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Stiftung Die Schwelle Dr. Burkhard Luber 2. Dezember 1994

Das "Zamir- (serbokroatisch "Frieden") Net"

ist ein elektronisches Netzwerk, das die Friedensgruppen in den Nachfolgeregionen Ex-Jugoslawiens (Kroatien, Serbien, Bosnien, Kosovo, Makedonien und Slowenien) verbindet. In ihm arbeiten lokale Gruppen mit, die sich für Menschenrechte (in keiner dieser Regionen eine Selbstverständlichkeit!), Training in gewaltfreien Konfliktregelungen, Freizügigkeit von Personen und unzensierten Nachrichten (über nationalistische Grenzen hinweg) und gegen Militarismus einsetzen. Unabhängig wie man den Balkankonflikt wertet bzw. welche "Mehr oder Geringer Schuldige" man definiert, scheint mir eine besondere Chance für ein friedliches Post-Jugoslawien, wann immer es denn mal kommen wird, darin zu liegen, dass schon jetzt Gruppen - ohne Beachtung von Grenzen -unterstützt werden, die sich kompromisslos gegen Feindbilder und Kriegspropaganda wenden. Dies ist ein Kennzeichen der ZamirNet Gruppen.

Friedensarbeit in einer solchen Krisenregion arbeitet verständlicherweise unter besonderen Rahmenbedingungen. Fürs ZamirNet zu nennen ist hier besonders die in Kroatien wie Serbien herrschende unübersehbare Presse-Zensur besonders für abweichende Minderheiten-Meinungen, die zusammen mit den besonderen Erschwernissen des grenzüberschreitenden Reisens ein objektives Informiert-Sein als Grundlage für sachliches Einschätzen und Abwägen auch nonkonformistischer Lösungsphantasien beträchtlich erschwert. Ausserdem kann man sagen, dass das Eintreten für Menschenrechte und die Kritik an der Kriegsfortsetzung für sich allein schon als Defätismus von den herrschenden Eliten aller betroffenen Regionen argwöhnisch kritisiert wird. Ohne den dauernden Kontakt der ZamirNet Gruppen mit ausländischen Kolleginnen (wie z.B. in der Stiftung "Die Schwelle") wäre der Anreiz der kriegstreibenden Herrschenden ungleich höher, diese unliebsamen Randgruppen baldmöglichst zum Schweigen zu bringen.

Ausserdem besteht zwischen Kroatien und Serbien aus politischen Gründen kein Telefon- und FAX-Verkehr. Für das Friedenszentrum in Osijek (Ost-Kroatien) und die Friedensgruppe in Sombor (Woiwodina), die viel - besonders in Trainings für Feindbildabbau - zusammenarbeiten (möchten) und vor Kriegsbeginn eine Stunde Autofahrt (60 Kilometer) entfernt waren, jetzt aber durch serbisches Okkupationsgebiet hermetisch getrennt sind, bedeutet dies, entweder auf einen einwöchigen unzuverlässigen Postweg zu warten, eine Tagesreise mit dem PKW über Ungarn auf sich zu nehmen (mit jeweils stundenlangen Grenzkontrollen) oder zwei Stunden zur nächsten ungarischen Telefonzelle zu fahren.

Hier setzt das ZamirNet an, indem es Verbindungen von Computer zu Computer in den o.a. vier Ländern ermöglicht. Da die Telefonleitungen von Belgrad wie von Zagreb aus ins Ausland in Betrieb sind, wird der gesamte elektronische Nachrichtenverkehr in Beograd, Ljubljana, Sarajewo, Pristina und Zagreb viermal am Tag gebündelt, kompakt an das Computernetzwerk Bionic in Bielefeld geschickt, dort nach Empfänger sortiert, wieder in die vier Städte zurückgeschickt und von Bielefeld an die lokalen Adressaten in Ex-Jugoslawien verteilt. "Nachrichtenverkehr" umfasst dabei sowohl den Austausch von täglich tausenden von elektronischen Briefen als auch die Teilnahme an vielen lebendigen elektronischen Diskussionsgruppen.

Für viele Gruppen in Ex-Jugoslawien ist dies die einzige Möglichkeit, mit anderen Gruppen in anderen Balkanländern, aber auch überhaupt mit der übrigen Welt in angemessener Weise verbunden zu sein (das Embargo gegen Serbien trifft natürlich die Anti-Kriegsgruppen dort ebenso wie die Regierung in Belgrad). Auch auf lokaler Ebene ist angesichts von z.T. hermetischen Trennungen auf Stadtebene (Pacrac, Mostar), wo sich ehemalige Nachbarn nicht mehr über ein paar Straßenecken treffen können, das ZamirNet oft die einzige Möglichkeit, eine Lockerung der starren Trennungen erreichen zu können.

Basierend auf dem guten Beispiel des ZamirNet kann elektronische Kommunikation eine wichtige präventive Rolle für NGOs auch im ganzen südosteuropäischen Raum spielen, damit der dort vorhandene latente Neo-Nationalismus und die vielen dortigen Minoritätsprobleme (so lebt z.B. jeder vierte Ungar außerhalb der ungarischen Staatsgrenzen...) nicht über kurz oder lang zum nächsten "Jugoslawien" eskalieren.

Ich selbst bin aktiver Teilnehmer in der Bionic Mailbox in Bielefeld, die den elektronischen Postverkehr aus und nach Ex-Jugoslawien bereitstellt und reise regelmäßig zu Trainingsveranstaltungen für die Anwendung elektronischer Kommunikation zu Friedens- und Umweltgruppen nach Kroatien, der Vojvodina und in andere Staaten Südost-Europas.


© WWW-Administration, 21 Jan 03