[Chaos-Knoten]12. Chaos Communication Congress '95


Packet-Radio

von Christoph Haas, cand. dipl. inform. [signum@torfhh.hanse.de]

Wer regt sich momentan nicht über die Gebührenerhöhung der Telekom auf. Das Schlaraffenland jedes Netzwerkers wäre ein Netz, in dem beliebige Datenmengen kostenlos durch die Welt geschoben werden könnten. Auch wer genervt auf jeder mehr oder weniger wertvollen Computerzeitschrift das Wort "Internet" in großen Lettern auf dem Titel liest, sucht sich eine Zuflucht. Wo bleibt das alte Hacker-Feeling? Wo wird noch wirklich etwas entwickelt? Die Antwort: Packet-Radio.

Während gestreßte Surfer gigantische Datenmengen über ständig ausgelastete Bandbreiten schieben, lehnen sich die Funker zurück und bauen ihr eigenständiges Netz.

Packet-Radio ist ein internationales Netzwerk, das auf Funkstrecken basiert, die privat betrieben werden. Basis dafür ist der allseits bekannte Amateurfunk. Zweck und Ziel des Amateurfunks ist die experimentelle Beschäftigung mit der Funktechnik im Hobbybereich. Politische Propaganda ist genauso tabu wie jegliches Gewerbliches. Außerdem müssen laut Post-Monopol die per Funk übertragenen Inhalte mindestens so unwichtig sein, daß das Telefon nicht unnötig wird. Und noch etwas ist anders im Funk: jeder hört mit, jeder soll mithören können und jeder ist sich dessen bewußt. Manchmal sehnt sich der Funker nach ein paar Bit Intimität, aber gesetztlich ist jegliche Verschlüsselung leider verboten.

Deutlich werden diese Einschränkungen am Beispiel des Code-Funkgerätes. Diese handlichen Transceiver haben einen Sender für die handelsüblichen DTMF-Töne - die Art von Tönen, mit denen man wählen kann oder seinen Anrufbeantworter abfragt. Damit war das BAPT (Bundesamt für Post und Telekommunikation) allerdings nicht einverstanden, denn diese Töne sind eine Verschlüsselung: niemandem ist klar, was sie bedeuten sollen. Ein Terrorist, der via Funk und DTMF eine Bombe zünden möchte, macht sich also mindestens doppelt strafbar.

Packet Radio funktioniert prinzipiell auch über Modems. Da Modems auch eine Kodierung der Digitalsignale verwenden, müßte Packet-Radio illegal sein. Glücklicherweise gibt es ein weltweit anerkanntes Protokoll im Netz - eine Weiterentwicklung des X.25 - ein verbindungsunabhängiges OSI-Protokoll. Was viele für unerlaubt halten, ist also höchst legal.

Was kann man über Funk alles machen? Man kann sprechen, tastfunken (morsen), Datenfunken (Packet-Radio), Bilder übertragen (Schmalbandfernsehen=Standbilder), faxen und fernschreiben. Die verwendeten Frequenzbereiche sind:

Außerdem gibt es noch die "abgefahren" Varianten wie z.B. EME. EME steht für "Erde-Mond-Erde". Bei Vollmond sind kaum physikalische Störeinflüsse der Sonne vorhanden und so kann man den Mond als gigantischen Reflektor mißbrauchen. Die Sendung kommt dann irgendwo auf der Erde wieder an. Das Funken läuft im 10 GHz-Bereich ab. Würde man diesen Frequenzbereich auf der Erde verwenden, käme man keine 10 Meter weit. Interessenten der intragalaktischen Kommunikation sei gesagt: Sprechfunk ist nicht möglich - es kommt nur ein Rauschen an. Möchte man etwas morsen, nimmt man seine Sendung zuerst auf ein normales Audioband auf und spielt das Ganze mit 200-10000fach geringerer Geschwindigkeit ab. Die verrückteste Variante ist das Funksurfen auf Nordlichtern in Finnland. Da wird allerdings jede Übertragung zur Geduldprobe und ist laut Kai nur etwas für die "extremem Pflegefälle". Dafür unterhält man sich zum Nulltarif mit Menschen, die mehrere tausend Kilometer entfernt wohnen.

Noch ein paar Worte zum Sprechfunk. Die durchschnittliche Sendeleistung liegt bei 80 Watt; damit überwindet man natürlich nur begrenzte Strecken. Da man seine Mitmenschen nicht grillen möchte, kann man die Sendeleistung andererseits auch nicht beliebig erhöhen. Deshalb gibt es im Funknetz eine Art Repeater. Dieser Umsetzer (ein sogenannter Digipeater) nimmt das gesendete Signal aus seinem Empfangsbereich auf und sendet es verstärkt wieder aus. Diese Umsetzer - wie auch das gesamte Netz - werden privat betrieben. Damit hat man schon eine eigene Infrastruktur zum Betrieb eines gesamten Netzes. Das Schöne daran: Amateurfunk ist ein Experimentierfunk. Im Gewirr von BZT- und CE-Kennzeichen ist dem Funker keine Einschränkung heilig. Keiner kann dafür belangt werden, wenn er Omas Mikrowelle und einen Schraubenzieher zur Hand nimmt und sich einen 1200 Watt-Transceiver baut. Das führt allerdings nicht nur zu Schädendurch die vermutlich erboste Oma, sondern auch zu gesundheitsgefährdenden Verbrennungen. Im CB-Funk sieht man das schon etwas enger. Dort herrschteher der "Steckdosenfunk" vor: kaufen, auspacken, einstecken, funken -drahtloses Plug-and-Play.

Zurück zum Datenfunk. Bekanntlich kostet eine Datenübertragung auf einer Amateurfunkstrecke keine Gebühren. Ein Nachteil: die Bandbreite ist stark eingeschränkt - Standard sind 9.600 Baud. 19.200 Baud sind experimentell im Kommen. Gerüchteweise hört man schon von 115 kBit -die Bandbreite zweier ISDN B-Kanäle. Bis Packet-Radio diesen technischen Stand generell erreicht, wird man sich aber noch in Geduld fassen müssen. Die Interlink-Strecken, die mehrere Knoten umfassen, laufen vielfach schon mit 19.200 Baud und liegen in den Funkfrequenzen viel höher als normal. Generell werden die verwendeten Frequenzen immer größer. "Bald funken wir über Lichtwellenleiter".

Was unterscheidet die Telekom noch vom Funknetz? Die Vermittlungsstellen. Dafür hat jeder Digipeater Listen, auf denen die Rechner stehen, an dieman sich weiterverbinden lassen kann. Per Store-and-Forward werden die Daten gesichert und nachts weitergeleitet, denn kurz nach Feierabend ist das Netz durch normalen Funk fast überlastet. Eine Mail oder ein Artikel dauert via Funk 1-2 Tage innerhalb Deutschlands. Wer internationale Kontakte pflegt, darf es allerdings nicht eilig haben - Laufzeiten von fünf Tagen und mehr sind völlig normal. Aber es kostet halt nichts - dafür nimmt man schon diesen kleinen Nachteil in Kauf.

Zu solch einem Netz fehlt nur noch die Verbindung in die anderen Netze:ein Gateway. Aufgrund der eingangs genannten gesetzlichen Regelungen darf keine Verbindung ins Telefonnetz existieren. Eine Anbindung ans Internet in Deutschland ist demnach illegal. Im CB-Funk sieht das schon anders aus - dafür ist CB nicht kostenlos. In anderen Ländern sieht man das freizügiger. Das nächstgelegene Gateway ins Internet steht in der Schweiz. Eine Mail braucht im günstigsten Fall ca. sieben Minuten bis in die Schweiz, wird dann ins Internet gespielt und landet sofort beim Empfänger. Von Hamburg nach Hawaii kostenlos in 10 Minuten - der Traum jedes Gebührengroßverbrauchers.

In Deutschland stört diese Einschränkung die meisten Funker aber nicht.Der DARC distanziert sich z.B. vom Internet. Das Grundgedanke des Netzes ist das Experimentieren. Jeder Funker braucht eine Lizenz und hat so schon recht spezielle Kenntnisse über sein Medium; für die Lizenz muß sogar ein polizeiliches Führungszeugnis vorgelegt werden. Im Internet hingegen darf jeder schreiben, egal welche Kenntnisse er hat. Die Packet-Radio-Freaks haben ihr eigenes abgeschlossenes Netz, und das soll auch so bleiben. "Packet-Radio ist ein eigenständiges Internet."

In den Netzdiensten steht Packet-Radio dem Internet in nichts nach. Es gibt IRC-Clients und World-Wide-Web-Browser. Auf dem CCCongress stellen zwei ISDN-Leitungen die Verbindung zum Outer Space her - der Funksurfer braucht nur Geduld. Das Internet braucht allerdings einiges an Infrastruktur. Es ist ein leichtes,z.B. in Krisengebieten wie Jugoslawien eine Funkverbindungaufzubauen, wo die normalen Telefonleitungen schon lange in Fetzen liegen.

Referenten:
Henning Heedfeld (dg1ygh)
Kai Richter (dg5ygi)


Michael Rademacher, 28.12.1995