Der CCC Sachsen und die Idee der Politikseminare

Referent: Jürgen Christ (Leipzig) j.christ@geonet.com

Interaktive Bürgerinformationssysteme sollen Funktionen übernehmen, die im alltäglichen Miteinander bereits untergegangen sind. Neben dem Staat als Dienstleister und Möglichkeiten direkter elektronischer Demokratie zeigte dieser Workshop einen Überblick über die Entwicklung von computerunterstützten Ansätzen, um menschliches Miteinander gemeinsam zu regeln.

Der Workshop war größtenteils von politisch orientierten Menschen besucht, teils selbst Seminaranbieter, teils im politischen Umfeld beschäftigt. Jürgen "Bishop" Christ, Medienjournalist aus Leipzig, stellte die Pilot-Bürgerinformationssysteme von Professor Kubitschek in Kiel und das holländische Demokratieexperiment "de Beslijzwisser" ("Die Besserwisser") von Marcel Bullinga vor.

Auffallend an diesen Pilotprojekten ist ihre auffällige Erscheinung als Präsentation von Behörden, Firmen und Vereine.

Nach Prof. Kubitschek sind die historischen Mainframe-Computer in Behörden eine Ursache dafür. Techniker richten erst gar keine Interaktionssysteme ein, in der Furcht, der Rechner komme mit Anfragen mehrerer schneller PCs nicht zurecht.

Für Behörden spielt noch die Ausweispflicht eine Rolle. Identifizierung per Anwesenheit und fälschungssicherem Plasteausweis müßte fürs Internet erst neu geregelt werden.

Im holländischen Modell "Beslijzwisser" von Marcel Bullinga (Institut für Politik, Amsterdam) werden Diskussionen, digitale Demokratie und Wahlen per Computer bereitgestellt. Die Identifizierung verläuft hier nach einem ecash-ähnlichen Verfahren.

Mit einem Feldversuch in Brabant wurden 100 Testpersonen über eine Zeitungsannonce eingebunden. Voraussetzung war allerdings ein vorhandener Internetzugang, womit die Auswahl nicht repräsentativ ist. Vorteile stellten sich durch den direkteren Schriftverkehr zwischen Bürger und Behörde heraus; ohne den förmlichen Schriftverkehr unterhielten sich Bürger per email mit ihren Ämtern, stellten ihre Forderungen und Vorschläge dar, und es kam zu konstruktiveren Ergebnissen.

Christine Wittig, Userservice von Link-M im Medienladen München, sprach ihre bisherigen Erfahrungen mit der Vernetzung gesellschaftlicher Gruppen in München an.

In den Anfangszeiten fand diese als Idee von Initiativen und Ortsgruppen ohne Einfluß von Vorständen o.Ä. statt. Die Ideen der Gruppe plus die Technikberatung des Medienladens München sollten in einer sinnvollen Weise vernetzt werden.

Dabei stellten sich einige Fragen:

Im Feldversuch von "Beslijzwisser" legte Marcel Bullinga viel Wert auf ein großes lokales Informationsangebot, das von den Nutzern rezipiert werden soll, damit diese sich dann wieder in diesem Web dazu äußern und so zur Diskussion kommen.
Das Informationssystem erfüllt hoheitliche Aufgaben, verbreitet Informationen über Öffnungszeiten der Ämter, Abwassergebühren, etc. und bietet dieVerarbeitung digitaler Formulare.

Christine erzählte vom Münchner Stadtmagazin, das gegründet wurde, um damit mehr von Projekten anderer Vereine in München zu erfahren und über den Tellerrand zu schauen. Das Projekt der Stadt München wurde erst in Papierform und bald via Mailbox angeboten. Zunächst schrieb niemand, die Stadt stellte Journalisten an und führte Schreibseminare für Vereins- und Initiativenmitglieder durch, als Initialzündung für Publikationen.

Ein kleineres Feld ist die Jugendinformation. Initiativen entstanden meistens aus Arbeitslosigkeits- oder Drogenpräventionsprojekten. Jugendinformation bietet neben dem konsumierbaren Informationsangebot Schulung und Betreuung für die Jugendlichen, damit sie sich im Netz überhaupt zurechtzufinden.

Ein wichtiger Kritikpunkt an dieser technisch vermittelten Kommunikation: Es können einfach zu viele Menschen die Informationssysteme wegen Technikproblemen nicht nutzen.

Nicht zu vergessen ist auch die Verweigerung des Internets, da es Probleme schafft.
Pro Familia kann sich bei der Telefonberatung sicher sein, daß eine Empfehlung zur Antreibung oder zum Austragen des Kindes mit dem Schall im Telefonhörer verschwindet. In nachvollziehbarer Form, z.B. als email fixiert, können sich da schon Straftatbestände auftun.

Fallbeispiel Interaktionssystem: "InfoMax"

Das Informationssystem im deutschen Jugendherbergswerk, piepsende Kisten mit alten Infos, meistens kaputt. Das Projekt war nach 5 Jahren pleite.
Grund dafür war ein zentrales System: Veranstaltungen wurden von Herbergseltern aus Zeitungen ausgeschnitten, zur InfoMax-Zentrale gefaxt, dort erfaßt, in die Datenbank gespeist und per ISDN in die "InfoMax"-Kisten zurückgepustet. Die lange Verarbeitungszeit führte dazu, daß keine Termine mehr gefaxt wurden. Das Angebot war dazu nicht situationsgerecht, Bahnverbindungen und tiefergehende Lokalinformationen suchte man vergebens. Die zweite Version wartete dann mit lokaler Termineingabe auf, wurde aber auch eingestellt. Jetzt geht "InfoMax" ins Internet. Ob die Idee einfach zu früh oder schlicht schlecht umgesetzt war, bleibt eine offene Frage. Interaktionssysteme sollen auch für virtuelle Wahlen verfügbar sein.

Ross Perot nutzte zur amerikanischen Präsidentschaftswahl z.B. Call-Center, Telephone-Marketing und Internet erfolgreich. Die Auswahl der Finanzierung von öffentlichen Interaktionssystemen unterliegt den Abhängigkeitsgesichtspunkten.

Eine staatliche Stelle, die nur die Zugänge technisch bereitstellt, wäre eine Idealvorstellung, private Provider mit Besitzanspruch und Zensurverhalten sind gegenwärtig die Realität. Das Pilotprojekt in Holland wurde z.B. privat finanziert, Prof. Kubitschek in Bremen hatte im Feldversuch einen Verleger als Finanzier dabei.

Die Frage lautet: Warum sollen Microsoft, Coke und Mercedes eigentlich nicht die nächste holländische Wahl sponsern ?

Im freien Datennetz Bayern wurden die Bürgerinformationssysteme erst nachträglich eingebaut. Vereine vor Ort, meist in Kooperation zwischen Verein und Wirtschaft, bauen die Einwahlknoten auf.

Ähnliche Phänomene sind bei der Internetnutzung der Staatskanzlei Sachsen zu bemängeln. Antwortadressen waren teilweise erst ein halbes Jahr nach Beginn des Testbetriebs überhaupt erreichbar. Zudem bestehen 9/10 der Meldungen aus PR, berichtet Jürgen Christ; Selbstdarstellung und Parteiwerbung überwiege, Meldungen zu Themen seien eine Seltenheit und tauchten in der Informationsmüllflut unter.

Eine Idee ist die Kommentierung der Meldungen durch die Nutzer, die z.B. Haken an "gute" oder wertvolle Nachrichten setzen oder Noten für Internet-Veröffentlichungen vergeben zu können. An diesen Wertungen könnte man sich dann orientieren.

Das Projekt Grouplands veröffentlicht Kommentare und Bewertungen zu Beiträgen, Artikeln und Büchern. Hier übernimmt die Projektgruppe die Orientierungshilfe, z.B. für die Literaturrecherche zu einem Thema, zu dem es keinen Fachmann in Deinem Umfeld gibt.

Marcel Bullinga - Erklärung Modell Teledemokratie
Feldversuch Teledemokratie
Sächsische Datenautobahn

Mo Hataj


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