Datenschutz

Schily vorn

Der Big Brother 2001 vereint Datenkraken aus Politik, Wirtschaft und Schule

Matthias Harre

Auch wenn die WEGE neuerdings bundesweit für den Standort Bielefeld annonciert, erscheint das selbst ernannte Oberzentrum in den Schlagzeilen der Republik entweder als Puddingmetropole oder als Žrgernis. Kunsthalle, Kaselowsky und Videoüberwachung waren die Themen der letzten Zeit, - gut, auch Arminia steht als Pflichtbericht immer wieder drin.

Am 26. Oktober jeden Jahres allerdings ändert sich das Medieninteresse. An diesem Tag wird nämlich in Bielefeld der "Big Brother Award" verliehen, der "Antipreis für Datenkraken". Seit 1999 gibt es den Preis in Deutschland, Initiator der Veranstaltung ist der FoeBud E. V., der "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs". Die Jury des Big Brother Award (BBA), die sich um die Auslese der Preisträger aus den eingesandten Vorschlägen, die Recherche der Vorschläge und die letztendliche Nominierung kümmert, setzt sich aus hochrangigen Datenschutz-Experten der Republik zusammen: Rena Tangens und padeluun kommen direkt vom FoeBud, Thilo Weichert von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, Ute Bernhardt und Ingo Ruhmann vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF). Jens Ohlig ist neuer Vorsitzender des Chaos Computer Club, Patrick Goltzsch Mitglied des Fördervereins Informationstechnik und Gesellschaft in Hamburg (FITUG), Rechtsanwalt und Bürgerrechtler Rolf Gössner wurde jahrzehntelang selbst vom Verfassungsschutz überwacht.

Gössner hatte dann auch gleich das Vergnügen, den Hauptpreisträger zu belobigen. Der wurde in der Kategorie Politik ausgelobt, dringend empfohlen hatte sich Otto Schily. Der Innenminister, bekanntermaáen ehemaliger Terroristenverteidiger und Grünen-Anchorman hat seine Wandlung vom Paulus zum Saulus durchgezogen wie vergleichbar nur Horst Mahler. Grund genug für den BBA 2001. Laut Laudatio nutzt Schily "den Deckmantel der Terrorismusbekämpfung für den Abbau von Bürgerrechten und Datenschutz und die Einschränkung der informationellen Selbstbestimmung in Deutschland und Europa," unter besonderer "Missachtung der informationellen Rechte ausländischer Bürgerinnen und Bürger."

Dass der Preisträger weder persönlich erschienen war, noch offizielle Mitarbeiter seiner Behörde geschickt hatte, war nicht verwunderlich. Das war im letzten Jahr nicht passiert, und wird sich wohl auch in Zukunft nicht einstellen.

Schilys Award war relativ absehbar, Bin Laden hatte da fleiáig mit geholfen, spannend wurde es bei der Verleihung der übrigen Preise. So konnte sich in der Kategorie Kommunikation ein Kollege des Bundesinnenministers qualifizieren. Werner Müller, seines Zeichens Bundeswirtschaftsminister, hat nämlich eine "Telekommunikationsüberwachungsverordnung" (TKÜV) verabschiedet. Das bürokratische Endloswort bezeichnet die Genese einer "technischen Infrastruktur, die durch fest installierte Geräte bei den Anbietern von Telekommunikation die Überwachung per Knopfdruck ermöglicht." Auf eigene Kosten sollen die Betreiber laut TKÜV Vorkehrungen zur Überwachung der Kommunikation der Teilnehmer treffen, wodurch sowohl Handyortung als auch die Erstellung von Bewegungsprofilen möglich sind. Im Falle einer "Verschlüsselung bei den Netzbetreibern" müsse entweder "eine unverschlüsselte Schnittstelle oder ein Nachschlüssel" zur Verfügung stehen. Und natürlich haben die Betreiber über ihre Vorrichtungen Schweigen zu bewahren. Dem Missbrauch wird auf diese Weise Vorschub geleistet, Müller ist damit letztendlich ein würdiger Preisträger.

Staatliche und private Schnüffler

Mit den staatlichen Preisträgern ist aber nur die Spitze des Eisbergs benannt. In der Kategorie "Business und Finanzen" gibt es den BBA in diesem Jahr für die "Informa Unternehmensberatung". Die ist damit beschäftigt, alle erreichbaren Daten aller Bundesbürger zu sammeln, und das mittlerweile in mehrfacher Milliardenhöhe. "Informa" kombiniert das Material zu Datensätzen und kann "für jeden Bürger einen persönlichen Score ermitteln" zitiert Laudatorin Rena Tangens "Informa"-Geschäftsführer Paul Triggs. Das geschieht ohne eine Information der Verbraucher und dient dazu Kundenprofile zu erstellen, die Menschen auf einer Rangliste von Kaufkraft und Interessen, und anderen sozio- und demografischen Eigenschaften einordnet. Konkret: wer in Hoberge im Eigentum wohnt, darf bestellte Güter per Rechnung bezahlen, wer mit einer Mietwohnung in der Eckendorfer Straáe vorlieben nehmen muss, darf höchstens auf Nachnahme-Pakete rechnen.

Fast nahtlos reiht sich die Firma "ProtectCom" ein in die Liste der Profi-Schnüffler. Nur das sie ihre Software "Spector" für den neugierigen Chef im privaten Unternehmen anbietet. Mit "Spector" hat jeder Arbeitgeber, dessen Unternehmen über Netzwerk verbundene Rechner verfügt, die Möglichkeit, den Arbeitseinsatz der Mitarbeiter zu kontrollieren. Ob Screenshots, vollständige Protokolle aller Tastendrucke, Internetverbindungen und, und, und - alles erscheint auf dem Bildschirm des Chefs, oder seines "Sicherheitsbeauftragten". BBA-Laudator Ingo Ruhmann hält die Anwendung dieser Software für eindeutig rechtswidrig, wer seine Untergebenen mit den Protokollen konfrontiert, hat sich ein Gespräch mit dem Staatsanwalt verdient. Das gilt dann auch für die Werbung der Firma "ProtectCom", die eine Aufforderung zu Straftaten sei. Genug Grund für den BBA "Arbeitswelt".

In der Kategorie "Szene/Technik" ging der BBA an "RealNetworks". Die Software-Firma ist mit dem RealPlayer fast jedem PC-Nutzer bekannt, doch die Freeware ist nicht wirklich umsonst. Wenn der Nutzer die Standardeinstellungen einrichtet, erstellt die Software automatische ein Profil, das Einblick bietet in Hör- und Sehgewohnheiten der User und sie eindeutig identifiziert. Dass "Datenschutz so wohl erst ab der (kostenpflichtigen) Vollversion erhältlich ist," bemängelt Laudator Jens Ohlig das Verfahren und begründet damit den BBA "Technik".

Datenschutz erst ab Vollversion

Wie im letzten Jahr gibt es auch heuer einen Regionalpreis. Der ging im letzten Jahr an die Stadtwerke Bielefeld für die Beschallung ausgewählter Busse mit. In diesem Jahr wählte die Jury das Bielefelder Hans-Ehrenberg-Gymnasium aus. Dort ist in Zusammenarbeit zwischen Schülern und Lehrern eine sogenannte "School-Card" entwickelt worden, ganz modern mit Fingerprint, die Milch- und Kakaozahlungen in der Kantine vereinfachen soll. Die Jury des BBA kommt zu dem Schluss, dass dieses Verfahren genau das erreicht, was es will: die Schüler sollen sich an den Gebrauch von Kreditkarten gewöhnen. Worin die Schule eine Möglichkeit sieht der zunehmenden Verschuldung von Jugendlichen didaktisch entgegen zu wirken, sehen die Preisverleiher die Gefahr Schüler "an den Einsatz der Biometrie zu gewöhnen" und "den überwachten Konsum zum Lernziel" zu machen. Zudem sich durch Kreditkarten noch niemand davon hat abhalten lassen, keine Schulden zu machen. Keine Daten speichern, wäre sinnvoller.

Stadtblatt, 01. November 2001