VON ANKE GROENEWOLD
Bielefeld. Die Jury hat gesprochen: Die größte Große Bruder es Jahres 2001 heißt Otto Schiy. Der Innenminister wurde gestern in Abwesenheit mit dem Big Brother Award für sein Antiterror-Paket bedacht. Der Bielefelder Verein FoeBuD hat die Negativauszeichnungen zum zweiten Mal an Institutionen und Organisationen vergeben, die die Privatsphäre der Bürger verletzen, sie ausspionieren oder überwachen.>
Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung trete Schily für den Abbau von Bürgerrechten, Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung ein, so jurymitglied und Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner. Schily habe sich dauerhaft und seit den Terroranschlägen vom 11. September nochmals verstärkt für neue Ermittlungsbefugnisse für die Polizei und Geheimdienste eingesetzt, ohne die verfassungsmäßig garantierten Bürgerrechte zu berücksichtigen. Der Minister sei den Nachweis schuldig geblieben, dass der Datenschutz die Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung behindere. Der sogenannte Otto-Katalog trage dazu bei, dass die Grundlagen des demokratischen und freiheitlichen Systems untergraben würden.
Doch die Big-Brother-Jury hat noch einen zweiten Minister im Visier: Werner Müller, Minister für Wirtschaft und Technologie, bekommt die rote Karte für die Telekomüberwachungsverodnung (TKÜV). "Mit der TKÜV werden Betreiber von Telekommunikationsanlagen verpflichtet, auf eigene Kosten Vorkehrungen zur Überwachung der Kommunikation der Teilnehmer zu treffen", so Jurymitglied Patrick Goltzsch. Sie sollten quasi auf Zuruf der ermächtigten Behörden Überwachungsmaßnahmen in Gang setzen. "Der Staat schränkt mit TKÜV wesentliche Freiheiten ein. Er schafft ein Klima der Verunsicherung, das noch keiner Demokratie gut bekommen ist und schwächt sich damit letztlich selbst."
In der Kategorie Business und Finanzen bekam die Informa Unternehmensberatung GmbH aus Pfotzheim den Zuschlag für die Anwendung des Scoring-Verfahrens auf Verbraucher. Bei diesem Verfahren würden verschiedene Datenquellen (Kaufverhalten, Wohnverhältnisse etc.) ausgewertet und zu einem Profil zusammengestellt, das zum Beispiel Unternehmen oder Versicherungen zur Verfügung gestellt werde. Für bedenklich hält die Jury, dass die Bonität eines Menschen bewertet werde und sich die Vielfalt der Daten in einer Zahl, dem Score, niederschlage. Der entscheide darüber, wer ein wünschenswerter Kunde sei und wer nicht. Wer dabei schlecht abschneide, könne nicht dagegen protestieren, weil er selbst gar nicht wisse, welche Daten über ihn erhoben worden seien, so Rena Tangens in der Jury--Begründung.
In der Kategorie Arbeitswelt "siegte" die amerikanische, hierzulande seit April von ProtectCom vertriebene Spähsoftware "Spector". Sie wird vor allem in Unternehmen eingesetzt, um das Computerverhalten von Arbeitnehmern zu erschnüffeln, ohne dass die Überwachten es merken. "Spector" registriert jeden Tastaturanschlag, Chats und eMails werden vollständig protokolliert. "Spector" sein konzipiert für die Kontrolle durch das menschliche Auge und machen erst dann Sinn, wenn der Überwacher seine Überwachungsergebnisse gegen die Mitarbeiter wende, ihnen also "verbotene" Mailinhalte vorhalte. Genau an diesem Punkt mache sich der Überwacher strafbar, so Jury-Mitglied Ingo Ruhmann. Legal sei es nicht einmal, das Surfverhalten der Mitarbeiter im Internet zu überwachen.
Der Szene-Preis ging an die RealNetworks GmbH für Ihre Gratis-Produkte wie den Real-Player, der bei Standardeinstellungen unbemerkt Daten über die Benutzer preisgebe.
Als regionales Negativbeispiel einigte sich die Jury auf die School-Card des Hans-Ehrenberg-Gymnasiums in Bielefeld-Sennestadt. Wer in der Cafeteria sein Brötchen bezahlen will, kann auf Bargeld verzichten und die Plastikkarte zücken. Der Endbetrag muss per Fingerabdruck bestätigt werden. Ausgegeben werden kann nur, was vorher auf ein Konto eingezahlt wurde.
Die Schüler Matthias Hörmann und Matthias Walter hatten das System unter der Projektleitung des Informatiklehrers Josef Jürgens entwickelt. Im Focus-Wettbewerb "Schule macht Zukunft" hatte das SchoolCard-System den E-Commerce-Sonderpreis gewonnen.
Jury-Mitglied Jens Uhlig betonte in seiner Begründung, dass die School-Card zwar gut gemeint und technisch hervorragend gemacht sei, jedoch eine Gewöhnung an den überwachten Konsum und die Biometrie (zum Beispiel Fingerabdruck) als absolut sichere Authentifizierung zur Folge habe. Anders als beim anonymen Bargeld sei über die zentrale Datenbank jeder Transaktion ein Käufer zuzuordnen. Somit werde fahrlässig mit der Privatsphäre umgegangen.
Gegenüber dieser Zeitung warf einer der Karten-Entwickler, Matthias Walter, der Jury vor, nicht ausreichend recherchiert und im Vorfeld nicht mit den Initiatioren der SchoolCard geredet zu haben. Von einer Verletzung der Privatsphäre oder Datenmissbrauch könne keine Rede sein. Es würden nur die wichtigsten Daten gespeichert, die nach kurzer Zeit wieder gelöscht würden. Das kontrolliere ein Gremium aus Lehrer und Schülern.
Auch die Fingerabdrücke ließen sich nicht weiter verwerten. Niemand bekomme eine Karte ohne Infoveranstaltung oder werde gezwungen, die Karte zu nutzen. Auch werde nicht vermittelt, dass der Fingerabdruck 100-prozentige Sicherheit gebe und das einzig Wahre sei. ECKarten sind die Realität, aber lei der sind immer mehr Schüler verschuldet. Mit der SchoolCard geht es uns um Prävention. Die Schüler sollen früh lernen, mit den Karten richtig umzugehen", erklärt Walter.
Big BrotherAwards
Neue Westfälische, 27. Oktober 2001