LKW-Maut: Trucker's Alptraum in Infrarot

Frank Rosengart vom Chaos-Computer-Club (CCC) hat wenig Sympathie für die neu errichteten Mautlesestellen übrig. Seine Kritik betrifft nicht nur die Fehleranfälligkeit des Systems, die im Vorfeld befürchtet wurde und sich inzwischen in der Praxis bestätigt hat. Auch er sieht das Hauptproblem in der Datenerfassung - und steht damit nicht alleine. Ähnlich äußert sich auch der schleswig-holsteinische Datenschützer Thilo Weichert im Interview mit der raumzeit. Und schließlich schaffte es die deutsche LKW-Maut ja auch auf Anhieb zum jährlich verliehenen Big Brother Award.

rz: Auf GPS (Global Position System), das als schickes Navigationssystem für teuere Autos dient, sowie auf Infrarotdatenverbindungen, ähnlich wie wir sie von Tastaturen und Mäusen kennen, baut das Mautsystem technisch gesehen auf. Wie spielt das denn ganz konkret zusammen?
Frank Rosengart: LKWs können ein mit Infrarotsender ausgestattetes GMS-Gerät einbauen. Sie müssen das nicht, können sich auch manuell einbuchen, aber es wird wegen des einfacheren Handlings dringend empfohlen. Jedes solche Gerät hat einen Straßenatlas von Deutschland gespeichert. Wenn ein LKW auf die Autobahn fährt, erkennt dies das Gerät anhand der GPS-Koordinaten und fängt an die Strecke zu zählen. Beim Verlassen der Autobahn übermittelt das Gerät den ausgezählten Betrag zur Abrechnung an die Zentrale. Unterwegs gibt es Kontrollbrücken, ungefähr 300 in Deutschland. Laser und Kameras erkennen am Umriss die Mautpflichtigkeit des Fahrzeugs, LKWs werden per Infrarot gebeten sich zu identifizieren. Wenn das nicht passiert, wird ein Foto gemacht, per Schrifterkennung das Kennzeichen ausgelesen und es wird kontrolliert, ob sich der LKW-Fahrer möglicherweise per Internet oder an einem Terminal (z.B. an einer Tankstelle) freigeschalten hat. Wenn das nicht der Fall ist, gibt es einen Bußgeldbescheid.

rz: Sehen Sie bei der elektronischen Überwachung einen allgemeinen Trend?
Rosengart: Es gibt auf jeden Fall den ganz klaren Trend möglichst viele Bewegungsdaten zu sammeln. Bei Handys wird das ja auch schon gemacht, z. B. mit der "stillen SMS", durch die die Polizei versucht, den Aufenthaltsort von Beschuldigten festzustellen. Es gibt die elektronischen Tickets im Nahverkehr, die über Transponderkarten funktionieren, und bei denen nach Strecke abgerechnet wird. Man muss sich bei jedem Einsteigen ins Verkehrsmittel irgendwo einbuchen und am Ende wieder ausbuchen. Damit kann hinterher festgestellt werden wo der Träger der Karte gewesen ist: Wo er eingestiegen, wo er langgefahren ist.

rz: Wenn dieses Mautsystem an ein GMS-Gerät gekoppelt ist, heißt es dann für den Fahrer, dass nicht nur auf den Autobahnen, sondern auch jeder Meter auf anderen Straßen mitgeschnitten wird?
Rosengart: Die LKW-Fahrer dürfen theoretisch das Gerät natürlich ausschalten wenn sie nicht auf der Autobahn sind. Nur ist die Frage, ob das Gerät überhaupt einen Aus-Schalter hat oder ob er dafür das Kabel durchschneiden müsste. Soviel ich weiß steht in den Nutzungsbedingungen, dass das Gerät immer empfangsbereits sein muss, um per Funk Software-Updates einspielen zu können.

rz: Das System hört sich sehr kompliziert an. Ist es nicht teuer für die Spediteure und ein finanzielles Risiko für die Betreiber?
Rosengart: Die Betreiber, die deutsche Telekom, Daimler-Chrysler und die französische Coffirot verfolgen natürlich noch andere Ziele damit - und sind dafür auch ins Kreuzfeuer der Kritik der EU geraten. Dafür nämlich, dass sie sich das Monopol für ein Flottenmanagement aufbauen. Das heißt sie können den Speditionen die Daten nicht nur nach der Abrechnung, also nach Beendigung der Fahrt, sondern in Echtzeit übermitteln. Damit können die Speditionen sehr gut ihre Einsätze planen und auch genau zurückverfolgen, welche Fahrer sich gerade wo befinden. Das ist natürlich vom Arbeitsrecht her problematisch. Damit ist ja eine vollständige Überwachung durch den Arbeitsgeber gegeben.

rz: Das bestehende GPS-System ist ja ein US-amerikanisches System. In ein paar Jahren wird die Europäische Union versuchen so ein Netz selbst aufzubauen. Wird dann dann das LKW-Mautsystem bereits wieder veraltet und überflüssig sein?
Rosengart: Ich weiß nicht, wie Galileo, das neue GPS-System der EU, im Detail funktionieren wird. Möglicherweise müssen dann nochmal Geräte ausgetauscht oder auch nur mit anderen Antennen oder anderer Software ausgestattet werden. Aber bis dahin gehen noch ein paar Jahre ins Land. Die Frage ist was z. B. im Krisenfall passiert. Schließlich kam es schon vor, dass das System von den US-Amerikanern absichtlich gestört oder verfälscht wurde. So etwas würde zu großen Überraschungen bei den Mautberechnungen führen. Chaos Computerclub: http://www.ccc.de

Raumzeit, 15. Oktober 2003
Original: http://www.raumzeit-online.de/102003/artikel166.html