Der Große Bruder sieht dir zu

Big Brother Award zum vierten Mal in Bielefeld vergeben

VON SIGRUN MÜLLER-GERBES

Bielefeld. Stell dir vor, dein Chef registriert minutengenau deine Zeiten auf dem Klo; die Stadt erfasst elektronisch, wenn du ein Bonbonpapier nicht ordnungsgemäß entsorgst; dafür ist dein Kühlschrank inzwischen intelligent und schreibt selbsttätig Einkaufslisten.

Sind solche Horrorszenarien für Datenschützer bloße Science-Fiction? Die Jury des Big Brother Award befürchtet: Nein. Und hat deshalb dem Unternehmen Metro gestern einen Preis in der Kategorie Verbraucherschutz verehrt.

Der Big Brother Award - "Großer Bruder" gilt seit George Orwells Roman 1984 als Synonym für den Überwachungsstaat - wird seit vier Jahren vom Bielefelder Verein Foebud verliehen für besonders liederlichen Umgang mit dem Thema Datenschutz. Die Metro AG "überzeugte" die Jury mit ihrem Projekt "Future Store". In diesem "Geschäft der Zukunft", von dem ein Prototyp bereits in Duisburg existiert, sind alle Waren mit kleinen Chips bestückt, die den bisherigen Barcode für die Scanner-Kasse ersetzen. Der Chip sendet Signale aus, die im Vorübergehen von einem Lesegerät registriert werden können. Die Nebenwirkungen sind erheblich: Die Kundenkarten des Future-Store haben die gleichen Chips, "unsere Einkaufsgewohnheiten können individuell ausspioniert werden", so Jurorin Rena Tangens vom Foebud.

Habe sich das System erst durchgesetzt, seien ganz andere Anwendungen denkbar, fürchtet Tangens. Chips und Lesegeräte sind so klein, dass sie sich auch in Arbeitskitteln oder am Kühlschrank anbringen lassen.

Insgesamt sieben Mal wurde gestern der Big Brother Award vergeben: Etwa an die GEZ, zuständig für die Eintreibung von Rundfunkgebühren. Wie die GEZ Daten sammelt, missfällt den Juroren. Vor allem die Gebührenbeauftragten, die vor Ort nach "Schwarzsehern" forschen, "dringen unter Überrumpelung von Menschen in Wohnungen ein und nötigen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zur Offenbarung von Daten", kritisiert Thilo Weichert, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz.

Der Preis in der Kategorie Arbeitswelt ging an die Post-Shop GmbH. Das Unternehmen, das Post-Agenturen in größeren Geschäften betreibt, nötigt seinen Angestellten nach Recherchen der Jury zweifelhafte Arbeitsverträge auf. Wer krank werde, müsse einen "von der Post-Tochter bestimmten Arzt von der Schweigepflicht entbinden"- "unverschämt und unangemessen", urteilen die Datenschützer. Ähnlich hart ins Gericht gingen sie mit T-online - weil das Unternehmen auf Vorrat und über lange Zeit Verbindungsdaten von Internet-Nutzern sammele, ohne dass das für die Abrechnung notwendig sei. Ein "massiver Eingriff in die Privatsphäre" sei das.

Staatliche "Datenkraken" wurden zudem gewürdigt. Die Regierungen von Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Thüringen bekamen den Preis für ihre Landesgesetze zur Terrorbekämpfung, in denen u.a. das vorsorgliche Abhören von Telefonen vorgesehen sei.

Beim Blick über den großen Teich mutet eine solche Praxis allerdings noch harmlos an: Die US-Regierung verlangt von den europäischen Fluglinien die Daten aller Menschen, die ins Land wollen - sonst wird die Landeerlaubnis verweigert. Auch dafür ein Big Brother Award.

Neue Westfälische, 25. Oktober 2003
Original: http://www.nw-news.de/news/mantel/kultur/news/NW_4252124.html