"Abschiedsgeschenk" für Kurt Sibold: "Big-Brother-Awards 2002" für Microsoft Deutschland

28.10.2002

Seit zwei Jahren vergibt der Bielefelder Verein FoeBuD e. V. (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V.) den "Big-Brother-Awards Deutschland". Damit sollen, so der Verein, Unternehmen, Verbände, Behörden, öffentliche Institutionen und auch einzelne Personen ausgezeichnet werden, die sich besonders um Datenüberwachung, das Eindringen in die Privatsphäre der Bürger und die Aushebelung gesetzlich verankerter Datenschutzbestimmungen verdient gemacht haben.

Die diesjährige Vergabe des Hauptpreises (Lifetime-Award) an Microsoft Deutschland kommt für Kurt Sibold, von dem am Donnerstag vergangener Woche bekannt wurde, er werde Ende des Jahres als Geschäftsführer der deutschen Filiale des Redmonder Softwareriesen aufhören, nicht zu spät. Die Begründung für diese zweifelhafte Auszeichnung dürfte auch für ihn interessant sein. Wir geben sie hier nahezu ungekürzt wieder (siehe auch Big-Brother-Award 2002).

"Der Lifetime-Award (und diesjährige Hauptpreis) geht an Kurt Siebold, Geschäftsführer von Microsoft Deutschland. Die Firma erhält den Preis vor allem für seine Verdienste bei der flächendeckenden Einführung von Kontrolltechnologie für Urheberrechte: Digital Rights Management.

Gründe

Microsoft ist bereits in den vergangenen Jahren aus unterschiedlichen Gründen für den Big Brother Award nominiert worden. Anlass dazu hat die Firma mit unschöner Regelmäßigkeit immer wieder gegeben.

So wird vielen noch in Erinnerung sein, dass Windows 98 bei der automatischen Online-Registrierung die Festplatte und die Hardware-Konfiguration seiner Nutzer durchleuchtete und die Ergebnisse zusammen mit einer Kennung an Microsoft meldete. Diese weltweit einzigartige Identifkationsnummer eines Rechners konnte über das Internet abgefragt werden und tauchte auch versteckt in Office-Dokumenten und E-Mails wieder auf. Bei Microsofts aktuellem Betriebssystem Windows XP wird der Nutzer nicht mehr automatisch und klammheimlich registriert. Aber die Option, sich nicht zu registrieren, hat er keineswegs. Dann nämlich schaltet sich die Software 30 Tage nach ihrer Installation einfach ab.

Obwohl Microsoft sich schon so oft preiswürdig präsentiert hat, erhält das Unternehmen in diesem Jahr nicht nur den Lifetime-Award sondern auch den Hauptpreis.

Den Anlass lieferte Microsoft mit dem Update für den hauseigenen Media Player. In der damit einhergehenden Veränderung der Lizenz räumte sich Microsoft großzügig das Recht ein, Updates, die das Betriebssystem um Funktionen zum Digital Rights Management (DRM) erweitern, automatisch einzuspielen.

(...) Microsofts Version von DRM trägt den Codenamen Palladium. Damit bezeichnet der Konzern Grundzüge für ein Betriebssystem, das ein Restriktionsmanagement bereits auf der untersten Ebene verankert. Mit diesem Vorhaben wird der herkömmliche PC grundlegend verändert: Aus einem Allzweckwerkzeug, über das die Anwender bestimmen, wird ein Copyright-Polizist, der in erster Linie die Nutzer kontrolliert.

(...) Vielversprechend liest sich denn auch Microsofts Begründung des Restriktionsmanagements: Die Verbraucher werden in Zukunft immer sicher sein können, dass der Inhalt, den sie über ihre Rechner sehen oder hören, authentisch und rechtlich einwandfrei ist. Außerdem erhalten sie die Möglichkeit darüber zu bestimmen, was ein Empfänger mit ihrer E-Mail anfangen darf: Darf er sie ausdrucken? Darf er sie weiterleiten? Darf er sie beliebig lange speichern? Zusätzlich werden ein paar Nebelkerzen gezündet, die ein Ende der Virenplage und der unerwünschten E-Mail-Werbung verheißen.

Ungesagt bleibt dabei, dass in dieser schönen, neuen Welt auch die Programme ein Wörtchen mitzureden haben. Denn sie "unterstützen" - wie es so schön heißt - die Anwender bei der schweren Entscheidung, ob eine Datei aus dubiosen Quellen stammt oder vertrauenswürdig ist. Auf diese Weise zementiert die Computerindustrie, was sie - und auch hier wieder insbesondere Microsoft - durch die sorgfältige Missachtung von Standards bislang nur unvollkommen zustande gebracht hat: Den Verbraucher an ihr - und nur ihr - Produkt zu binden.

(...) Die Informationen, die das Programm benötigt, um die Anwender einschränken zu können, erhält es von seinem Hersteller oder dem Lieferanten des Inhalts. So kontrolliert Microsofts Leseprogramm für elektronische Bücher, auf wievielen Geräten es installiert ist. Mehr als vier Geräte sind nicht erlaubt. Dem Verleger bleiben die Festlegungen überlassen, wie lange der Inhalt zur Verfügung steht, wie häufig er gelesen werden kann, ob das Buch kopierbar ist, usw.

Informationen über die Anzahl der eingesetzten Geräte erhält das eBook-Programm über Microsofts Passport-System. Für die Aktivierung des Readers wird ein Konto bei Passport benötigt, und dort wird die weltweit eindeutige Programmkennung zusammen mit anderen Informationen über den Nutzer hinterlegt. Damit zeigt sich eine weitere Konsequenz digitaler Restriktionssysteme: Sie eröffnen die Möglichkeit detaillierter Datensammlungen - wenn Sie nicht mehr wissen, welche Musik Sie in der letzten Woche gehört haben, die DRM-Datenbank könnte ihnen garantiert weiterhelfen.

Microsoft hat uns labile Betriebssysteme beschert, einem Überfluss an Viren den Boden bereitet und für einen Mangel an Standards gesorgt. Und nun sollen die Anwender mit der Einführung von DRM endgültig ans Gängelband genommen werden. Das ist preiswürdig. Bielefeld, 25. Oktober 2002; für die Jury, Patrick Goltzsch."

Die Lifetime-Preisträger der Jahre 2001 und 2000 waren Otto Schily und das Bundesverwaltungsamt in Köln - für sein Ausländerzentralregister. (wl)

ComputerPatner, 28. Oktober 2002
Original: http://www.computerpartner.de/index.cfm?pageid=37&artid=114275&CommentAction=detail&type=detail&CommentID=3329