Schön ist sie nicht. Eher, hm, sagen wir mal praktisch. Als durchgeknallte US-Militärs nach einer Lösung suchten, im 3. Weltkrieg nach dem 42. Overkill auch noch den 43. zu starten und deshalb das Internet erfanden, dürfte so oder ähnlich die Bedienungsmaske für Pershing-I Raketen ausgesehen haben. Links der Text, was zu tun ist, rechts dann die Bedienungsanleitung. Drücken Sie auf den Link und lassen Sie es krachen - es ist ja nicht ihr Land.
So ging es in den späten sechzigern, und so geht es heute immer noch. Drücken Sie den Link oben rechts, und sagen Sie, wen Sie nicht leiden können - es ist ja nicht Ihr Start-Up. Einzige Vorraussetzung: Ihr Gegner muss mit Ihren persönlichen Daten fahrlässig gewesen sein oder bewusst Missbrauch treiben. Da gibt es genug - unter dem Begriff "profiling" hat der Missbrauch von Daten sogar den Rang eines Geschäftszwecks bei vielen DotComs bekommen. Den Rest erledigt Bigbrotheraward. Eine renommierte Jury verleiht den Preis an die schlimmsten Sünder, und schon gibt es Arbeit für die PR-Abteilungen. Letztes Jahr zum Beispiel musste sich der GMX-Sprecher mit lauter Journalistenanfragen herumschlagen, weil sein Unternehmen gleich mehrfach Mist gebaut hatte - das wurde nur so lange von den Medien achselzuckend ignoriert, bis der Big Brother Award kam. Sowas ist schlecht für den Ruf. Ganz schlecht.
Wir haben es hier mit einer Website zu tun, deren Konstruktion und Unterhalt sicher weniger als 10000 Mark gekostet hat und einen hundertfach höheren Schaden anrichtet. Schaden, den man eigentlich nicht als "volkswirtschaftlich" bezeichnen kann, denn für die "Volkswirtschaft" sind die Preisträger an sich schon schädlich. Es gibt keine normale Navigation, jede Seite wird in einen neuen Browser geöffnet, und ausser blauen Balken gibt es 0 in Worten Null Sitedesign. Ein paar Bilder vom Award, ein paar Bilder von der Preisverleihung, und ansonsten viel Text, ausführliche Begründungen und deutliche Mahnungen - mehr brauchen die Macher nicht, um ihre Ziele zu erreichen. Wenn ich den Pressesprecher der nächsten Preisträger quälen will, ist es mir auch egal, ob manche Formulierungen und Ankündigungen nach einem Jahr noch immer nicht upgedated wurden.
Nach einer halben Stunde surfen in den Abgründen, die der Award aufdeckt, wird einem der ganze bunte Internetbrimbrorium der Preisträger ohnehin schal. Das schlichte Design des Awards erscheint plötzlich rein, ehrlich, angemessen und kompetent. Hier wird noch argumentiert und nicht nur marktgeschrieen. Und wenn man offline anruft, sitzen am anderen Ende echte, engagierte Menschen und kein Callcenter mit 0,24Pf/3,5sec. Begleitet wird die Aktion von einer witzigen Postkartenaktion, von der sich so manche Bannerwerbungsjeanette einiges abschneiden könnte. Wer immer den Award 2001 bekommt oder auch nur öffentlich nominiert wird, kann sich schon jetzt der ungeteilten medialen Aufmerksamkeit sicher sein.
Feinsinnige Gemüter in den Marketingzentralen mögen solche Websites als virtuellen Pranger erfinden, wo sie trotz bester PR-Arbeit angekettet werden. Jeder, der vorbeikommt, kann auf sie spucken, jeder Journalist mal kräftig reintreten. Da zucken die kokszerfressenen Nasenwände, da kann man noch nicht mal bei einem Verleger anrufen und die Werbung stornieren. Und alles nur, weil man persönliche Daten verkauft; wo bitte kommen wir da hin, wenn nicht einmal der Handel frei ist?
Die Antwort ist einfach: So oder so in den Abgrund. Der schlimmste Feind von Bigbrotheraward ist nicht der hilflos winselnde Marketingmensch, sondern die allgemeine Krise. Der handel mit Daten, Profiling-Tools und sensiblen Informationen lohnt sich nicht. Das mussten so witzig-freche Unternehmen wie Yoolia, Cycosmos (Webkritik) und GMX feststellen - die Risikokapitalgeber der anderen Datensauger werden es auch noch merken. Privatwirtschaftlicher Datenmissbrauch ist schlichtweg unrentabel und wird deshalb verschwinden. Bleiben nur noch die Regierungen, die Informationsdienste, die Behörden und Ämter - wo war nochmal der Knopf zum melden? Ach ja, hier.
Radio M94,5, 18. Mai 2001