Der Preis, den niemand gerne annehmen will

Es gibt Preise, bei deren Verleihung die Preisträger nur ungern, wenn überhaupt erscheinen. So ließ sich auch Bundesinnenminister Otto Schily nicht in Bielefeld blicken, um den diesjährigen "Big Brother Preis" für die Missachtung des Datenschutzes entgegen zu nehmen.

Der Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (Foebud) ging in seiner Laudatio nicht gerade zimperlich mit dem ersten Preisträger, Bundesinnenminister Otto Schily, um. Unter dem "Deckmantel der Terrorismusbekämpfung" habe sich Schily für den "Abbau von Bürgerrechten, Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung" eingesetzt. Die Jury kritisierte, dass "Schilys Vorschläge ignorieren, dass die bestehenden Regelungen bereits ein umfassendes Instrumentarium zur effektiven Bekämpfung terroristischer Straftaten zur Verfügung stellen". Zudem lenkten sie "von Vollzugsdefiziten bei den Sicherheitsbehörden" und von "irrigen Lagebeturteilungen" ab. Bis heute sei das Bundesinnenministerium den Nachweis schuldig geblieben, dass "der Datenschutz" die Kriminalitäts- oder Terrorismusbekämpfung behindert hätte.

Das Bundesinnenministerium wollte zu dieser Kritik keine Stellungnahme abgeben. Und zur, Preisverleihung in Bielefeld erschien am vergangenen Freitag auch keiner der Preisträger. Dabei ist die Trophäe ausgesprochen ästhetisch: Eine mit Bleiband gefesselte Tonfigur, die von einer Glasscheibe durchtrennt wird. Im hexadezimalen Code ist eine Passage aus Aldous Huxleys "Schöne Neue Welt" zu lesen. Seit dem vergangenen Jahr werden die Preise durch den in Bielefeld ansässigen Verein Foebud vergeben, in der Jury saßen u. a. Mitglieder des Chaos Computer Clubs und weitere Cyber-Bürgerrechtler Deutschlands.

Die nahmen auch Schilys Kollegen, Bundeswirtschaftsminister Werner Müller unter die Lupe. Er erhielt die Trophäe für die am 24. Oktober erlassene Telekommunikationsüberwachungsverordnung (TKÜV). Denn mit ihr "würde eine technische Infrastruktur geschaffen, die durch fest installierte Geräte bei Telekommunikationsanbietern eine Überwachung quasi per Knopfdruck ermöglicht", darüber hinaus sei eine "Handyortung und Erstellung von Bewegungsprofilen erlaubt." Eine Sprecherin des Ministeriums zeigte sich überrascht und empört zugleich: Mit der TKÜV würden die Voraussetzungen geschaffen, um bei schweren Straftaten abhören zu können. "Daraus eine Verletzung des Datenschutzes zu konstruieren, ist abstrus", hieß es aus Berlin.

In der Kategorie "Business und Finanzen" wurde die Pforzheimer Informa Unternehmensberatung für ihr Scoring-Verfahren nom+#iniert. Damit erstellt das Unternehmen Profile von Verbrauchern und stellt diese z. B. Webshops zur Verfügung, die damit die Kreditwürdigkeit von Kunden beurteilen. Für das Scoring werden viele Daten ermittelt und ausgewertet: Soziodemographische Daten, Regional- und Statistikdaten, Markt- und Konsumdaten, Gebäudedaten und Daten der Versandhäuser. Informa greift auch auf das "Schober Consumer Masterfile" zurück, das Zugriff auf 50 Mio. Privatadressen mit 2,2 Mrd. Zusatzdaten mit vielfältigen Selektionsmöglichkeiten bietet. Informa kooperiert mit Quelle, Neckermann und der InfoScore Consumer Data GmbH. Für die Verbraucher sei das Scoring vollkommen undurchsichtig, kiitisierte die Big-Brother-Jury.

In der Kategorie "Arbeitswelt" erhielt die Software "Spector" von Protectcom den Preis. Sie ermöglicht eine umfassende Überwachung der elektronischen Kommunikation am Arbeitsplatz. Die Software protokolliert jeden Tastaturanschlag, egal, ob es sich um Passworte oder andere Eingaben handelt. Nach Ansicht der Jurymitglieder Ingo Ruhmann und Ute Bernhard machen sich Arbeitgeber mit dem Einsatz von Spector strafbar. "Es ist illegal, es ist ein Fall für den Staatsanwalt."

Den Negativ-Preis in der Kategorie "Technik" erhielt in diesem Jahr RealNetworks (http://de.real.com/). Die Firma vertreibt den kostenlosen Internet-Musikspieler "RealPlayer". Dafür protokolliert dieser jedoch Nutzungsverhalten und Vorlieben der Nutzer und leitet die Daten an den Hersteller weiter.

Die Organisatoren setzen vor allem auf die Öffentlichkeitswirkung des Preises, denn "die Verteidigung der Privatheit lebt von der öffentlichen Debatte und genau diese Stärkung haben wir mit dem Award erreicht," so der Verein. Im letzten Jahr hatten mehrere Preisträger das Gespräch mit der Jury gesucht. So auch die Firma Loyalty Partner GmbH, die Herausgeberin der Payback-Kundenbindungs- und Rabattkarte. Sie verzichtete auf die angekündigte Erstellung elektronischer Kunden-Konsumprofile, musste aber in einem Gerichtsverfahren eine Niederlage einstecken. In der Kategorie Politik erhielt 2000 der Berliner Innensenator Werthebach den Preis für die geplante Beschaffung von IMSI-Catchern. Nach der Preisverleihung verzichtete Berlin auf die Beschaffung. Inzwischen stellt jedoch der Bund seine Geräte auch den Ländern in Amtshilfe zur Verfügung.

C. SCHULZKI-HADDOUTI @ http://www.big-brother-award.de/

VDI nachrichten, 2. November 2001