Geopräventives Programm, Videoüberwachung oder Sicherheitsprogramm für Schulen

Nathalie Roller 22.01.2003

Frankreichs eifrigste Überwacher wurden am Montag mit ihren redlich verdienten Big Brother Awards belohnt

Just zu jenem Zeitpunkt, an dem das französische Parlament das höchstumstrittene Gesetz für die innere Sicherheit unter Dach und Fach bringt, ging am Montag die dritte französischen Ausgabe der Big Brother Awards in Paris über die Bühne. Der oberste Polizist der Nation, der umtriebige Innenminister Nicolas Sarkozy, geistiger Vater des Sicherheitsgesetzes, das es u.a. den Sicherheitskräften erlauben wird, über einen quasi grenzenlosen Zugang zu den persönlichen Daten der Staatsbürger zu verfügen, ging seltsamerweise leer aus. Doch in Zeiten, in denen das schier unerschöpfliche Thema Sicherheit, bzw. "Unsicherheit" für Wählerstimmen und Reichweiten sorgt, war es ohnehin nicht schwer, besonders eifrige französische große Brüder auszumachen.

Über Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung kann sich die boomende Sicherheitsbranche der Grande Nation derzeit wohl nicht beschweren: Zahlreiche französische Bürgermeister rüsten ihre Städte mit modernster Überwachungstechnologie auf, um dem verängstigten Bürger zu demonstrieren, dass man Chiracs Wahlversprechen einer "Wiederherstellung der republikanischen Autorität" auch in die Tat umsetzt. So wie das nordfranzösische Städtchen Roubaix, das mit dem Einsatz eines "geografischen Informationssystems" (SIG) der Firma Data-Image seit dem letzten Jahr eine "Kartographie der Delinquenz" erstellt.

Diese Software sammelt und vergleicht Daten der Polizei mit Informationen, welche von Hausverwaltern, privaten Sicherheitskräften, Mitarbeitern der öffentlichen Verkehrsmittel, Schulverwaltungen etc. geliefert werden, um den Stadtvätern einen Überblick über den Stand der "Unzivilisiertheit" eines Viertels zu verschaffen. Nebenbei wurden die Bewohner dieses netten Städtchens auch noch zum "Neighbourhood Watching" aufgemuntert. Das "geopräventive" Programm und die Stadtverwaltung Roubaixs, der "Komplizenschaft" überführt, wurde von der BBA-Jury mit einem Orwell-Preis bedacht.

Ein weiteres preisgekröntes elektronisches Sicherheitsprogramm nimmt allerdings gleich das gesamte öffentliche Schulsystem unter die Lupe: Im September 2001 hatte der damalige sozialistische Erziehungsminister, Jack Lang, die Erstellung und Inbetriebnahme einer Software zur statistischen Erfassung der Gewalt an den Schulen ins Leben gerufen. Seitdem wird dieses SIGNA von den Schuldirektoren auf freiwilliger Basis mit den kleineren und größeren Zwischenfällen aus dem Alltag ihrer Erziehungsanstalten gefüttert. Eine Innovation, die den bürgerlichen Nachfolger Xavier Darcos, dem derzeit amtierenden Erziehungsminister Luc Ferry beigestellter Minister, besonders zu erfreuen scheint, nutzt er doch die erstellten Gewaltstatistiken weidlich, um die Anbringung von biometrischen Kontrollen, elektronischen Sicherheitsschranken und Videoüberwachung an den Schulen statistisch zu untermauern. Allein im letzten halben Jahr seien mehr als 80.000 "gewalttätige Zwischenfälle" vom SIGNA erfasst worden.

"Die Schule wird zu einem Ort der allgegenwärtigen Überwachung (...) und die Lehrer werden zu Hilfspolizisten umfunktioniert", moniert das Big-Brother-Komitee. Ganz abgesehen davon, dass der derlei zusammengetragener Zahlensalat nur schwer überprüfbar sei und so mancher übereifriger Schuldirektor offenbar vergessen habe, dass nur schwere Zwischenfälle zu vermelden sind. Die Herren Lang und Darcos dürfen sich nun eine Big-Brother-Trophäe auf den Kaminsims stellen.

Ebenfalls ein besonderes Faible für die Videoüberwachung dürfte wohl der sozialistische Bürgermeister von Lyon , Gérard Collomb, hegen: Offenbar schwer vom "Zero-Tolerance"-Konzept des ehemaligen Bürgermeisters von New York, Rudolph Giuliani, beeindruckt, wurde dem in der Stadt ohnehin schon omnipräsenten Videoüberwachungssystem im letzten Juni eine Finanzspritze von 4,6 Millionen Euro genehmigt. Mit Hunderten von Kameras in den öffentlichen Transportmitteln, in der Stadt und im Stadium ist Lyon laut der BBA-Jury zu Frankreichs meistgefilmter Stadt geworden und deren Bürgermeister somit zum würdigen Träger eines Big-Brother-Awards.

Ein Lebenswerk im Dienste des großen Bruders

Wenn es auf Frankreichs TV-Bildschirmen wieder einmal um den Dauerbrenner innere Sicherheit geht, ist Alain Bauer, seines Zeichens Chef der Beratungsfirma AB Associates , immer gern gesehener Studiogast. Vielzitierter Experte in Sachen "urbane Sicherheit" und "Krisenmanagement", Mitglied der "Science Application International Corporation" (SAIC), laut BBA-Aussendung "Auslage der US-Spezialdienste", und ehemaliger Sicherheitsberater sozialistischer Minister, jagt der Mann dem staunenden Fernsehzuschauer regelmäßig wohlige Angstschauer über den Rücken: Frankreich sei von einer "urbanen Gewaltspirale" erschüttert und schlimmer dran als die USA, die Politiker zu lax und hilflos gegenüber den "explodierenden Kriminalitätsstatistiken". Womit der Mann nicht unwesentlich zur der nicht enden wollenden Unsicherheits-Debatte beiträgt und sich den Spezialpreis des Big-Brother-Awards 2002 "für sein Lebenswerk" redlich erarbeitet hat.

Doch auch die aufrechten Verteidiger der zivilen Freiheiten kamen am Montag zu Orwellschen Ehren: Einen Voltaire-Preis für den beständigen Kampf gegen die großen Brüder der Nation erhielten das Pariser Kollektiv RATP, das sich für die Kostenfreiheit der öffentlichen Verkehrsmittel einsetzt und Überwachungskameras vermummt, das Straßburger Bureau d'Etudes, das mit übersichtlichen Organigrammen Machtverhältnisse in Ländern und Gesellschaftssegmenten veranschaulicht, Act Up Paris, das sich für das Recht auf Privatleben von Kranken und den Zugang zu lizenzgeschützten Medikamenten für alle einsetzt, das Netzwerk CLARIS, das gegen die Desinformation und Manipulation in der öffentlichen Sicherheitsdebatte ankämpft, das GISTI , das Immigranten, vor allem illegalen, tatkräftig zur Seite steht und last but not least, der Internetprovider GlobeNet , der mit no-log.org dafür einsteht, dass die persönlichen Daten der User nicht weiterverkauft werden und jede Anfrage von Seiten der Justiz auf Herausgabe der Verbindungsdaten überprüft und dem Betroffenen mitgeteilt wird.

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Telepolis, 22. Januar 2003
Original: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/14010/1.html