Gewerkschaft der Polizei Landesbezirk Nordrhein-Westfalen | ||||||||||||||
Stellungnahme der Gewerkschaft der Polizei für die Anhörung von Sachverständigen nach § 31 der Geschäfts- ordnung des Landtags Nordrhein-Westfalen zum Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes und des Ordnungsbehördengesetzes | ||||||||||||||
Gesetzentwurf der Landesregierung, Drucksache 13/2854 hier: Fragenkatalög | ||||||||||||||
1. An den Absätzen 2 und 3 der bisherigen Fassung des § 15 a ist kritisiert wor- den, sie hätten - jedenfalls teilweise - strafprozessualen Charakter und inso- weit sei die Kompetenz des Bundesgesetzgebers gegeben. Wie sieht es in diese Hinsicht mit Absatz 2 der Neufassung aus? | ||||||||||||||
Zu Frage 1: Die Vorschriften des § 15 a Po/G regeln die offene Videoüberwachung zum Zwecke der Gefahrenabwehr. Dem gegenüber enthält die StPO keine speziellen Ermächti- gungsgrundlagen für eine solche offene Videoüberwachung zum Zwecke der Straf- verfolgung. Denn die in § 100 c Abs. 1 Nr. 1 a StPO geregelte Herstellung von Bil- dern und Bildaufzeichnungen bezieht sich allein auf heimliche Bildaufzeichnungen. Somit schließt die in § 15 a Po/G geregelte präventive Videoüberwachung im Rah- men der Gefahrenabwehr eine Regelungslücke. Die in Abs. 2 der Neufassung gere- gelte Speicherung und Aufbewahrung der bei der gefahrenabwehrenden Bildauf- zeichnung gewonnenen Daten im Sinne des Abs. 1 besitzt daher nach unserer Auf- fassung keinen strafprozessualen Charakter. | ||||||||||||||
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2. Wie sehen Sie den neuen § 15 a in seiner Eingriffstiefe im Kontext zu entspre- chenden Regelungen in anderen Ländern und halten Sie ihn für verfassungs- rechtlich bedenklich? Wie sind die Erfahrungen mit dem Instrument der Video- überwachung in anderen Bundesländern? Zu Frage 2: Jegliche Form der Videoüberwachung, also verdecktes oder offenes Beobachten und Aufzeichnen sowie die gezielte Überwachung von Personen, ist grundsätzlich nicht verfassungskonform, da mit diesen Maßnahmen in das allgemeine Persönlichkeits- recht - Grundrecht auf informationeile Selbstbestimmung - der Betroffenen eingegrif- fen wird. Allerdings stellen die mit der Videoüberwachung verfolgten Ziele - außer der Gefah- renabwehr auch die Beweissicherung für spätere Strafverfahren - die notwendigen Ausnahmen dar, die einen solchen Eingriff in das Grundrecht rechtfertigen. Da die Vorschrift des § 15 a eine spezifische und präzise Regelung enthält, die für den ge- setzlichen Verwendungszweck - Gefahrenabwehr - geeignet und erforderlich ist, halten wir diese Vorschrift für verfassungsrechtlich unbedenklich. In den Polizeigesetzen der Bundesländer weisen die Vorschriften für eine Video- überwachung zum Zwecke der Gefahrenabwehr große Unterschiede aus. Die Band- breite reicht vom völligen Fehlen einer speziellen Eingriffsermächtigung bis hin zu detaillierten Regelungen über Bildübertragungen mit und ohne Aufzeichnungsmög- lichkeiten. Erfahrungen aus den anderen Bundesländern mit dem Instrument der Videoüberwachung liegen der Gewerkschaft der Polizei nicht vor. | ||||||||
3. Dient die Aufzeichnung überhaupt der Gefahrenabwehr und ist die Video- überwachung als Mittel zur Gefahrenabwehr tauglich? Zu Frage 3: Aufgrund der in mehreren deutschen Großstädten und auch in Großbritannien ge- machten Erfahrungen entfaltet die Videoüberwachung vor allem präventive Wirkun- gen. Die abschreckende Wirkung greift insbesondere, wenn auf die Videoüberwa- chung durch Hinweisschilder, deutlich sichtbar angebrachte Kameras etc. hingewie- sen und der Einsatz dieses Überwachungsmittels durch eine offensive Öffentlich- keitsarbeit begleitet wird. Unter diesen Voraussetzungen halten wir die Videoüberwa- chung für ein taugliches Mittel zur Gefahrenabwehr. | ||||||||
4. Beim Abstellen auf „Straftaten" anstellen von „Straftaten von erheblicher Be- deutung" könnte es zu einem vermehrten polizeilichen Kameraeinsatz kom- men. Ist dies im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz problema- tisch? Zu Frage 4: Der Polizei obliegt die Aufgabe, von der Allgemeinheit oder dem Einzelnen Gefahren abzuwehren, welche die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Im Rahmen Gewerkschaft
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ihrer Tätigkeit hat die Polizei auch die Aufgabe, auf die Einhaltung der Strafgesetze zu achten. Im Rahmen dieser polizeilichen Gefahrenabwehr ist eine Differenzierung in „Straftaten" bzw. in „Straftaten von erheblicher Bedeutung" mit dem gesetzlichen Auftrag nicht vereinbar. Grundsätzlich ist die Polizei zur Verhütung aller Straftaten verpflichtet. Sollte es durch die Formulierung des § 15 a Po/G zu einem vermehrten Kameraeinsatz kommen, so ist dies vom Gesetzeszweck gedeckt und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, da die Videoaufnahmen bei den Betrof- fenen nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg - der Verhinde- rung von Straftaten jeder Art - erkennbar außer Verhältnis steht. | ||||||||||
5. Wie bewerten Sie die Auswertung des Modellversuchs Videoüberwachung „Ravensburger Park" in Bielefeld? Zu Frage 5: Die nordrhein-westfälische Polizei hat mit dem Pilotprojekt in Bielefeld im wesentli- chen positive Erfahrung gemacht. Die Auswertung des Pilotprojekts hat ergeben, dass das Mittel der Videoüberwachung von Kriminalitätsbrennpunkten geeignet ist, sowohl die objektive Sicherheitslage als auch das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger positiv zu beeinflussen. | ||||||||||
6. Wie definieren Sie den Begriff „Kriminalitätsbrennpunkt". Nach welchen Krite- rien sollte vor Ort entschieden werden? Zu Frage 6: Aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei sind mit dem Begriff „Kriminalitätsbrennpunk- te" solche Orte gemeint, an denen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eine erhöhte Gefährdung besteht, weil sich dort erfahrungsgemäß Straftäter häufig aufhal- ten, Personen zu Straftaten verabreden, Straftaten vorbereiten oder verüben. Neben den Erkenntnissen aus den vor Ort geführten polizeilichen Kriminalstatistiken, den örtlichen Erkenntnissen über Straftäter, Drogenkonsumenten etc., können auch Erfahrungen aus Projekten der kommunalen Kriminalprävention Kriterien für die Ent- scheidung darstellen, ob in der jeweiligen Behörde ein Kriminalitätsbrennpunkt vor- handen ist, an welchem Videoüberwachung stattfinden könnte. Die Notwendigkeit der Videoüberwachung muss aber in festzulegenden Zeitabstän- den regelmäßig überprüft werden. Keinesfalls darf dieses Instrument dazu dienen, unliebsame Mitbürger wie z.B. Nichtsesshafte, Alkoholiker, Bettler, Punker etc. zu vertreiben, um für ein „sauberes Image" einer Innenstadt oder für ein ungestörtes Einkaufserlebnis zu sorgen. | ||||||||||
7. In der Debatte um Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist oft von Ver- drängung der Kriminalität die Rede. Wie schätzen Sie die Verdrängungsprob- lematik hinsichtlich es überwachten Raums und angrenzender Gebiete aber auch insgesamt für ein Stadtgebiet und kriminalgeographischer Räume ein? | ||||||||||
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Zu Frage 7: Da die Videoüberwachung keine Übeltäter bessert, sondern potentielle Straftäter al- lenfalls raffinierter agieren lässt oder möglicherweise an Orte ohne Videoüberwa- chung verdrängt, darf die Videoüberwachung keine isolierte Einsatzmaßnahme sein. Vielmehr muss sie Bestandteil einer Gesamtstrategie zur Gewährleistung der inneren Sicherheit darstellen. Videoüberwachung muss einhergehen mit Kriminalitätsbe- kämpfung durch Fuß- und Fahrzeugstreifen der Polizei in Uniform und Zivil, und sie sollte in Projekte kommunaler Kriminalprävention - insbesondere gegen offene Rauschgiftszenen, Vandalismus, Straßenkriminalität, Prostitution etc. - eingebunden sein. Zur Verhinderung von Verdrängungsprozessen sind auch mobile Überwachungsan- lagen hilfreich, die schnell und anlassorientiert verlagert werden können. Im Übrigen ist die von vielen Kritikern der Videoüberwachung häufig problematisierte Frage des „Verdrängungsprozesses" kein spezifisches Problem des Einsatzes von technischen Überwachungsmitteln. Denn bei vielen anderen polizeilichen Einsatz- maßnahmen stellt sich diese Frage ebenso. Werden an einem Kriminalitätsbrenn- punkt uniformierte und zivile Kräfte der Polizei konzentriert, so werden auch dadurch möglicherweise potentielle Straftäter an andere Orte verdrängt. Das Verdrängungs- problem lässt sich in allen Fällen durch entsprechende Einsatzkonzepte minimieren. | |||||||
8. Ist aus Ihrer Sicht durch die Videoüberwachung an Kriminalitätsbrennpunkten ein objektiver Sicherheitsgewinn für die Bevölkerung gegeben? Bedarf es ei- nes vermehrten Personaleinsatzes, um mit dem Instrument der Videoüberwa- chung einen effektiven Schutz vor Straftaten zu bewirken? Könnte man nicht stattdessen verstärkte Streifengänge durchführen? Muss/kann der Überwa- chungsmonitor mit Personal besetzt werden und welcher Aufwand ist hierfür notwendig? Zu Frage 8: Die in Bielefeld und anderenorts gemachten Erfahrungen zeigen deutlich, dass die Videoüberwachung ein sinnvolles und geeignetes Mittel ist, um die Begehung von Straftaten zu verhindern. Wenn neben der Videoübertragung auch die Aufzeichnung der Bilder mit Identifizierungsmöglichkeit besteht, so leistet dieses Einsatzmittel einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der inneren Sicherheit. Die Videoüberwachung ist aber nur eine ergänzende Option polizeilichen Handelns und kann notwendige polizeiliche Präsenz auf öffentlichen Wegen und Plätzen nicht ersetzen. Aus diesem Grunde führt die Überwachung per Videokamera zu keiner personellen Entlastung der Polizei. Vielmehr verlangt sie nach mehr Personal. Denn keine Videokamera ist in der Lage, die Festnahme am Ort des Geschehens durchzu- führen, Personen zu durchsuchen oder Beweismittel sicherzustellen. Daher benötigt man Eingreifkräfte vor Ort. Hinzu kommt das Überwachungspersonal an den Monito- ren. Deshalb sind zur Videoüberwachung grundsätzlich ergänzende personelle Maß- nahmen zu treffen. Wegen der Schwere des Eingriffs in Grundrechte muss gewähr- leistet sein, dass die laufende Überwachung ständig von geschulten Polizeibeamten | |||||||
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beobachtet werden kann und anlassbezogene Aufnahmen vorgenommen werden können. | ||||||
9. Wie sollen Aufzeichnungsregelungen und Löschungsfristen aussehen? Zu Frage 9: Die Aufbewahrungsdauer der Videoaufzeichnungen ist in den Polizeigesetzen der Länder unterschiedlich geregelt. Nach den vorliegenden polizeilichen Erfahrungen erscheint eine Speicherdauer von maximal einem Monat als ausreichend und be- rücksichtigt dabei die datenschutzrechtlichen Belange. | ||||||
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