Digitale Kommunikation überwindet neue und alte Grenzen

Interview mit dem amerikanischen Friedensaktivisten Eric Bachman

SPIEGEL ONLINE: Mr. Bachman, das ZaMir Transnational Net (ZTN) ist auf dem Balkan in Kriegszeiten als ein Computernetzwerk für den Frieden konzipiert worden. Zur Zeit herrscht dort wieder ein - wenn auch zerbrechlicher - Friede. Welche Aufgabe kann das ZaMir-Netz bei der Sicherung dieses Friedens und beim Wiederaufbau der Region erfüllen?
Bachman: Das ZTN bietet schnelle digitale Kommunikation über die neuen und alten Grenzen hinweg. Es wird vor allem von Personen und Organisationen benutzt, die sich für eine friedlichere Zukunft in der Region einsetzen. Menschen auf allen Seiten des Konfliktes machen davon Gebrauch, um direkt mit Menschen auf den anderen Seiten zu kommunizieren. Humanitäre Hilfsorganisationen koordinieren ihre Arbeit über das Netz. Unser Projekt "Pisma" (Briefe), das von freiwilligen Mitarbeitern getragen wird, leitet digitale Briefe als Papier-Briefe an Flüchtlinge in der ganzen Welt weiter. Auch Aufbauhilfe wird über das ZTN organisiert. Unser Netz ist sehr gut dazu geeignet, Menschen hier, seien es Flüchtlinge oder Hilfswillige, mit Leuten auf dem Balkan zu verbinden. Es kann genutzt werden, um zu erfahren, wie es tatsächlich dort aussieht. Partnerstädte oder Wirtschaftspartner, die sich um den Wiederaufbau kümmern, können es verwenden, um mit ihren Partnern vor Ort in Verbindung zu bleiben. Unser Netz bietet eine Vielfalt von Möglichkeiten. Ob es allerdings dazu beiträgt, den Frieden zu sichern, hängt davon ab, welchen Gebrauch die Menschen davon machen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben einmal gesagt, daß Computernetzwerke in Krisengebieten noch wirkungsvoller wären, wenn man von ihnen schon vor der Entstehung eines Krieges Gebrauch machen könnte. Der ZaMir-Netzknoten in Pristine/Kosovo befindet sich in einer gefährdeten Region. Kann Ihr Netz dort als eine Art Konfliktbarometer dienen?
Bachman: Ein Computernetzwerk allein kann das nicht leisten. Aber wenn es in Spannungsgebieten von Beobachtern und Experten vor Ort in Zusammenarbeit mit Experten im Ausland benutzt würde, wäre es durchaus vorstellbar, daß es als Frühwarnsystem funktionieren könnte. Man könnte dann rechtzeitig praktikable Aktionen und womöglich auch Lösungen anbieten und so Schlimmeres verhindern.
Zur Zeit wird unser Netz zum Beispiel von der Gruppe "Otvorene Oci" (Offene Augen), einem Projekt des Balkan Peace Teams, benutzt. Das sind internationale Beobachter, die ins Krisengebiet eingeladen worden sind, um durch ihrer Anwesenheit in Spannungsituationen möglichen Menchenrechtsverletzungen vorzubeugen. Teams in Zagreb, Split und Belgrad berichten regelmäßig über die Probleme ethnischer Minderheiten vor Ort. Die internationale Aufinerksamkeit, die ihre Berichte erfahren, haben einigen Menschen dort sehr geholfen.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es nicht auch eine ganze Reihe weiterer Krisenherde, wo das ZTN als Modell für die Friedensarbeit dienen könnte? Zum Beispiel im Bereich Mazedonien/Griechenland oder in der ehemaligen Sowjetunion?
Bachman: Duchaus. überall, wo es an schneller und zuverlässiger Kommunikation mangelt, kann so ein digitales Netz sehr hilfreich sein. Voraussetzung ist natürlich, daß wenigstens einige Menschen dort an einem Austausch und einer Zusammenarbeit Interesse haben. Ohne das geht es nicht.

SPIEGEL ONLINE: Der Gebrauch von Computernetzwerken setzt, besonders in Low-Tech-Umgebungen wie in der Dritten Welt oder in Kriegsgebieten, einiges Expertenwissen voraus. Dennoch gelingt es anscheinend gerade dort recht gut, die Schwellenängste potentieller Benutzer zu überwinden. Sie haben selbst im ehemaligen Jugoslawien eine ganze Reihe von Schulungen für Laien durchgeführt. Eignen sich Ihrer Meinung nach die elektronischen Kommunikationsmedien auch für den Normalbürger oder bleiben sie letztlich den Spezialisten vorbehalten?
Bachman: Wo immer ein großer Bedarf an Kommunikation vorhanden ist, und wo dieser durch ein digitales Netz befriedigt werden kann, werden auch unerfahrene Menschen sich trauen, etwas neues zu lernen. Die Menschen, die das ZTN vorangetrieben haben, waren keine Computerfreaks, sondern diejenigen, die die neuen politischen Barrieren unterlaufen und durchbrechen wollten. Viele hatten vorher noch nie Computer benutzt. Ihre ersten Erfahrungen haben sie mit E-Mail-Programmen gemacht.
Natürlich sind auch Spezialisten notwendig, um so ein Netz aufzubauen, aber die kann man inzwischen fast überall finden. Auch jetzt noch sind die meisten aktiven Teilnehmer auf unserem Netz Menschen, die keine Computerspezialisten sind. Allerdings, egal wie hilfreich das Netz ist, es bleibt eine kleine Minderheit.. die Zugang dazu hat. Vor allem, weil es an Hardware und der nötigen Infrastruktur mangelt.

SPIEGEL ONLINE: Wie wird es weitergehen mit dem ZaMir Transnational Net? Was sind Ihre nächsten Schritte und Pläne?
Bachman: Das Netz soll weiterentwickelt werden, um noch mehr Menschen in der Region einen Anschluß zu ermöglichen. Wir hoffen auf Unterstützung, um in weiteren bosnischen Städten Server aufzubauen. Wir wollen auch langsam finanziell unabhängig werden. Bisher ist alles mit der Hilfe von Spenden aufgebaut worden und wir sind immer noch von ihnen abhängig. Ich selbst interessiere mich sehr für den Einsatz dieser Technologie in Spannungsgebieten, als Hilfsmittel, um die Entstehung von Kriegen zu verhindern.

Das Interview führte Lorenz Lorenz-Meyer, 39, promovierter Philosoph und Kognitionswissenschaftler.

Spiegel Online, Mai 1996