Das Payback-System bekommt einen Big Brother-Preis

Rüffel für Datensammler

(31.10.2000, Michael Allhoff) Der Preis wird für Trubel sorgen: Vergangenen Donnerstag wurde in Bielefeld erstmals in Deutschland der Big Brother Award verliehen. Die eher unerwünschte Trophäe bekommen Firmen oder Organisationen, die die Privatsphäre ihrer Nutzer missachtet haben. Den Hauptpreis erhielt die "Loyalty Partner Gesellschaft für Kundenbindungssysteme mbH" in München, Herausgeber der Payback-Karte. "Sie kommt als Rabattkarte daher", rügt die Preisjury, "dient aber einzig dazu, personalisierte Daten zum Kaufverhalten von Millionen von Verbrauchern zu gewinnen und kommerziell zu nutzen, ohne dass diese darüber informiert werden."

Bei Payback handle sich zwar nicht um einen spektakulären, konkreten Fall von Datenmissbrauch, sagt Rena Tangens, die Sprecherin der deutschen Jury. "Aber wir wollen die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, das hier eine gefährliche Struktur aufgebaut wird." Zwölf Millionen Kunden plane die Marketing-Firma zu erreichen: "Unter dem Deckmantel der Rabattmarke werden die Konsumgewohnheiten von Bürgerinnen und Bürgern ausgeforscht, ausgewertet und auf unabsehbare Zeit gespeichert." Ein Sprecher der ausgezeichneten Firma zeigte sich über die Preisverleihung wenig erfreut, aber gelassen: "Unsere Partner-Unternehmen erhalten nur anonymisierte Nutzerprofile", sagt Martin Rogler. Doch auch das sei ein "heikles Geschäft", gibt er zu.

Datenschützer hoffen mit dem Preis vor allem die Diskussion über die Privatsphäre auszuweiten. "Wir wollen die Firmen nicht vorführen", betont Tangens. Dennoch gebe es in Deutschland immer noch "nicht nur Grauzonen, sondern richtige schwarze Löcher im Schutz der Privatsphäre der Netzbürger". Der Vorstand der Deutschen Vereinigung für den Datenschutz (DVD), zugleich Mitorganisator der Bielefelder Preisverleihung erklärt zudem: "Heute gibt es kein Grundrecht mehr, das nicht von der technischen Revolution betroffen wäre."

Initiiert wurde der Big Brother Award von PrivacyInternational , einem 1990 gegründeten Netzwerk von Datenschutz-Experten und Menschenrechtsorganisationen aus vierzig Ländern. Zum 50-jährigen Erscheinen von George Orwell´s Roman "1984" hatte die Bürgerrechtsorganisation vor zwei Jahren den Preis in London erstmals verliehen. Gewinner der ersten Stunde waren die Betreiber von Menwith Hill in Grossbritannien, einer der Hauptstationen des Abhörsystems Echelon. Nur ein Jahr später war Echelon in aller Munde. Dabei hatten europäische Regierungsstellen zuvor selbst die Existenz dieses Systems der amerikanischen National Security Agency (NSA) geleugnet, das Unesco-Berichten zufolge Millionen Telefongespräche pro Minute und Milliarden Fax- oder Mailsendungen am Tag abhören kann.

Neben Payback wurden dieses Jahr noch weitere Personen und Firmen mit einem Preis bedacht: So wählte die Jury für den Big Brother Award in der Kategorie "Politik" den Innensenator von Berlin, Eckart Werthebach aus, aufgrund der "geplanten Erweiterung der Telefon-Überwachungsanlage." Die Deutsche Bahn wurde für Videoüberwachung der Bahnhöfe gerügt sowie das Bundesverwaltungsamt in Köln für das Ausländerzentralregister.

Der gläserne Rechner

Den Big Brother Award in der Sonderkategorie "Szene" erhielt der Webserver Apache, einer der meist verwandten Netzwerk-Computer. Er protokolliere in der Standard-Konfiguration die Adresse des Abfragenden und die Namen aller abgerufenen Webseiten. Eine Verletzung der Privatsphäre, urteilte die Jury: "Mit Hilfe von einfachen Analysemethoden kann ermittelt werden, welcher Anwender welche Seiten in welcher Reihenfolge abgerufen und wie lange er sie sich angesehen hat." Der "gläserne Rechner" ist daher längst Wirklichkeit, wie Tests im Internet beweisen: In Minuten zeigen sie dem User seine aufgerufenen Internet-Seiten, die Konfiguration des Rechners und die Telefondurchwahl der Rechnungsabteilung seines Netzbetreibers.

Die Verletzung der Privatsphäre wird die ökonomische Nutzung des Internets erschweren, konstatiert auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. "Ob die weitere Entwicklung die Erwartungen erfüllen wird, hängt davon ab, ob es gelingt, die Verbraucher von der Zuverlässigkeit und Sicherheit der Dienstleistungen und Angebote zu überzeugen." Über eine Grundrechts-Charta des Cyberspace nachzudenken, dazu könnte der Big Brother Award anregen.

Süddeutsche Zeitung, 31. Oktober 2000