Junge Welt, 26./27.10.2002
Von Reimar Paul
Der Deutsche Bundesrat, das Bundeskriminalamt (BKA), die Länderinnenminister Volker Bouffier und Fritz Behrens sowie die Microsoft AG erhalten die "BigBrotherAwards" 2002. Die Negativauszeichnungen für datenschutzschädigende Taten wurden am Freitag abend, zum dritten Mal verliehen. Der Jury gehörten Vertreter von sechs Datenschutz-und Bürgerrechts.rganisationen sowie der Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner an.
In der Kategorie Kommunikation erhielt der Bundesrat die "Auszeichnung". Die Länderkammer habe mit einem Beschluß Telekommunikationsdienste dazu verpflichtet, die Verbindungsdaten von Nutzern für eine nicht festgelegte Dauer für die Zwecke von Polizei und Geheimdiensten auf Vorrat zu speichern, sagte Thilo Weichert von der Deutschen Gesellschaft für Datenschutz in seiner "Laudatio". Der am 31. Mai 2002 gefällte Beschluß geht auf einen Antrag der Länder Bayern und Thüringen zurück und wurde in einem Gesetz "zur Verbesserung der Ermittlungsmaßnahmen wegen des Verdachts sexuellen Mißbrauchs von Kindern" versteckt. Auf die gespeicherten Daten hätten nicht nur Polizei und Staatsanwaltschaft Zugriff, sondern auch sämtliche deutsche Geheimdienste, "soweit sie meinen, daß es für ihre Aufgabenerfüllung erforderlich ist", sagte Weichert. Die gespeicherten Daten würden somit zu einem "Selbstbedienungsladen".
Im Bereich Verwaltung/ Behörden bekam das BKA den Zuschlag. Das Amt habe seit 2001 im Zusammenhang mit drei neu eingerichteten "Präventiv-'' Dateien" gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht der darin erfaßten Personen verstoßen, so Rolf Gössner. Konkret handelt es sich dabei um die sogenannte Gewalttäter-Links-Datei zur "Verhinderung politisch links motivierter Straftaten" (Limo), die Gewalttäter-Rechts-Datei zur "Erfassung rechtsorientiert politisch motivierter Straftäter" (Remo) sowie die Datei "Straftäter politisch motivierter Ausländerkriminalität" (Aumo). Diese Dateien werden Gössner zufolge gemeinsam von Bund und Ländern genutzt und sind jederzeit von allen Dienststellen der Polizei und des Bundesgrenzschutzes abrufbar. Bereits weit über tausend Menschen seien darin als "potentielle Gewalttäter" erfaßt, obwohl viele von ihnen noch nie als gewalttätig aufgefallen seien. "Aufnahme finden auch bloß Verdächtige sowie Personen, gegen die in der Vergangenheit lediglich Personalienfeststellungen, Platzverweise oder Präventivhaft angeordnet wurden." Auch bloße "Kontakt- und Begleitpersonen" von Verdächtigen könnten gespeichert werden.
Der Preisträger in der Kategorie Politik, der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU), hat nach Ansicht des Jurymitglieds Fredrik Roggan (Humanistische Union) eine Polizeirechtsnovelle zu verantworten, mit der die Rasterfahndung erheblich erleichtert wurde. Bouffier erhalte den Preis stellvertretend für die Innenminister anderer Bundesländer, die nach dem 1.1. September 2001 ihre Polizeigesetze ergänzt und dabei die Schwellen für eine Rasterfahndung wesentlich herabgesetzt hätten.
Grund für die Auszeichnung von Bouffiers NRW-Kollegen Fritz Behrens (SPD) mit dem "Regionalpreis" ist dessen Einsatz für die Videoüberwachung öffentlicher Plätze. Der SPD-Politiker hatte den angeblichen Erfolg eines "Modellprojektes" in einem Bielefelder Park gewürdigt - und dabei mit gefälschten Kriminalitätszahlen operiert. "Wo es keine seriösen Zahlen gibt, müssen anscheinend nach den Spielregeln des lauteren Donaldismus welche herbeigedichtet werden", erklärte die Jury. Behrens bekomme den Preis nicht wegen des Modellprojektes Videoüberwachung an sich, sondern für das "Herbeilügen" von Erfolgen.
In der Sparte "Lifetime" ging der Award an Kurt Seibold, Geschäftsführer von Microsoft Deutschland. Die Firma erhielt den Preis vor allem für ihre Verdienste bei der flächendeckenden Einführung von Kontrolltechnologie für Urheberrechte. Microsoft, so die Jury, sei bereits in den vergangenen Jahren für den BigBrotherAward nominiert worden. So hatte das System Windows 98 bei der automatischen Online-Registrierung die Festplatte und die Hardware-Konfiguration seiner Nutzer durchleuchtet und die Ergebnisse zusammen mit einer Kennung an Microsoft gemeldet.