Bei dem Satz "Der Gewinner ist ..." macht sich bei Preisverleihungen auf den Gesichtern der Nominierten meist freudige Erwartung bemerkbar. Freudentränen fließen und den Siegern ver sagt vor lauter Freude bei der Dankesrede nicht selten die Stimme. Bei der erstmaligen Verleihung des Big Brother Award Deutschland am 26. Oktober in Bielefeld war das anders. Die Gewinner erschienen trotz Einladung erst gar nicht zur Öffentlichen Preisverleihung. Kein Wunder; wird der Big Brother Award doch an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beinträchtigen oder (persönliche) Daten Dritten zugänglich machen.
Der Preis "wurde 1998 zum 50. Jahrestag von George Orwells utopischen Roman ,,1984" von der Datenschutz-Organisation Privacy International in Großbritannien ins Leben gerufen. Seit 1999 wird der Big Brother Award unter großer öffentlicher Anteilnahme in den USA, Kanada, Großbritannien und Österreich vergeben. In der Schweiz und Deutschland wurde er in diesem Jahr erstmals ausgelobt. Der Big Brother Award Deutschland wurde ins Leben gerufen, um die Öffentliche Diskussion um Privatsphäre und Datenschutz zu fördern sowie missbräuchlichen Gebrauch von Technik und Informationen aufzuzeigen.
Initiator für die Verleihung des Negativ-Preises auch in Deutschland war 1999 der "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs", kurz FoeBuD e.V, aus Bielefeld. In der Jury saßen neben Rena Tanges und dem Netzkünstler padeluun von FoeBuD Thilo Weichert von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD), Hans Hübner vom Computer Chaos Club (CCC), Patrick Goltzsch vom Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG) sowie Rechtsanwalt und Publizist Dr. Rolf Gössner aus Bremen. Preise gab es in folgenden Kategorien: Business & Finanzen, Politik, Behörden & Verwaltung, Kommunikation, Lebenswerk, Szene. Ferner wurde ein Regionalpreis vergeben.
Der Big Brother Award der Kategorie "Business & Finanzen" und damit der Hauptpreis ging an die Loyalty Partner Gesellschaft für Kundenbindungssysteme mbH in München für deren Payback Karte. "Payback kommt als Rabattmarke daher, dient aber einzig dazu, personalisierte Daten zum Kaufverhalten von Tausenden von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu gewinnen und kommerziell zu nutzen, ohne dass diese darüber informiert werden", hieß es dazu in der Begründung der Jury.
In der Kategorie "Politik" wurde der Berliner Innensenator Eckart Werthebach (CDU) für seine "undifferenzierte Forderung nach immer mehr Telefon-Überwachung" der "Sieger". Zu den Plänen Werthebachs gehört auch die Überwachung des Mobilfunks (IMSI-Catcher).
Mit dem Preis in der Rubrik "Behörden & Verwaltung" wurde der Vorsitzende des Vorstandes der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, für die " undurchschaubare Gemengelage der Videoüberwachung durch die Deutsche Bahn AG" bedacht. Undurchschaubar, weil niemand mehr genau wisse, wer für die Überwachung der Bahnhöfe und Züge zuständig ist (Deutsche Bahn, Bundesgrenzschutz oder Sicherheitsdienste der DB).
Der E-MailDienst GMX bekam den Preis in der Kategorie "Kommunikation ", "weil die Firma die elektronische Post ihrer Nutzer ungenügend gesichert hat". So verloren im Juli 2000 rund 118.000 GMX-Kunden ihre elektronische Post, weil GMX intern die Software erneuerte. Ferner wurden bei einem Hackerangriff die Passwörter von 1625 Kunden geändert.
Der Preis in der Kategorie "Lebenswerk" ging an das Bundesverwaltungsamt in Köln für sein Ausländerzentralregister; es diene" vor allem der Überwachung von Ausländerinnen und Ausländern, um diese im Zweifel außer Landes schaffen zu können".
Preisträger der Kategorie "Szene" wurde das Apache-Konsortium "für die mangelhafte Beachtung von Belangen der Privatsphäre in der Standardkonfigurationsdatei des Apache-Webservers". Dessen Konfiguration erfolge über eine Textdatei, in der auch die Protokollierung von Daten festgelegt wird. In der Standard-Konfiguration protokolliere der Apache-Webserver unter anderem die IP-Adresse des Abfragenden und die Namen der abgerufenen Webseiten mit.
Die Stadtwerke Bielefeld schließlich erhielten die "Auszeichnung" in der Kategorie "Regional" für die Zwangsbeschallung der Fahrgäste mit dem Programm des lokalen Radiosenders Radio Bielefeld in vier Linienbussen.
Bei der Preisverleihung betonten die Veranstalter, dass es nicht darum gehe, die bedachten Firmen und Behörden vorführen zu wollen. Vielmehr sei Ziel der Preisverleihung, den öffentlichen Diskurs über die Gefährdung des informationellen Selbstbestimmungsrechts anzuregen und zu vertiefen. Die Resonanz im Internet und der Presse auf die erste Verleihung des Big Brother Awards Deutschland spricht dafür, dass dies schon mit der ersten Preisvergabe gut gelungen ist und die Verleihung im Jahr 2001 bereits im Vorfeld auf noch größeres Interesse stoßen wird. Eventuell kümmern sich Behörden und Firmen auch vermehrt um die datenschutzgerechte Gestaltung ihrer Datenverarbeitung. Wenn der Wenn der verliehene Preis, gestaltet von dem Künstler Peter Sommer, auch ein wirkliches Schmuckstück auf jedem Schreibtisch ist - wer will schon ständig an seine Datenschutz-Missetaten erinnert werden.
Die Laudatio von Rena Tangens auf der Veranstaltung am 26. Oktober und die ausführlichen Begründungen für die Verleihung der einzelnen Preise sowie weitere Informationen zum Big Brother Award Deutschland 2000 stehen im Internet. .(HK)
Internet: http //www.bigbrotherawards.de
Stichworte: Datenschutz-Negativpreis
Datenschutz-Berater (Verlagsgruppe Handelsblatt), November 2000