Großbritannien

Ausgezeichnete Schnüffler

Von Christiane Schulzki-Haddouti

Nirgendwo in Europa wird der Bürger so umfassend ausspioniert wie in Großbritannien. Jetzt wurde der Big-Brother-Preis an den britischen Innenminister Jack Straw verliehen. Großbritannien ist nicht nur die Heimat von George Orwell, der den Roman "1984" über die Übermacht des Staates geschrieben hat - die Vision vom "Big Brother". Mittlerweile gilt die Insel auch als die Demokratie, die sich der Überwachung ihrer Bürger am konsequentesten verschrieben hat.

Hunderttausende von Überwachungskameras lauern in britischen Städten. Jeder Meter der Londoner City wird von Videokameras erfasst. Manche von ihnen können bereits eigenständig Gesichter erkennen und Menschen identifizieren - mehr oder weniger zuverlässig. Die genetischen Fingerabdrücke von mehr als einer Million britischer Bürger sind in der "Nationalen DNA-Datenbank" gespeichert. In vier Jahren sollen es vier Millionen sein.

Auch das ist einmalig in Europa: Britische Bürger, die zur Sicherung ihrer E-Mails geheime Kryptoschlüssel benutzt haben, müssen diese per Gerichtsbeschluss der Polizei übergeben - ansonsten drohen zwei Jahre Haft. Doch all das genügt den Briten noch nicht: Der britische Innenminister Jack Straw plant, alle Kommunikationsdaten sieben Jahre lang zu speichern. Erfasst wird damit, wer mit wem wann und wo wie lange telefoniert oder gemailt hat.

Für diese Aktivitäten hat Jack Straw nun den Preis erhalten, den keiner haben will: Den Big-Brother-Preis. Verliehen wurde der Preis zum dritten Mal von der Cyberrechtsorganisation Privacy International. Ihr Leiter Simon Davies erfand den Preis, der inzwischen in den USA, Österreich, Deutschland, der Schweiz und Frankreich vergeben wird.

Straw erhielt den Preis in der Kategorie "Lifetime Menace" - also "Lebenslange Bedrohung". Als "übelster Beamter" wurde Javier Solana dafür ausgezeichnet, die Europäische Union mit Hilfe einer restriktiven Informationspolitik in eine geheime Kommandosache zu verwandeln. Übrigens erhielt auch die DNA-Datenbank den Preis als "abstoßendstes Projekt".

Deutschland: "Payback" am Pranger

In Deutschland wurde der Preis vom Bielefelder Verein Foebud bereits Ende Oktober vergeben. Neben dem Ausländerzentralregister für die Überwachung ausländischer Mitbürger und dem Berliner Innensenator Eckart Werthebach für den Ausbau der Telefonüberwachungskapazitäten erhielt das Rabattsystem Payback den Preis.

Payback wird unter anderem von der Lufthansa, AOL, Consors, DEA, und DM-Drogeriemärkten verwendet. "Unter dem Deckmantel der Rabattmarke wurde hier ein System geschaffen", so Organisatorin Rena Tangens, "mit dem im großen Umfang Marketing verwertbare Daten erhoben, gespeichert, ausgewertet und weitergegeben werden".

Ein Kunde, der nicht auf den Rabatt verzichten will, hat keine Möglichkeit, die Erstellung eines Profils seiner Kaufgewohnheiten zu verhindern. Nach Information von Veranstalter Padeluun setzt sich das Unternehmen direkt im Bundeskanzleramt für die Abschaffung des Rabattgesetzes ein.

Auch die Deutsche Bahn AG erhielt den Preis, da die Videoüberwachung auf den Bahnhöfen mittlerweile "undurchschaubar" geworden sei. So ist unklar, wer überhaupt für die Überwachung zuständig ist: Die Bahn AG, der Bundesgrenzschutz oder der Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn AG.

Für große Aufregung sorgte die Verleihung eines "Szene-Preises" an das Apache Konsortium. Der Apache Webserver ist mit geschätzten 40 bis 60 Prozent Marktanteil einer der beliebtesten Webserver im Internet. Grund: In der Standardkonfiguration protokolliert der Server unter anderem die IP-Adresse des Abfragenden und die Namen der abgerufenen Webseiten. Vorgeschlagen wurde der Preis von Jurymitglied Hans Hübner vom Chaos Computer Club.

Anders als in Großbritannien setzten die deutschen Veranstalter auf die Einsicht ihrer Preisträger. Obwohl beispielsweise viele Systemadministratoren die Verleihung an Apache anfangs für "Schwachsinn" hielten, denken inzwischen einige darüber nach, wie sie ihre Rechner datenschutzfreundlicher gestalten können. Die Standardkonfiguration dürfte spätestens jetzt verpönt sein.

Anders nämlich als dröge Datenschutzgesetze stellt der Negativpreis Firmen und Personen einfach öffentlichkeitswirksam an den Pranger. Besonders auf ihr Image bedachte Firmen wie Payback werden dadurch vielleicht nachhaltiger für die Privatsphäre der Bürger sensibilisiert.

Spiegel, 07. Dezember 2000