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"Hinter den Spiegeln" - eine Sendung im Rahmen der Redaktion Alltag und Geschichte bei Radio Darmstadt von Niko Martin und Katharina Mann.
Ein Gedanke, zwischen zwei parallel ausgerichtete Spiegel gestellt, scheint sich ins Unendliche zu vervielfachen. - Aber was ist hinter den Spiegeln?
Zwischen unseren Spiegeln stehen heute Schnäppchenjägerinnen und Rabattsammler. Die gespiegelten Bilder zeigen Paybackkarten, Bahnfahrgemeinschaften, Kaufzwang und Kaufrausch, Internetauktionen und manches mehr.
Unser Titel - "Schnäppchenjägerinnen und Rabattsammler" - könnte glauben machen, dass wir den Drang, billigen Angeboten nachzujagen, für eine ur-alte Menschheitskonstante halten würden.
Nein, tun wir nicht.
Schon dieser Titel ist eine erste Spiegelung, denn die meisten Handelnden in unserer Gesellschaft tun so, als ob die Konstanten unserer Gesellschaftsordnung immer schon dagewesen wären - in diesem Fall: kapitalistische Wirtschaftsweise. Ebenso wäre dann auch das jeweilige Handeln der Menschen immer schon dagewesen, das unserer Gesellschaft und Wirtschaftsweise angepasst ist ...
Und es immer noch "in", menschliches Verhalten in der heutigen Zeit mit sehr weit zurückliegender Geschichte zu erklären, während die jüngere Geschichte übersprungen wird - aber das ist eine andere Sache ...
(...)
Die Payback Karte ist ein Bonuspunkte-Sammelsystem, und zwar das größte in Deutschland. Derzeit nutzen etwa 15 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten in Deutschland Payback, das sind knapp 19% der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger. Dazu kommen noch unzählige Kundenkarten von anderen Anbietern oder auch andere Rabattsysteme, mit denen Geschäfte versuchen, Kundinnen und Kunden an sich zu binden.
Wir können also davon ausgehen, dass fast jeder und jede in diesem Land in irgendeiner Form Gebrauch macht von Rabatt-Angeboten.
Ansich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Geschäfte ihren Kundinnen und Kunden Rabatte einräumen. Die Praxis, dies über elektronisch einlesbare Kundenkarten zu realisieren, ist allerdings kritisch zu hinterfragen. Wie wir zeigen werden, dienen Kundenkarten zu allem Möglichen - nur nicht gerade dazu, Kundinnen und Kunden etwas zu schenken.
Payback kommt als Rabattkarte daher. Vor allem aber dient sie dazu, Daten zum Kaufverhalten von Millionen von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu gewinnen. Und zwar personalisierte Daten, also Daten, bei denen eine Verknüpfung hergestellt wird zwischen Konsumgewohnheiten und persönlichen Daten.
Um in den Genuss der angepriesenen Rabatte zu kommen, muss bei jedem Einkauf bei einem Payback-Partnerunternehmen die Karte vorgelegt werden. - Und schon kann die komplette Einkaufsliste mit den jeweiligen persönlichen Daten verknüpft werden. Für dieses System hat Payback den "Big Brother Award des Jahres 2000" erhalten.
Personalisierte Daten sind deswegen so interessant, weil sie eine weit genauere Verbrauchs- und Bedarfsanalyse ermöglichen, als anonym erhobene Daten. Und - weil sie es Werbefirmen ermöglichen, potentielle Kundinnen und Kunden mit Angeboten anzusprechen, die ganz persönlich auf diese Kundinnen und Kunden zugeschnitten sind. Personalisierte Datensätze erzielen hohe Preise auf den entsprechenden Märkten.
Oder doch nicht? - Denn wer keine Payback-Karte verwenden will, bekommt auch keinen Rabatt. Wem die Privatsphäre wichtig ist, der oder die zahlt mehr für jeden Einkauf.
Aber auch sonst gilt: Es gibt nichts geschenkt. Also auch, wer sich eine Payback-Karte zulegt, bekommt nichts geschenkt. Ein Konzern, der massenhaft Rabatte gewährt, schlägt sie eben vorher auf die Preise auf.
Wenn die Besitzerinnen und Besitzer von Rabatt-Karten wirklich belohnt würden, müssten dann nicht ihre Kosten ganz entschieden gesunken sein, seit diese Programme eingeführt wurden? Aber es sagt niemand: "Hey, ich spare jetzt soviel im Vergleich zu meinen Ausgaben, bevor mein Supermarkt mir diese Karte gegeben hat." - Stattdessen ist nur zu hören: "Sehen Sie, wieviel ich spare gegenüber dem Preis, den mein Supermarkt den Kunden abverlangt, die nicht eintreten!"
Tatsächlich ist es eigentlich eher eine Form von Erpressung. Worum geht es den Einkaufsmärkten denn, wenn sie Rabatt-Karten ausgeben?
Sie wollen die persönlichen Daten der Kundinnen und Kunden, die diese ihnen wahrscheinlich nicht freiwillig überlassen würden. Im Grunde sagen sie: "Wir haben dieses kleine Datensammelsystem und wir möchten, dass Sie sich freiwillig darin eintragen. Sie können natürlich Nein sagen, aber dann werden Sie etwa 15% mehr für Ihren Einkauf ausgeben."
- Die einzige Freiwilligkeit in diesem System besteht darin, höhere Preise zu zahlen, wenn man seine persönlichen Daten nicht preisgeben will.
Allerdings sehen viele Benutzerinnen und Benutzer solcher Kundenkarten es als gar nicht besonders schlimm an, wenn ihre persönlichen Einkaufsgewohnheiten ausgewertet werden. "Warum soll ich denn geheimhalten, was ich einkaufe?"
Das gleiche könnte man auch über Telefonüberwachung sagen: "Warum soll ich denn geheimhalten, worüber ich mit meinen Freunden spreche?" Oder wie wäre es mit einem Gerät, das Ihr Auto verfolgt? "Warum soll niemand wissen, wohin ich fahre?" Oder eben gleich eine Kamera in Bad und Klo: "Von mir aus soll mich doch jeder nackt sehen!"
Wer sagt, er oder sie habe nichts zu verbergen, tut dies oft mit einem gewissen Glanz in den Augen und einem Finger, der anklagend auf andere zeigt. Bei dem Wunsch nach Privatsphäre geht es darum, nicht den bohrenden Blicken anderer Leute ausgesetzt zu sein. Und es geht überhaupt nicht darum, ob jemand "etwas zu verbergen" hat oder nicht. Das ist ein sehr wichtiger Unterschied.
Es geht ganz banal um den Schutz der Privatsphäre, die für jeden Menschen gelten sollte, egal, ob er oder sie das Geld aufbringen kann, künstlich überhöhte Preise zu bezahlen - nämlich die Rabatte, die vor der Einführung der Kundenkarten aufgeschlagen wurden.
Tatsächlich haben haben sogar schon die Gesetzeshüter in den Einkaufsdaten von Bürgerinnen und Bürgern geforscht ... Das ist dann vielleicht doch ein Grund zur Sorge. Zumindest stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Es kann wohl nicht sein, dass detaillierte und intime Informationen über Millionen von Bürgerinnen und Bürgern gesammelt werden, nur aufgrund der Möglichkeit, dass einige wenige von ihnen eine Straftat begangen haben.
Die gesetzlichen Einschränkungen haben den staatlichen Behörden bisher einen sinnvollen Rahmen gesetzt, um Fälle von Beobachtung, Durchsuchung und Beschlagnahmung zu begrenzen. Wenn nun private Stellen (wie der Einzelhandel) diese Überwachungsfunktionen übernehmen, brauchen die Behörden sich nicht mehr über gesetzliche Hürden den Kopf zu zerbrechen. Lassen wir einfach die Eingriffe in die Privatsphäre von privater Seite durchführen, dann braucht es nur noch den genehmigten Zugriff auf diese Daten, um an eigentlich geschützte Informationen heranzukommen.
Mensch braucht sich nur einmal vorzustellen, einmal selbst zum Ziel einer Ermittlung zu werden. Vielleicht ist es nur ein zivilrechtlicher Prozess, aber der Gegner hält die Einkaufsliste für ein wichtiges Beweismittel. Oder ein Ex-Ehepartner oder Ex-Ehepartnerin möchte mit diesen Daten beweisen, dass Sie Ihre Aufgaben als Vater oder Mutter vernachlässigt hätten. (Kondome? Alkohol? Häufig oder in großen Mengen? Haben Sie noch etwas vorzubringen?) Sobald Ihre Einkaufsgewohnheiten irgendwo gespeichert sind, werden Sie wie reifes Obst, das darauf wartet, gepflückt zu werden. Damit dann vielleicht jemand mit faulen Tomaten auf Sie wirft.
Es gibt nur einen Weg, so einen Missbrauch des Einkaufsprofils zu verhindern: Überhaupt erst gar nicht zuzulassen, dass die Daten erhoben werden.
Möglicherweise funktionieren diese Programme überhaupt nur, weil es so schamlos und öffentlich getan wird. Denn was ganz offen gemacht wird, wirkt auf die meisten Menschen so, als ob es völlig in Ordnung wäre. Das ist wie bei den Geschichten von Hauseinbrüchen oder Fahrzeugdiebstählen, an denen viele Menschen vorbeigegangen sind, weil sie dachten: "Nee, das würden die nicht am hellen Tag machen!"? Die gleiche Aktivität im Geheimen, mitten in der Nacht, würde sicher zu Hunderten von Anrufen bei der Polizei führen. Wer jetzt noch misstrauisch ist - wo doch alle Freunde, Nachbarinnen und Nachbarn und Bekannten eine solche Karte haben, der oder die sucht den Fehler dann erst mal bei sich selber - und fragt sich, ob er oder sie vielleicht paranö ist.
Die Hintergrundinformationen zu den Kundenkarten habe ich vom Foebud, vom "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V." in Bielefeld. Dieser Verein ist es auch, der den "Big Brother Award" vergibt, also den Negativ-Preis für unangemessen Umgang mit sensiblen persönlichen Daten.
Weitere Informationen sind zu finden auf der Internetseite des Vereins unter www.foebud.org.
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Radio Darmstadt, 17. Dezember 2002
Original: http://www.alltagundgeschichte.de/archiv/spiemanu/hds_0212.html