Scherzkekse an den Computern

"Angewandte (Un)sicherheit": eine Ausstellung der NGBK

Ralf Grötker

Angewandte (Un)sicherheit" heißt eine Ausstellung der Kreuzberger Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK). Das Thema: Überwachung und Mord, die Interaktion zwischen Mensch und Maschine, Konsument und Computer. Konsequenterweise bestehen zwei der ohnehin nur drei ausgestellten Kunstwerke im Kern aus nichts anderem als einem digitalen Code.

Bei der "Privacy-Card" des Bielefelder Duos Rena Tangens und Padeluun ist dieser Code das Strichmuster auf einer zweckentfremdeten Payback-Rabattkarte. Alle diese "Privacy-Karten", so Idee der Künstler, sind identisch markiert. Jedes Mal, wenn jemand sie anstelle der echten Rabattkarte an der Kasse zückt, wird der Rechner von "Payback" in München genarrt: Er erhält einfach immer die gleichen Kundendaten.

Die Präsentation der Karte beschränkt sich auf eine Art Werbetafel, davor steht ein zum Sessel zurechtgebogener Einkaufswagen: zu bedienen mit der "Privacy Card", die man an der Kasse kaufen kann. Ähnlich verhält es sich mit "insert-coin", einer Abschlussarbeit der Merz-Akademie- Studenten Alvar Freude und Dragan Espenschied, die 2001 den Medienkunstpreis des Südwestrundfunks und des Karlsruher ZKM erhielt. Das Ausstellungsobjekt besteht aus zwei Computern in einer Holzbude.

Aus Schröder wird hier Kohl

So wie die "Privacy Card" im Wesentlichen ein Code ist, macht bei "insert-coin" ein Programm auf einem mit dem Internet verbundenen Computer den digitalen Kern der Sache aus. Wer diesen Computer anwählt, ihn als Hilfsinstrument in die eigene Internetverbindung einbaut, erlebt eine Überraschung: Die Software von Freude und Espenschied manipuliert den angeschlossenen Computer so, dass auf den Internetseiten jeweils bestimmte Wörter vertauscht werden. Aus "Gerhard Schröder" wird etwa "Helmut Kohl", aus "Kanzler" wird "Kaiser", aus dem "Powerbook" ein "Klodeckel". Der "Spiegel" wird zum "Focus", und ab und zu flackert eine merkwürdige Werbeseite mit einer Konsumentenbefragung auf. Mit den Werbeeinnahmen, so heißt es auf der Seite, solle die US-Regierung bei der Aufrechterhaltung des Internets unterstützt werden.

Die Installation ist aber auch die Dokumentation eines zurückliegenden Experiments. Freude und Espenschied haben "insert-coin" auf den Rechnern ihrer Kommilitonen der Merz-Akademie zum Laufen gebracht. Erstaunlicherweise bemerkte niemand die Veränderung. Erst als ein Defekt auftrat, kamen die das System betreuenden Techniker dahinter.

Ein wenig versprühen Aktionen wie "Privacy Card" oder "insert-coin" den harmlosen Charme von "Verstehen Sie Spaß", vielleicht noch mit einer Prise Volkshochschule gewürzt. Die Internetmanipulationen sind vor allem als Belehrung und technische Initiation gedacht, als Beispiel dafür, wie wenig aufmerksam Inhalte auf dem Bildschirm verfolgt werden und wie leicht es ist, diese zu manipulieren und zu zensieren.

Die "Privacy Card" hätte von der Marketingabteilung der Datenschutzbehörde nicht besser erfunden werden können. Wer sie im Portmonee mit sich führt, hat einen schönen Party-Gimmick, um ein Gespräch über Konsumentendaten und informationelle Selbstbestimmung vom Zaun zu brechen. Und natürlich beziehen beide Projekte ihr Selbstverständnis aus dem Lieblingsleitbild aller Computerfreunde: dem "Hacken". Sie legen den Finger auf Schwachstellen im System, bedienen sich trojanischer Tricks und Guerilla-Taktiken.

Berliner Zeitung, 07. Juni 2002
Original: http://www.berlinonline.de/aktuelles/berliner_zeitung/feuilleton/.html/149188.html