Big Brother Microsoft [Update]

Mit der Verleihung des Lifetime-Award und des Hauptpreises ist Microsoft der eindeutige Gewinner des diesjährigen Big Brother Award. Der jährlich verliehene Preis für die Missachtung des Datenschutzes erging an die deutsche Niederlassung von Microsoft und sollte eigentlich Kurt Sibold verliehen werden. Statt seiner kam der Datenschutzbeauftragte von Microsoft, Sascha Hanke, nach Bielefeld und nahm den Preis persönlich in Empfang, ein Novum in der Geschichte des deutschen Big Brother Award. "Wir sind nicht erfreut über den Preis, akzeptieren aber das Urteil der Jury", erklärte Hanke. "Für uns zeigt der Preis, dass die Kommunikation über die Funktionsweise des Windows Media Player und die Funktion des Digital Rights Management nicht optimal gelaufen ist." Hanke betonte, dass es ohne ein System zum Schutz digitaler Medien neue Geschäftsmodelle keine Chance habe. "Microsoft ist verpflichtet, der Multimedia-Industrie eine solide Basis zu geben, auf der sie gedeihen kann", erklärte Hanke gegenüber heise online. Nach Bielefeld sei er freiwillig gefahren, weil jede Gelegenheit genutzt werden müsse, die Position von Microsoft zu erhellen.

In seiner Laudatio auf den Hauptpreisträger erklärte Jury-Mitglied Patrick Goltzsch (FITUG), dass Microsoft gleich für mehrere Produkte "und die konsequente Missachtung von Standards" den Preis bekomme. Angefangen mit der Online- Registrierung von Windows 98 über die Lizenzkontrolle des eBook-Readers bis hin zur Update-Politik des Windows Media Player habe Microsoft alles dafür getan, dass aus dem Allzweck-PC ein Copyright-Polizist werde. Das derzeit nur in Umrissen erkennbare DRM-Konzept Palladium sei nur die Krönung. "Microsoft hat uns labile Betriebssysteme beschert, einem Überfluss an Viren den Boden bereitet und für einen Mangel an Standards gesorgt. Und nun sollen die Anwender mit der Einführung von DRM endgültig ans Gängelband genommen werden. Das ist preiswürdig."

Zum diesjährigen Big Brother Award kamen etwa 100 brauchbare Vorschläge, von denen 8 durch die Jury prämiert wurden. Zur langen Liste derer, die leer ausgingen, aber doch mit einer "lobenden" Erwähnung bedacht wurden, zählten Firmen wie die Robert Bosch AG (für neue Überwachungstechnik), Finanzinstitute wie die Frankfurter Sparkasse von 1822 und die Hamburger Haspa (für unzumutbare Online- Geschäftsbedingungen).

Auch Jürgen Büssow, der Regierungspräsident von Düsseldorf, ging leer aus. Dafür wurde sein Kollege Fritz Behrens, Innenminister von Nordrhein-Westfalen, mit dem "Lokalpreis" geehrt. Behrens bekam den Preis auch -- das ist ein Novum -- für das Herbeilügen von Erfolgen. In einem Schreiben zur Videoüberwachung hatte Behrens die Kameraüberwachung des Ravensburger Parks in Bielefeld als Beweis für den Erfolg solcher Maßnahmen angeführt. Wie Laudator padeluun vom Foebud erklärte, nahm die Kriminalität im Park vor Installation der Kameras ab, einfach darum, weil der Park für die Expo hergerichtet wurde. Das Bielefelder Beispiel sei in keinem Fall für eine seriöse Evaluation tauglich. Dass dieses von NRW-Innenminister mit falschen Zahlen überspielte Manko auch den deutschen Behörden bekannt ist, zeigt eine Erklärung, die der Brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm verbreiten ließ. Er startete vor wenigen Tagen die bundesweit erste Langzeitstudie zum "Videoschutz", in der die Daten verschiedener bundesdeutscher Überwachungsinstallationen durch die Fachhochschule der Polizei Brandenburg koordiniert ausgewertet werden.

In der Kategorie "Kommunikation" war wenig überraschend die vom Bundesrat verabschiedete "Vorratsdatenspeicherung" vom Verbindungsdaten durch die TK- Provider der Empfänger des Preises. Was bisher nur für Abrechnungszwecke gedacht war, entwickele sich mit der Initiative des Bundesrates zu einer veritablen Überwachungsinstanz. Laudator Rolf Gössner wies darauf hin, dass im Zuge der dänischen EU-Präsidentschaft von der konservativen dänischen Regierung ein noch weiter reichender Schritt geplant sei, die Vorratsdatenspeicherung nicht nur als Recht, sondern als Pflicht aller Provider festzuschreiben. Gössner hielt die Rede in Vertretung des schleswig-holsteinischen Datenschützers Thilo Weichert, der auf Weg von einer Tagung aller deutschen Datenschützer zu Trier im Stau steckenblieb. Weichert erreichte Bielefeld kurz vor Ende der Veranstaltung, um den applaudierenden Teilnehmern mitteilen zu können, dass die deutschen Datenschützer in einer Entschließung die Vorratsspeicherung als verfassungswidrig ablehnen. "Die Zeiten werden rauer. Es ist eindeutig zu sehen, dass die diesjährigen Preisträger den Big Brother Award stärker verdient haben als die Preisträger des letzten Jahres", fasste Weichert seinen Eindruck zusammen.

Für den Versuch, die sogenannte Rasterfahndung auch ohne richterlichen Beschluss und ohne konkrete Gefahrenlage zu genehmigen, erhielt der hessische Innenminister Volker Bouffier den Award in der Kategorie "Politik". Die vor 25 Jahren erstmals praktizierte negative Rasterfahndung arbeitet mit den Daten aller Bürger, die solange gesiebt werden, bis die Bösen von den Guten getrennt sind. Eine solch umfassende Methode sollte bisher nur in besonderen Gefahrenlagen und mit richterlicher Genehmigung erlaubt sein. Der hessische Innenminister erhielt den Preis stellvertretend für die Versuche aller Innenminister, die Rasterfahndung zu einer normalen Fahndung zu machen. Die Methoden der Fahnder spielten auch in der Kategorie "Behörden und Verwaltung" eine preiswürdige Rolle. Das Bundeskriminalamt Wiesbaden bekam den Preis in dieser Sparte für sein Bemühen, die Verbund-Dateien LIMO (Gewalttäter Links), REMO (Gewalttäter Rechts) und AUMO (politisch motivierte Ausländerkriminalität) zu führen. Diese Dateien speichern noch nicht auffällig gewordene Personen, von denen anzunehmen ist, dass sie zukünftig Straftaten begehen könnten. Was sich heute wie ein vorweggenommener Minority-Report ausmacht, wird vom BKA international verschickt und soll ursächlich dafür verantwortlich gewesen sein, dass zum G-8-Gipfel nach Genua reisenden Personen im Jahre 2001 plötzlich als "polizeibekannt" die Ausreise aus Deutschland verweigert wurden.

Auch in der Kategorie Technik ging der Big Brother Award in die Zukunft: Das kommende System der LKW-Maut, das demnächst bundesweit von der Berliner Firma TollCollect installiert wird, erwies sich nach Meinung der Jury als preiswürdig. Der zunehmende Trend zu Subunternehmern im Speditionsgewerbe mit einem einzigen Lastwagen würde darauf hinauslaufen, dass nicht die Abrechnungsdaten, sondern faktisch die Bewegungsdaten eines Fahrers erfasst würden, so die Begründung. Wie das BKA, so prognostizierte der Laudator Frank Rosengart vom CCC: "Wir sehen voraus, dass die Autobahn-Maut auch für Personenwagen eingeführt wird und die massenhafte Verarbeitung von Bewegungsdaten kommt." Überzeugender waren da die Preisträger in den Kategorien "Arbeitswelt" und "Verbraucherschutz", ehemals als "Business und Finanzen" geführt. Stellvertretend für Firmen wie DaimlerChrysler, Bosch, BASF und Höchst erhielt die Bayer AG den Preis für die Praxis, Bewerber einem Drogentest zu unterziehen. Damit erhielten die Unternehmen kaum verwertbare Daten, sondern kommunizierten dem Neuling, "Du wirst keine Geheimnisse vor uns haben", erklärte Laudatorin Rena Tangens. Last and not least kann sich die Deutsche Post über einen Big Brother Award freuen, weil ihre Praxis des Nachsendeantrags dazu führt, dass Adressdaten besser denn je von Adresshändlern verwertet werden können.

Durch die Big Brother Awards soll nach dem Willen der Veranstalter "das abstrakte Thema Datenschutz interessant und öffentlichkeitswirksam" werden. Die Sachverhalte, die mit Datenschutz und den "Datenkraken" verbunden seien, würden durch die konkreten Beispiele, die die Preise lieferten, "anschaulich und allgemein verständlich". Im vergangenen Jahr ging der Hauptpreis an Bundesinnenminister Otto Schily.

In Österreich wird der Big Brother Award am Samstag verliehen, in der Schweiz am Dienstag kommender Woche. Erstmals wurde der Big-Brother-Preis am 26. Oktober 1998 in London verliehen. Inzwischen wird er jährlich in neun Ländern an diejenigen verliehen, die sich um die Verletzung der Privatsphäre am meisten "verdient" gemacht haben. In einigen Ländern werden auch Positiv-Preise verliehen an diejenigen, die sich am stärksten für die Bewahrung der Privatsphäre eingesetzt haben -- in Spanien erhielt die deutsche Datenschutzinitiative Stop1984 gerade einen solchen Positiv-Preis.

Die Jury aus Foebud (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V.), Chaos Computer Club (CCC), Deutschem Verband für Datenschutz (DVD), dem alternativen Informatikerverband FifF und dem Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG) zeichnete als "Protagonisten der Überwachungsgesellschaft" und damit Preisträger der BigBrotherAwards in Deutschland im Einzelnen aus:

Heise Online, 25. Oktober 2002
Original: http://www.heise.de/newsticker/data/jk-25.10.02-015/