Autobahnüberwachung

Mau, mauer, sehr mau, Maut

Von Rainer Fischbach

Die Einführung der deutschen Autobahngebühr (Maut) für Lastwagen ist ein Desaster - technisch, wirtschaftlich, politisch.

Dass Handlungen ausser den erklärten auch nicht erklärte Ziele haben, mag schon als Trivialität gelten, doch selten präsentiert sich dies so überdeutlich wie beim jüngsten Beispiel verunglückter deutscher Politik: der Einführung einer Maut für LKWs. Dabei klingt die Idee auf dem Papier nicht so schlecht: Die Maut soll nach Auskunft der Regierung Kostengerechtigkeit auch auf der Strasse herstellen und den Schwerverkehr proportional zum Strassenverschleiss und dem Ausstoss an Lärm und Abgas bezahlen lassen.

Ein Nebenziel der neuen Steuer oder genauer: der Technik zur Erhebung der Maut, die in einem umstrittenen Ausschreibungsverfahren den Gefallen der ministerialen Entscheider gefunden hat, verschweigen diese nicht: Die Elektronik soll deutsch und Spitze sein und deshalb auch zum Exportschlager taugen. Das klingt irgendwie vertraut. Spitze sind bisher nur ihre Komplexität und ihre Kosten.

In jedem der nächsten zwölf Jahre sollen 600 Millionen Euro an das Betreiberkonsortium Toll Collect gehen, in dem sich Daimler-Chrysler, die Deutsche Telekom und der französische Autobahnbetreiber Cofiroute zusammengefunden haben. Das sind rund zwanzig Prozent der erhofften Einnahmen. Alternativen aus der Schweiz und Österreich kämen mit einem Bruchteil davon aus.

Das Erhebungssystem ist ein Beispiel für das, was auf Neudeutsch Public Private Partnership heisst: Private Unternehmen bauen und betreiben Anlagen, die der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben dienen. Pikantes Detail dabei: Der Vorgänger des heutigen Verkehrsministers Manfred Stolpe, Kurt Bodewig, der noch im September 2002 den Vertrag mit Toll Collect abschloss, hatte dem Partner die Vertraulichkeit von vertraglichen Einzelheiten zugestanden. Für die Idee, die Strassenbenutzung kilometergenau zu erfassen und abzurechnen, hatte sich jedoch schon Matthias Wissmann, Verkehrsminister unter Kohl, begeistert.

Toll Collect will das so realisieren: Ein im LKW zu installierendes Gerät vereinigt einen Empfänger für Navigationssignale, ein GSM-Mobiltelefon sowie eine Infrarotschnittstelle. Navigationssatelliten wie das amerikanische GPS oder das zukünftige europäische Galileo senden periodisch ein Signal aus, bei dem der Zeitpunkt und der Ort der Sendung kodiert sind. Der Empfänger kann mithilfe einer Uhr die Laufzeiten der Signale unterschiedlicher Satelliten messen und daraus seinen Abstand zu diesen berechnen.

Die Signale von vier Satelliten genügen, um die eigene Position zu bestimmen. Der Abgleich der Position mit einer gespeicherten digitalen Karte, in der die mautpflichtigen Strassen verzeichnet sind, erlaubt es, die Längen der auf solchen zurückgelegten Strecken zu berechnen und diese zusammen mit den abrechnungsrelevanten Daten des Fahrzeugs in einer Nachricht per GSM an den Zentralrechner zu senden.

Anders als es in manchen Darstellungen durch die Medien geistert, überwachen nicht die Navigationssatelliten die Fahrzeuge. Sie erhalten keine Daten von diesen. Die Überwachung findet dadurch statt, dass das vom Betreiber OBU (On Board Unit) getaufte Gerät Abrechnungsdaten an den Zentralrechner schickt. Dabei entsteht eine Datenspur, die Auskunft über die Bewegungen der LKWs beziehungsweise ihrer Fahrer gibt. Doch das ist noch nicht alles: Die Hightech-Story enthält nämlich nur die halbe Wahrheit wieder.

Die andere Hälfte beginnt mit dem politischen Problem, dass jeder Versuch, die OBU zum Pflichtinventar von LKWs auf deutschen Strassen zu machen, an den Brüsseler Wettbewerbshütern scheitern würde. Die würden darin das Recht auf gleichen Zugang zum Strassennetz verletzt sehen. Neben dem automatischen Hightech-Verfahren gibt es deshalb auch ein manuelles: Da man das Aufstellen der aus Italien und Frankreich bekannten Häuschen - deren Wegfall galt als der grösste Vorteil des Systems - vermeiden wollte, gibt es an autobahnnahen Tankstellen Terminals und zudem eine Seite im Internet, über die man Tickets für feste Routen buchen kann. Ein Verfahren, das für die wenigsten Speditionen akzeptabel ist, da sie ihre Fahrzeuge oft kurzfristig umdirigieren müssen und der Zeitverlust beim Ansteuern der Terminals, wo meist auch Parkraum fehlt, zu gross ist.

Frei nach Orwell

Weil das Mitführen beziehungsweise Anschalten der OBU nicht obligatorisch ist, entsteht ein Kontrollproblem, das die Toll Collect mittels 300 orwellesk erscheinender Anlagen in den Griff bekommen möchte: Von speziellen Brücken aus sollen die passierenden Fahrzeuge durch eine Infrarotkamera erfasst und mittels Laser vermessen werden. Eine eingeschaltete OBU identifiziert sich bei der Kontrollstelle via Infrarotschnittstelle; wobei die gesendeten mit den gemessenen Fahrzeugmerkmalen übereinstimmen müssen. Erfolgt keine Reaktion einer OBU, sind das erfasste Kennzeichen und die Merkmale des Fahrzeugs mit denen der Ticketkäufer in der Datenbank abzugleichen. Abweichungen führen zu Bussgeldverfahren.

Diese Anlagen wirken wie die Vorstufe eines Systems zur Überwachung nicht nur von LKWs: Denn natürlich kann man damit auch kleinere Fahrzeuge erfassen. Ausserdem könnte es sich herausstellen, dass 300 Kontrollstellen nicht ausreichen. Also könnte der Gesetzgeber demnächst eine nutzungsabhängige Maut für alle Fahrzeuge beschliessen oder die Regierung gar auf die Idee kommen, dass eine solche Infrastruktur im Kampf gegen den Terror doch nicht ungenutzt bleiben darf. Die Toll Collect hatte sich jedenfalls durch dieses Schema für den Big Brother Award qualifiziert, den sie letztes Jahr auch in der Sparte Technik verliehen bekam.

Eine weitere, heftig beschwiegene Zielsetzung hinter der LKW-Maut deutet sich an: der leise Einstieg in eine neue Qualität der Überwachung; wobei das Wort «Überwachungsstaat» nicht mehr ganz kennzeichnet, was hier geschieht, denn es ist ja ein privater Partner, der den Dienst versieht. Diese Perspektive lässt die wenig rational erscheinende Entscheidung für ein so teures und technologisch riskantes Projekt in einem anderen Licht erscheinen. Zunächst haben sich das Verkehrsministerium und seine Industriepartner jedoch gründlich blamiert. Die bisherigen Pannen und Verzögerungen: mangelhaft spezifizierte, nicht interoperable und dauernd abstürzende Software, fehlende oder nicht funktionierende OBUs, eine mangelhafte Logistik ihrer Verteilung, ein kaum durchdachtes Zahlstellenkonzept, der EU-inkompatible Versuch zur Entlastung deutscher Unternehmen et cetera deuten auf eine hohe Inkompetz beider Seiten: auf eine unrealistische Planung und mangelnde Kooperation zwischen den Partnern innerhalb des Konsortiums sowie fehlende Kontrolle durch das Ministerium. Jeder Anfänger weiss, dass ein solches Projekt in einem Jahr nicht realisierbar ist, dass man die Vertragserfüllung durch Auftragnehmer nicht bloss abwarten darf, sondern kontrollieren muss.

Bei einem Vertrag, der erstens geheim ist und zweitens, wie langsam durchsickert, keine wirksamen Hebel vorsieht, um die Auftragnehmer unter Druck zu setzen, ist das Fiasko kein Wunder. Ein dreimonatiger Haftungsausschluss nach Betriebsbeginn und lächerliche Konventionalstrafen, die in keinem Verhältnis zu den Verlusten des Bundes durch die jetzigen Verzögerungen und zukünftige Ausfälle stehen, machen aus dessen Vertretern zahnlose Tiger. Wir dürfen gespannt sein, was der Vertrag für den sehr wahrscheinlichen Fall vorsieht, dass der geplante Kostenrahmen sich nicht einhalten lässt.

Die ganze Liberalisierungs-Privatisierungs-Marktöffnungs-Litanei wirkt immer mehr wie eine Fassade, hinter der sich die Refeudalisierung der Gesellschaft vollzieht qua Verteilung von Pfründen an einen erlauchten Kreis von Unternehmen beziehungsweise Rentiers. Zu verdeutlichen wäre hier exemplarisch, was eine demokratische Technologie- und Verkehrspolitik heissen müsste: Mehr Transparenz auf jeden Fall und eine offene Diskussion von Alternativen, die sowohl die Ökologie- wie auch die Demokratieverträglichkit von Technologie einbezieht. Im konkreten Fall: Weshalb LKWs nur auf Autobahnen Schäden bezahlen sollen, ist nicht zu verstehen: Emissionen und Verschleiss verursachen sie auch auf Landstrassen, und die Software, die mautfreie Routen berechnet, gibt es bereits. Eine höhere Besteuerung des Kraftstoffs hätte nicht nur den Vorzug, kein derartiges Vermeidungsverhalten hervorzurufen, sondern wäre auch einfacher umzusetzen - inklusive der Besteuerung der eingeführten Tankfüllung - und vor allem demokratieverträglich.

Die Wochenzeitung, 09. Oktober 2003
Original: http://www.woz.ch/wozhomepage/41j03/maut41j03.htm