LANDTAG
NORORHEIN-WESTFALEN
13.WAHLPBiiODE | |||||||||||||
Prof. Dr. J. Vahle
Dornberger Str. 38 33 615 Bielefeld, | |||||||||||||
den 16. 12. 2002
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ZUSCHRIFT
137 24 Z4 A og -
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An den Landtag NRW
Referat 1.1 - Herrn Fröhlecke Platz des Landtags l 40 221 Düsseldorf | |||||||||||||
Sachverständigenanhörung zum
„Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes..."
Ihr Schreiben v. 5. Dezember 2002 Sehr geehrter Herr Fröhlecke,
zu dem mir übersandten Fragenkatalog nehme
ich wie folgt Stellung:
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Zu L: Die seinerzeitigen Bedenken werden durch
die Neufassung des Absatzes 2 ausgeräumt.
Die vorgeschlagene Löschungs-und Nutzungsregelung vermeidet jeglichen - verfassungsrechtlich bedenklichen - Eingriff in das Strafverfahren(srecht). Allerdings darf das gewonnene Material nach Ablauf eines Monats nicht (mehr) für Zwecke eines Bußgeldverfahrens genutzt werden; ggf. wäre auf andere Beweismittel (z.B. Zeugen) zurückzugreifen. Das Ordnungswidrigkeitenrecht wird — im Gegensatz zum Strafrecht - indessen vomOpportunitätsprinzip(Verfolgung bzw. Ahndung nach Ermessen) dominiert. In Ansehung dieser Maxime dürfte dem (Landes-)Gesetzgeber ein (größerer) Spielraum bei der Regelung der Frage zustehen, welche Beweismittel zur Ahndung einer Ordnungswidrigkeit herangezogen werden dürfen. Zu 2.: Verfassungsrechtliche Bedenken (im
Übrigen) bestehen gegen § 15a des
Gesetzentwurfs der Landesregierung nicht. Zwar stellt zumindest die Aufzeichnung von
Bildern einen Eingriff in das allgemeine
Persönlichkeitsrecht - Recht am eigenen Bild - dar. Ein solcher Eingriff in die durch Art. 2 Abs. l i.V.mitArt. l Abs. l GG geschützten Rechte des Einzelnen bedarf einer formell- gesetzlichen Ermächtigung, die dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt. Bezüglich derEignungeiner Regelung muss dem Gesetzgeber ein gewisser Experimentierspielraum eingeräumt werden; ein Gesetz ist nur dann ungeeignet, wenn sich die mangelnde Zwecktauglichkeit bereits anderweitig erwiesen hat oder offenkundig ist. Dies lässt sich bei der Videoüberwachung öffentlicher Räume nicht -jedenfalls noch nicht - feststellen. Berichte über den Einsatz dieses Mittels in anderen Bundesländern und im Ausland ergeben jedenfalls ein differenziertes Bild. Auch das Übermaßverbot -
Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs im Verhältnis zur
Eingriffsschwere - ist nicht verletzt. Der Gesetzgeber lässt zwar jegliche Straftat als Anlass für eine Videoüberwachung zu (derzeitige Fassung: Straftaten von erheblicher Bedeutung), hat aber gleichzeitigVorkehrungen gegen einen missbräuchlichen Einsatzgeschaffen. So müssen die
Straftaten„wiederholt"begangen worden sein; einzelne,
zeitlich weit
auseinanderliegende Vorfälle dürften danach jedenfalls im Regelfall nicht genügen. DieÖrtlichkeitwird dadurchnäher eingegrenzt,dass sie die Begehung von Straftaten - z.B. durch Unübersichtlichkeit, Besatz mit Büschen etc. - „begünstigt". | |||||||||||||
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dass eine heimliche Überwachung
ausscheidet.
Vor Allem aber trägt
dieLöschungsregelungdem Gesichtspunkt der
Verhältnismäßigkeit
sowie dem Aspekt des Schutzes personenbezogener
Daten Rechnung.
Die weitergehende Speicherung für die
Verfolgung vonStraftaten ist zwingenddurch die
Strafprozessordnung (Legalitätsprinzip gem.
den §§152 Abs. 2 u. 163) vorgezeichnet.
Sachlich gerechtfertigt ist auch die zweite
Ausnahme (Annahme der Begehungkünftiger
Straftaten); insoweit wird das
Übermaßverbot nochmals eigens betont
(„erforderlich").
lm Kontext mit den entsprechenden Regelungen
in anderen Ländernnimmt der Entwurf
einen„Mittelplatz"ein. Dies gilt etwa für die Speicherfrist/Aufbewahrungsdauer von einem Monat; insoweit reicht die Schwankungsbreite von 48 Stunden (z.B. in Baden-Württemberg und Bremen) bis zu zwei Monaten (z.B. in Bayern und Niedersachsen). Über konkrete Erfahrungen mit dem Instrument
der Videoüberwachung in anderen
Bundesländern kann ich aus erster Hand nicht berichten. Zu 3: Das Problem der Eignung des Mittels wurde
bereits unter 2. erwähnt. Die
Aufzeichnung selbst dient jedenfalls dann eindeutig der Gefahrenabwehr, wenn sich aus dem Videomaterial Anhaltspunkte für die (effektivere) VerfolgungkünftigerDelikte (s. § l Abs. l Satz 2 2. Alt. PolG NRW) ergeben (z.B. körperliche Auffälligkeiten eines maskierten Täters). Auch im Übrigen enthält die Maßnahme einen präventiven Ansatz, weil bereits allein die Tatsache der Aufzeichnung geeignet ist, potenzielle Täterabzuschrecken. Es gelten dieselben Überlegungen, die dafür sprechen, die in § 12 Abs. l Nr. 2 a PolG NRW geregelte„Razzia"als (schwerpunktmäßig) gefahrenabwehrende Polizeimaßnahme zu qualifizieren. Zu 4.: Auch insoweit wird auf die
Ausführungen unter 2. Bezug genommen.
Sicher kann (und soll wohl auch) die Streichung des Merkmals der Erheblichkeit die Einsatzschwelle senken. Damit wird die Möglichkeit eröffnet, gerade in Fällen der sog. Alltagskriminalität - z. B. Sachbeschädigungen, Akte des Vandalismus, Körperverletzungen - Videokameras aufzustellen. Solche Delikte unterhalb der Ebene der Erheblichkeit sind sehr wohl geeignet, dasSicherheitsgefühl der Bevölkerungempfindlich zu beschädigen; dem kann durch eine Videoüberwachung u.U. effektiv entgegengewirkt werden. Ob es zu einem „vermehrten" polizeilichen Kameraeinsatz - im Sinne einer erheblichen Zunahme überwachter Bereiche - kommt, ist gleichwohl schwer prognostizierbar, weil § 15a den BehördenErmesseneinräumt und eine Reihe von weiteren Kautelen normiert, die im konkreten Einzelfall erfüllt sein müssen. Zu 5: Mangels näherer Befassung mit dem
Modellversuch wird von einer Stellungnahme zu
dieser Frage abgesehen. Zu 6.: Der Begriff
„Kriminalitätsbrennpunkt" ist kein in § 15a enthaltener
(Rechts-)Begriff;
lediglich in der Begründung des Entwurfs wird zwecks Verdeutlichung hiervon gesprochen. Eine zweckgerichtete und eherrestriktiveAuslegung der in § 15a Abs. l des Entwurfs genannten Voraussetzungen wird zu dem Ergebnis fuhren, dass nicht jede örtlichkeit, an welcher Straftaten stattgefunden haben, in die Überwachung einbezogen werden darf. Denn letztlich wird es wenig öffentliche Räume geben, die völlig frei von jeglicher Kriminalitätsbelastung sind (etwa Moorflächen!). | ||||
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sich durch eineauffallende hohe Kriminalitätsbelastung„auszeichnet". Außerdem muss diekonkrete Beschaffenheitdes Raums die Begehung von Deliktenfordern. Zweifellos handelt es sich - immer noch -um relativ unbestimmte Kriterien, deren Anwendung vor Ort schwierig sein kann. Ermessen oder ein sog. Beurteilungsspielraum - wie z.B. bei Zeugnisnoten oder beamtenrechtlichen Bewertungen - bei der Einstufung der Örtlichkeit steht den Behörden indessen nicht zu. Demgemäß kann die polizeiliche Einstufung eines bestimmten Ortes als ,,Kriminalitätsbrennpunkt" von den Verwaltungsgerichten voll überprüftwerden. Zu 7.: Ich verweise auf die Antwort zu Frage
5.
Zu 8.: Die Beantwortung der Fragen sollte anhand
des Modellversuchs bzw. anhand
empirischer Untersuchungen in anderen (Bundes-)Ländem erfolgen. Zu 9.: Aufzeichnungsregelungen und
Löschungsfristen sind regelmäßig ein Balanceakt
zwischen möglichsteffektiver Datensammlung und datenschutzgerechten Restriktionen. Einerseits muss den Behörden hinreichend
Zeit verbleiben, das Material zu prüfen,
andererseits dürfen die Speicherfrist das angemessene Maß nicht überschreiten. Wo exakt die Idealgrenze zwischen diesen Polen verläuft, lässt sich abstrakt nicht bestimmen. Die in § 15a des Entwurfs normierten Bestimmungen sind durch diese Abwägungskriterien beeinfiusst und lassen sich als sachgerechte Konkretisierung begreifen. Eine kürzere als die in Absatz 2 vorgesehene Monatsfrist insbesondere birgt das Risiko vorschneller Löschung, ohne dass die Behörde hinreichend in der Lage war, das Material auf polizeiliche Relevanz zu prüfen. Freilich ist die Monatsfrist nicht zwingend; verfassungsgemäß wären sowohl kürzere als auch längere Speicherfristen, so dass demGesetzgeberwiederum ein entsprechender Regelungsspielraumzu gewähren ist. | ||||