Die digitale Stadt

Felipe Rodriguez und Rop Gonggrijp kommen aus Amsterdam. Dort sind sie zwei der Erbauer einer digitalen Stadt, deren traßen aus Telefonkabeln entstehen, deren Gebäude quasi virtuelle Räume einschließen. Dieses wegweisende Projekt stellten sie bei der letzten »Public Domain« Veranstaltung des »Vereins zur Förderung des bewegten und unbewegten Datenverkehrs« (FoeBuD e.V.) im Bunker Ulmenwall vor. Grundlage ist ein »normales« Mailboxsystem: Kommunikation und Informationsaustausch zwischen Computern via Modern und Telefonleitung. Datenreisende sind dabei jedoch in der Regel Menschen die zumindest die Grundlagen der Computertechnologie beherrschen. Das Amsterdamer Modell basiert auf ein Grundsatz "Die Stadt muß für alle zugänglich sein, nicht nur für für Leute, die ein Modem besitzen."

Also eroberten sich die Stadtentwickler den öffentlichen Raum, heute stehen Terminals im Amsterdamer Rathaus, im Krankenhaus, in der Bibliothek und im Museum für moderne Kunst. Hier kann jederman/frau unter fachkundiger Anleitung die digitale Stadt betreten, Informationen abrufen, hineingeben, sich unterhalten oder einfach nur Kaffee trinken.

Betritt man über den Bildschirm das »Rathaus«, kann man etwa sämtliche Ratsbeschlüsse seit' 968 abrufen. Es finden sich Adressen sämtlicher öffentlicher Einrichtungen und der Politiker - denen man per Computer auch direkt seine Meinung hinter die Ohren schreiben kann. Im »Postamt« kann man persönliche elektronische Briefe abschicken. Weltweit sind so 30 Millionen angeschlossene Menschen zu erreichen, um ein Vielfaches schneller und billiger als mit der normalen Post. Die »Bibliothek« bietet Literatur en masse, von Shakespeare über Krimis bis hin zu Dokumenten zur psychologischen Kriegsführung des CIA. Um den »Marktplatz« herum herrscht reges Treiben. Am »Kiosk« sind diverse Magazine und Zeitungen einzusehen. Im »Bürohaus« sind die verschiedensten Organisationen zu erreichen: Greenpeace, die Anne-Frank-Stiftung oder Schwuleninitiativen. In einer Seitengasse findet sich ein »Sexshop«, um die Ecke steht der »Drogendealer«. Dort gibt es allerdings nichts zu kaufen, sondern es ist Raum für interaktive Diskussionen zu Sexualität und Drogenproblematik.

Das System öffentlicher Verkehrsmittel ist bestens ausgebaut. Besteigt man die »U-Bahn« der digitalen Stadt, kann man sich am Bildschirm mit allen direkt unterhalten, die gerade irgendwo in Amsterdam »online« sind. Und der »Bahnhof« führt direkt hinaus in die weite Welt. Er bietet Zugriff auf Presseveröffentlichungen aus dem Weißen Haus, ermöglicht Kontakt zu MTV oder den Vereinten Nationen.

Seit Anfang des Jahres lebt die digitate Stadt, und ihre Bemühungen, digitale Kommunikationskultur auch für Menschen ohne Computer zu ermöglichen, scheinen zu fruchten. Immerhin sind 19% der »Bürger« Menschen, die bislang noch nichts mit dieser Technologie zu tun hatten. Gefördert wird das Amsterdamer Projekt von der Stadtverwaltung und vom dortigen Wirtschaftsministerium. Eine Basis, von der der Bielefelder »FoeBuD« noch träumt. Dabei liegen auch hier Pläne für einen »globalen Dorfbrunnen« in der Schublade Die Infrastruktur wäre nicht schlecht, schließlich gibt es hier die bestens laufende Mailbox »//Bionic«. In deren Räumen existiert bereits ein Mediencafe mit einem öffentlichen Terminal als Treffpunkt zum Klönen, Kaffeetrinken und Datenreisen. Ziel ist es, in Zeiten von PC, Electronic Banking, Pizzaservice und 30 Fernsehprogrammen, die das Verlassen der Wohnung gar nicht mehr erfordern, wieder Menschen live kommunizieren zu lassen und trotzdem die Technologie zu nutzen. Wie ein Solo-Automobilist gelegentlich den Bus benutzt, zusammen mit einigen Leuten, die keinen Führerschein haben. Ein ausbaufähiger Ansatz, der hoffentlich Modellcharakter auch für Bielefeld bekommt.

Achim Borchers

Stadtblatt, 09. Juni 1994