Sie betreten einen Supermarkt. Noch ehe Sie die ersten ein, zwei Meter zurückgelegt haben, weiß das "System" bescheid: Sie sind Max Maier. Männlich. 42 Jahre alt. In den vergangenen zwölf Monaten haben Sie in diesem Supermarkt 32-mal eingekauft. Um insgesamt 1.452,45 Euro. 18 Prozent der Einkaufssumme entfielen auf Wein, wobei man Sie eindeutig als Rotwein-Liebhaber identifizieren kann. Denn von den 37 gekauften Flaschen in den letzten zwölf Monaten waren nur fünf Weißwein. Ihre bevorzugte Sorte: Bordeaux. Also wird man Ihnen - sobald Sie sich dem Weinregal nähern - auf dem dort angebrachten intelligenten Display einen Bordeaux im Angebot präsentieren.
Wie schön, dass heute auch eine Verkostung geboten wird. Sie greifen zur Flasche, schenken ein und während Sie den Wein auf der Zunge schmecken, werden Sie automatisch von einer Kamera gefilmt. Schließlich will man ja auch wissen, wie Sie auf den Rebensaft reagieren.
Nur zehn Prozent der Kunden dieser Supermarkt-Filiale haben einen jährlichen Wein-Umsatz, der so groß oder größer ist als der Ihre. Damit sind Sie gut für einen Rabatt von drei Prozent; Ihr persönlicher Preis wird Ihnen angezeigt, sobald Sie sich nahe genug an eines der intelligenten Preisschilder heranbewegen.
Von den 32 Besuchen in diesem Supermarkt in den vergangenen zwölf Monaten sind Sie übrigens 25-mal an einem Samstagvormittag gekommen. Das letzte Mal haben Sie die Filiale am 14. Februar um 10 Uhr 22 betreten und um 10 Uhr 44 wieder verlassen. Zur Bezahlung benutzen Sie eine Eurocard, die Sie aber niemals zücken müssen. Denn die Abbuchung erfolgt automatisch, sobald Sie Ihren gefüllten Einkaufswagen einfach durch den Ausgang schieben.
Übrigens: Von all diesen "Ermittlungen" haben Sie nicht das Geringste bemerkt. Sie haben nur den Supermarkt betreten - und sich damit mitten hinein in die Welt eines RFID-Systems begeben. Es beruht darauf, dass jedes Objekt weltweit mit einem Mini-Chip ausgestattet ist. Durch den darauf gespeicherten Electronic Product Code (EPC) ist es eindeutig identifizierbar. Diese Chips können nun mit einem Scanner ausgelesen werden. Berührungslos aus einer Entfernung bis zu einigen Metern, auch ohne dass Sie es merken.
So kann am Ende des Supermarkt-Besuchs Ihre Rechnung erstellt werden (weil Mini-Chips auf allen Waren angebracht sind), so kann die Kamera bei der Weinprobe ausgelöst werden, so kann die Kundenkarte preisgeben, wer hier gerade die Filiale betritt.
Keine Zukunftsvision, sondern etwa bei der deutschen Kette Metro bereits im ersten Teststadium (wenn auch zunächst deutlich eingeschränkter als hier dargestellt). Dafür wurde Metro auch bereits mit dem wenig schmeichelhaften "Big Brother Award 2003" augezeichnet.
Die RFID-Technik schafft nicht nur eine Revolution in der weltweiten Produktions- und Lieferkette (siehe Teil 1), sondern Sie ist auch so etwas wie der feuchte Traum aller Marketingschaffenden. "RFID ermöglicht die Verbindung aller Produktinformationen mit einer spezifischen Konsumentenidentität, das heißt mit demografischen und psychologischen Größen", meint denn auch John Stermer, Vizepräsident bei der eBusiness Marktentwicklung von ACNielsen.
Das Ziel ist der gläserne Konsument, dessen individuelle Wünsche und Vorlieben keine Privat-angelegenheiten mehr sind. Auch dann nicht, wenn Sie den Supermarkt verlassen. Denn die Chips können aktiv bleiben und theoretisch von jedem RFID-Scanner irgendwo anders wieder ausgelesen werden. Damit wäre es möglich, exakt festzustellen, was jemand bei sich hat, ohne ihn durchsuchen zu müssen. Ein Pullover von Benetton, eine Hose von Boss, ein Dupont-Feuerzeug in der Hosentasche, eine Packung Marlboro, etc. etc.
Erst vergangenen Sommer war aufgeflogen, dass Gillette Rasierklingen-Packungen mit RFID-Chips versehen hatte. In einem Tesco-Supermarkt im britischen Cambridge wurden damit heimlich Kameras ausgelöst, die Kunden fotografierten, die nach den Klingen-Packungen griffen. Andreas Krisch, Vorstandsmitglied im Verein für Internet-Benutzer Österreichs, meint denn auch: "Wenn die RFID-Chips in den Konsumentenbereich kommen, sind alle möglichen Überwachungsszenarien denkbar."
Katherine Albrecht von der Bürgerinitiative "Consumer against Supermarket Privacy Invasion and Numbering" (CASPIAN) hat dem Metro Future Store im deutschen Rheinberg vor kurzem einen Besuch abgestattet. Albrecht danach: "Das ist schon ein Hammer. Zunächst einmal enthält die Kundenkarte einen RFID-Chip, womit also Kunde und gekaufte Ware jederzeit in Relation zu bringen sind, und dann ist dieser Chip völlig ungesichert, was bedeutet, dass jeder die dort gespeicherten Transaktionen abrufen kann." Jeder könnte in diesem Zusammenhang etwa auch bedeuten: Sicherheitsbehörden oder Kriminelle.
Gleichzeitig stellten Aktivisten eines deutschen Datenschützervereins fest, dass Metro zwar an den Ausgängen ein Gerät aufgestellt hat, mit dem Kunden die an den Waren angebrachten Chips unlesbar machen können. Nur: Die wichtigste Information, die individulle Chipnummer, blieb auch nach der Behandlung mit dem sogenannten "Deaktivator" lesbar.
In einem Positionspapier des Vereins zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD) - er vergibt auch die Big Brother Awards für Deutschland - heißt es, RFID sei eine Warenmarkierungstechnik mit gravierenden gesellschaftlichen Folgen, die bei missbräuchlicher Nutzung bis hin zum Verlust der Käuferanonymität und der Bedrohung bürgerlicher Freiheiten führen könne.
Die Presse, 20. Februar 2004
Original: http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=h&ressort=hc&id=406205