noch um lokale Systeme, die nur von Eingeweihten aus dem näheren (Ortsgesprächs-) Umkreis frequentiert wurden, so sind heute die einzelnen Systeme - wie beispielsweise die Netze Fido und Zerberus - mehr oder minder fest organisiert und generell jeder Person zugänglich.

Somit hat sich der Nutzerkreis längst auf all jene erweitert, die für ihre Arbeit oder Freizeit vielfältige Informationen brauchen. Dazu zählt der Naturschützer, der die Luftschadstoffe mehrerer Großstädte vergleicht, ebenso wie der Musikfan, der sich für die Konzerte seiner Lieblingsband auf ihrer aktuellen Asien-Tournee begeistert.

Regelmäßiger Datenaustausch ist auch zwischen weit entfernten Systemen möglich. Durch die nationale und auch internationale Vernetzung muß der Nutzen eines solchen Systems zwangsläufig steigen. Inzwischen gibt es in fast jedem Ortsnetz eine Mailbox, und in vielen Städten kann man sogar unter mehreren Boxen auswählen. Schließlich haben sich neben Freaks und Firmen eingetragene Vereine gebildet, mit dem Ziel, Datenkommunikation für alle an zubieten und den Aufbau sowie den Betrieb solcher Mailbox-Systeme durchzuführen.

Kommt die Datenkette?

Auch wenn die Computerbranche momentan zu einem multimedialen Höhenflugdurchstartet, werden im Medien-Cafe die Informationen ausschließlich in Textform angeboten - der Datenverkehr läuft zunächst über Telefonleitungen, und das heißt, daß für Grafiken, Sound oder gar Animationen nicht genügend Leitungskapazität besteht.

In der derzeitigen Probephase hat sich aber gezeigt, daß durch das Konzept des Online-Cafes sehr viele Personen angesprochen werden. Darunter befinden sich, so der Bielefelder Datenverein, "auch Leute, die sich normalerweise nicht an einen Computer setzen würden oder sich die Anschaffung eines eigenen Gerätes nicht leisten können". - Für den Fall, daß das Cafe gut besucht wird, liegen Pläne für eine bundesweite Ausdehnung bereits in der Schublade.

Jochen Ruhland



© WWW-Administration, 21 Jan 03