[Chaos-Knoten]12. Chaos Communication Congress '95


TV von unten

von Björn Schott [stu30618@mail.uni-kiel.d400.de] und Daniel Stolba

Inzwischen haben wohl die meisten größeren Städte einen offenen Fernsehkanal, in dem jeder seine eigenen Beiträge senden darf. Ursprünglich wurden diese Kanäle als Gegengewicht zu den kommerziellen Privatfernsehsendern geschaffen. Leider sind die offenen Kanäle hoffnungslos überfüllt und nicht so offen, wie der Name vermuten läßt.

Nach Meinung der Referenten Christian Dany und Stefan Edelmuth sind immer noch zu viele Auflagen mit der Sendung eines eigenen Beitrags verbunden. Nun kommt vielleicht sogar das endgültige Aus für die offenen Kanäle. Nachdem das Rundfunkgesetz dahingehend geändert wurde, daß offene Kanäle zwar wünschenswert, aber nicht vorgeschrieben sind, wird es schwer sein, diese ohne Profit arbeitenden Institutionen am Leben zu erhalten.

Die Frequenz, die ursprünglich für den Offenen Kanal Hamburg reserviert war, wurde mittlerweile an die BBC verkauft, dem Offenen Kanal blieb nur noch ein mageres Sendefenster im BBC-Programm. Dabei wäre ein Gegengewicht zur sich immer weiter nivellierenden Medienlandschaft nötiger denn je, nachdem die öffentlich-rechtlichen Anstalten immer mehr versuchen, ihr Programm dem der Privatsender anzugleichen.

Versuche, mit neuen Konzepten gegen diese Tendenzen anzugehen, waren bisher kaum erfolgreich. Der Fernsehsender VOX, der ursprünglich ein deutliches Kontrastprogramm bot, stand schnell kurz vor dem Konkurs und konnte nur gerettet werden, indem er sich ebenfalls an das herrschende Niveau auf dem deutschen Medienmarkt anpaßte. Der deutsch-französische Kulturkanal Arte muß zur Zeit um die französische Unterstützung kämpfen, da er in Frankreich als "zu deutsch" angesehen wird, obwohl er in Frankreich wesentlich mehr Zuschauer hat.

Will ein Sender absolut unkommerziell arbeiten, so muß er sich entweder durch die Beiträge eines Vereins oder durch staatliche Subventionen finanzieren. Ein Verein als Träger funktioniert zwar bei Radiosendern, würde aber zum Unterhalt eines - ungleich teureren - Fernsehsenders nicht ausreichen. Die staatliche Subvention, auf die auch die offenen Kanäle bauen, kommt für die Referenten aber nicht in Betracht, da durch die Abhängigkeit von öffentlichen Geldern auch Freiheiten in der Programmgestaltung beeinträchtigt werden. Stattdessen wurde eine kommerzielle Finanzierung durch eine Art Video-Kleinanzeigenmarkt (Sendekosten: 2 DM / sec., im Vergleich Privatsender: mehrere Tausend DM / sec.) vorgeschlagen. Natürlich wären gewerbliche Kleinanzeigenkunden hier nur zu entsprechend erhöhten Preisen erwünscht.

Die Inhalte sollten ähnlich wie beim bisherigen offenen Kanal gestaltet werden. Die Referenten nannten zum Beispiel die Möglichkeit, daß Herausgeber von Fanzines, aber auch "Stümper" (also nicht nur versierte Video-Freaks) Beiträge senden lassen könnten. Es wurde auch ein alternatives Nachrichtenkonzept vorgeschlagen: Aktuelle Nachrichten werden zusammen mit früheren Ereignissen, mit denen sie in Beziehung stehen, zu Collagen zusammengefügt. Auf diese Weise wollen die beiden Referenten der Tendenz zu immer kürzeren, sensationsorientierten Nachrichten entgegenwirken. Vielleicht überrascht es zunächst zu hören, daß auch Soap Operas zum Programm gehören sollen. Allerdings denken Christian Dany und Stefan Edelmuth dabei an Soaps, die vom Publikum selbst gemacht werden, in denen die Zuschauer ihre eigenen Probleme verarbeiten.

Das Nachtprogramm soll mit Ambient-Fernsehen bestritten werden. Natürlich ist solch eine Programmgestaltung auf Mithilfe angewiesen, zum Beispiel von Aktivisten, die bereit sind, Archive nach alten Aufnahmen zu durchsuchen.

Nach konkreten Schritten gefragt, meinten die Referenten, daß sie im Moment dabeiseien, nach Gleichgesinnten zu suchen, die bei der Verwirklichung des Projektes mitmachen würden. Anschließend soll ein Sendekonzept ausgearbeitet werden, um schließlich ein Pilotprojekt zu starten. Stefan gab sich pessimistisch und hielt das Projekt für "zum Scheitern verurteilt", will es aber trotzdem versuchen. Und Christian sieht in einem solchen Versuch die einzige Möglichkeit, der ärmlichen deutschen Fernsehlandschaft etwas entgegenzusetzen.

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Michael Rademacher, 29.12.1995