In einemBielefelder Keller stehen die Rechner der Mailbox //BIONIC. Die Box ist mit 700 anderen im Z-Netz verbunden, einem "freien Bürgernetz", in dem es um soziale und politische Aspekte geht. Der FoeBuD e.V., "Verein zur Förderung des bewegten und unbewegten Datenverkehrs", betreibt die Mailbox und die Veranstaltungsreihe "Public Dornain". Mitglieder von FoeBuD haben im Kriegsgebiet Ex-Jugoslawiens "ZaMir", das Friedensnetz, mit dem über die Gräben der verfeindeten Parteien hinweg kommuniziert wird, eingerichtet. Wer steckt hinter diesem außergewöhnlichen Engagement für die Kommunikation und wie konnte es dazu kommen? Ralf Bindel sprach mit padeluun, einem der Gründer des Vereins.
mum: Das Z-Netz ist gegenwärtig in aller Munde. Das Spiegel-Spezial
berichtet in seiner März-Ausgabe Über .Euch" und Eure Pressemappe
ist dick und:rund. Rena Tangens und Du, Ihr gehört zu den Gründem
dieser Initiative fUr.Kommunikation. Wiebat es angefangen?
padeluun: Eigentlich sind wir Künstler. Ohne Medium davor und sonstwas
dahinter. 1984 kam ich aus Berlin mit einer Super-8-Filmschau nach
Bielefeld, deren Aufffilu-ung Rena organisiert hatte. Wir haben
dann beschlossen, hier in der Provinz gemeinsam Kunst zu machen,
und diese Räume angemietet. Unter anderem haben wir eine
Ausstellungsreihe"Überregionale Mehrwert Vorstellung" gemacht, in
der in 6 Ausstellungen innerhalb eines Monats ein Gärtner, ein
Einbrecher, eine Hausfrau usw. eingeladen waren, ihre Arbeit
vorzustellen. Leute, die sich nicht als Künstler bezeichnen, die
aber in unseren Augen schon etwas hatten, was sie zwingt, diese
Bezeichnung anzunehmen. In dieser Ausstellungsreihe haben wir auch
den Chaos Computer Club eingeladen, weil wir uns sagten, was diese
Leute machen, mit soviel Witz, Begeisterung, Esprit, mit ihren
Zukunftsvisionen, das ist Kunst. Diese Leute kamen hier rein,
allen voran der ältere Wau Holland und viele junge Leute, gerade
16 Jahre alt - die später verantwortlich für diese bösen KGB-Hacks
und sowas waren - und haben vor allem zwei wichtige Sachen hier
vorgestellt: Einmal wurde ein Schneider-Computer CPC in der Ecke
aufgebaut, mein Fernsehapparat daran angeschlossen, und der
rechnete 2 Tage an einem Apfelmännchen, diesem Piktogramm de5
Chaos. Und zum anderen nahmen sie mein Telefon auseinander, und
wir haben uns zum erstenmal tatsächlich in andere Rechner
eingeloggt. Wir haben uns z.B. in den Rechner der Wahington Post
eingeloggt und die Zeitung vom nächsten Tag gelesen. Das war nicht
ganz legal, aber heute haben solche Medien WWW-Server, damit man
sich reinklicken kann. Was früher kriminell war, sollen heute
möglichst alle machei pade.1u-tin vor der'Für zum 1.Zechner-Keller
des FoeBuD e.V. und möglichst teuer. Ich begriff, daß man damit
mehr tun könnte, als nur Informationen beschaffen, nämlich
kommunizieren. Wir haben uns sehr schnell in diesen Bereich
eingearbeitet, weil uns klar war, daß der Computer und die
Digitalisierung der Welt Änderungen in den Denkmodellen der
Menschen herbeiführt und damit die Gesellschaft vielleicht genauso
ändert wie die Erfindung des Rades.
mum: Ihr habt Euch dann entschlossen, Kommunikation als Kunst zu
betreiben?
padeluun: Für uns war damals klar: Technik wird allgemein
abgelehnt. Keiner konnte mit diesen Computerfreaks reden. Niemand
verstand, was ihn interessiert hat, verstand nicht, was sie z.B. für
geniale Sachen im Software-Bereich machten. Im Grunde haben wir
versucht, den technisch ambitionierten Leuten ein Sprachrohr und eine
Bestätigung zu geben, daß sie in dieser Gesellschaft wichtig und
willkommen sind.
mum: Wie konntet Ihr den Computerfreaks helfen?
padeluun: Nach der Veranstaltung mit dem Chaos Computer Club haben wir
lange versucht, zusammen mit dem Bunker Ulmenwall eine
Veranstaltungsreihe zu machen, wo Computerfreaks ihre Rechner
mitbringen und sich gegenseitig zeigen können, was sie da so
machen. Das hat erst später richtig geklappt, weil: "..wir machen Jazz
hier und so, Jugendarbeit." Wir haben dann diese Public
Domain-Veranstaltungsreihe geschaffen, einmal im Monat als ständigen
Treffpunkt. Teilweise waren es über 500 Leute, die versucht haben,
sich in den Bunker zu drängeln, und wir mußten auf andere Häuser
ausweichen. Allerdings sahen wir bald, daß es den meisten Leuten nur
ums Raubkopieren ging. Diese eigenständige Raubkopier-Kultur gehörte
aber mit dazu, trotz dieser scheinbaren Illegalität. Die Leute haben
debuggen gelernt, sie haben sich mit Assembler beschäftigt, sie
wußten, was Einsprung-Routinen sind. Ich weiß noch, wie ich Jahre
später mit einer Sammlung von Demos, die die Leute programmiert
hatten, bei Atari war, und denen sind die Augen übergegangen, die
wußten gar nicht, was man mit ihren Rechnern alles machen konnte. Das
haben wir gefördert. Wir haben sogar eine richtige Raubkopierfete mit
geheimem Zugang und Code-Wort gemacht. Das war sehr lustig. Es gab
auch eine Hausdurchsuchung, das war auch sehr lustig. Im Rahmen des
Medienkunstfestivals Osnabrück haben wir dann nochmal sowas
gemacht. Inzwischen sind die Leute dort sehr stolz darauf, daß sowas
mal bei ihnen stattgefunden hat, aber damals wußten sie überhaut
nicht, was sie dort finanzieren. Als es dann ausuferte, in dem Sinne,
daß nur noch abgezockt wurde, der Geist verschwand, haben wir das
gestoppt, die Eintrittsgelder höher gesetzt und regelmäßige Vorträge
angesetzt. Am Anfang mußten sich die Vortragenden noch gegen die
Rechner behaupten, aber mittlerweile ist die Public
Domain eine reine Vortrags- und Diskussionsrunde geworden, der ich
einen sehr großen Wert einräume.
mum: Wann hat sich der e.V. gegründet, und wie seid Ihr zur eigenen
Mailbox //BIONIC gekommen?
padeluun: Der Verein wurde im Bunker gegründet, um auch den
Veranstaltungen einen breiteren Rahmen zu geben. Die Vereinssatzung
wurde von der Box des Chaos Computer Club geladen, vor sieben
Anwesenden verlesen und verabschiedet. Ein beiwohnender CCCler, als
Postangestellter des Amtsdeutschen mächtig, gab dem Verein den wichtig
klingenden Namen. //BIONIC begann dann 1989 als Bielefelder Mailbox
AG, eine Arbeitsgemeinschaft, die sich auf einer Public Domain
gegründet hatte, die Rechner gemeinsam anschaffen und nutzen
wollte. Wir waren durch diese ganzen "Drecksmailboxen" ziemlich
gefrustet. Damals hieß es auf einer Public Domain von einem Betreiber:
"Solange Du genug Pornos und Raubkopien auf deinem System hast, ist
dein Port immer besetzt, ist deine Mailbox gut." Während in der
Clinch-Mailbox des CCC galt: "Pornos und Raubkopien machen eine Mailbox
kaputt, und eine gute Mailbox ist nie besetzt." Genau nach dieser
Maxime haben wir gehandelt und haben bis heute mit diesem System viel
Erfolg. Mit unserem Geschäftsgebiet können wir uns wahrscheinlich als
einen der größten privaten Online-Dienste weltweit bezeichnen. Wir
hatten damals das Glück oder Unglück, daß jemand uns einen Rechner als
Leihgabe zur Verfügung stellte, einen 286er mit 20er Platte, das war
die erste //BIONIC. Heute ist es das, was Du unten im Keller siehst
(10 oder mehr Rechner mit diversen Modems) abzüglich dem, was
Contribnet als Untermieter im unteren Regal aufgestellt hat. Wir haben
uns besonders für Netze interessiert, da wir diese als Arbeitsmittel
sehen, mit dem der Mensch Öffentlichkeit herstellen kann, und zwar
jeder Mensch. Und zwar immer dann, wenn der Mensch will, unabhängig
von Redaktionsschluß usw., egal ob es Lüge ist oder
Wahrheit. Natürlich gehen wir davon aus, daß die Leute nur die
Wahrheit sagen. Wir haben uns nicht um jeden neuen Technik-Trend
gekümmert, sondern wollten vor allem das System für die
Betreiberlnnen sehr pflegeleicht halten. Also wenn Verwaltung, dann
persönliche Ansprache von UserInnen, und automatische Abrechnung, ohne
hier was eintragen zu müssen und dort.... wir wollten ein System auf
Low-Tech-Basis schaffen (danach sieht es zwar nicht aus, aber ist es
im Prinzip doch), das zu einem günstigen Preis allen BürgerInnen
anzeigenfrei zur Verfügung steht.
mum: Womit verdient Ihr Euer Geld?
padeluun: Unser privates Geld verdienen wir wirklich über die
Kunst. Wir machen zwar sehr wenig, aber wir machen dann auch
entsprechende Preise, und wenn die Leute die dann bezahlen, dann
wissen wir, daß sie uns wirklich wollen.
mum: Ich fand das sehr schön.
padeluun: Im Grunde das, was hauptsächlich in der Kommunikation
passiert. Egal, ob du auf eine Party gehst, oder ob du in eine Galerie
gehst: es ist so die Ebene des gehobenen Small Talks, der nicht
unwichtig ist. Äußerlich erinnern sie an diese schöne Geschichte von
Konrad Lorenz, "Gänsekind Martina", deshalb auch die Schwanenhälse von
Stiletto. Und die Erinnerung an Satelliten, die ja Möglichkeiten sind,
den Turmbau zu Babel zu betreiben, ohne diesen Turm bauen zu
müssen. Und die Sprache, na ja, ...TCP/IP, GSM, SGML oder ... ? Das
ist eine Frage der Software.
mum: Ihr habt die Zerberus GmbH gegrÜndet, um Zerberus Software
für den Betrieb der Z-Netze weiterzuentwickeln und zu vertreiben?
Verdient Ihr damit Geld?
padeluun: An der Zerberus GmbH hat bisher kein Mensch Geld verdient,
aber ohne die Gesellschaft wäre Zerberus in keinem verwertbaren
Zustand. Es ist einfach nicht möglich, eine Mailbox-Software, auf die
Menschen z.T. ihr Leben ausrichten, mal so nebenbei zu
programmieren. Zu Anfang haben wir Zerberus gekauft. Es war zwar sehr
gut, aber auch völlig beschissen. Viele Sachen waren inkonsequent,
rein männliche Ansprache, und vor allem die Weiterentwicklung lief
nicht so richtig, wie wir uns das vorstellten. Wir haben versucht, die
Software nach kommunikationswissenschaftlichen Anforderungen
aufzubauen, d.h. wir haben uns gefragt, wie muß eine Software
aufgebaut sein, damit sie fürs Netz verträglich wird. Ein Beispiel:
Wenn du mit Zerberus eine Nachricht in einem öffentlichen Brett liest,
und du möchtest antworten, gibst du "A" ein. Jetzt gibt es 3
Unteroptionen: an den ursprünglichen Autor antworten, ins Brett
antworten, oder an beide. Drücken die Leute gedankenlos nur Retum,
bekommt der Autor, nur der Autor, einen Kommentar. Wer ins Brett
antworten möchte, muß schon einen Schritt mehr tun, er muß es bewußt
tun. Es geht darum, daß das Netz nicht aufgrund falsch designter
Software unnötig belastet wird. Üblicherweise hast du deinen
Newsreader und wenn du antwortest, dann knallst du erstmal alles ins
Netz rein, nach dem Motto - alles ist wichtig, alles ist interessant
-, das ist es aber nicht. In der Regel reicht eine Nachricht an den
Autor. Immer nur Antworten zu senden, ist eine Seuche.
mum: Glaubt Ihr, daß es eine Renaissance der lokalen. Netze gibt, oder
trifft sich alles im Internet? Wollen nicht alle nur bunte WWW-Seiten?
padeluun: Internet heißt mittlerweile WWW. Das ist ein Fehler. Der
läßt sich zwar einfach anklicken, dieser Fehler, aber dazu gehört
erstmal eine Leitung, und die ist teuer. Ich finde, daß für
Kommunikation so 30-40 DM pro Monat inkl. Telefonkosten ausreichen
sollten. Selbst das ist für Schüler auch mit den ermäßigten Preisen
der //BIONIC schwierig. Im WWW geht es nicht darum, Bildung,
Information und Medienkompetenz zu vermitteln, sondern nur darum,
Kunden zu gewinnen. Das ist legitim, auch wir als //BIONIC versuchen
das, aber nicht um jeden Preis. Sonst würden wir auch Software und
sonstwas anbieten. Wie das funktioniert, sieht man in den USA. Da
verdienen die Mailboxen richtig, da wird gesaugt, was das Zeug
hält. Und diesen Anspruch kann das Intenet natürlich leicht
befriedigen. Für Leute beispielsweise, die ihr Job nicht ausfüllt und
die wenigsten Leute haben dieses Glück, ist unser Netz. ideal. Sie
können dort ihr Wissen an bestimmte Gruppen, die diese Informationen
benötigen, weitergeben, sie können dort kommunizieren. Sie können an
einem Netz teilnehmen, was einfach vorhanden ist. Das in einer Form
vorhanden ist, daß es für Fragen lokale Ansprechpartner gibt, also
ganz im Sinne unseres Medien-Cafds. Sagte z.B. ein Experte für
Öffentlichen Personen Nahverkehr: Leute, ihr habt das tolle CL-Netz,
da fehlt mir für meine Arbeit ein Bereich, in dem ich mich zum Thema
mit anderen Gruppen austauschen kann. Das fehlt jetzt nicht mehr im
CL-Netz, das Brett ist da, aber das ist nur ein Beispiel. Das geht bei
Compuserve an der Telefon-Hotline nicht, dort wird eine solche
Konferenz nicht eingerichtet. Wir haben die Kompetenz und die
Kontakte, so etwas einzuführen. Egal, wie das Netz heißt, ob es jetzt
auf Mailboxen oder IP-Systeme begründet ist, das Netz, das aus allen
Netzen besteht, ist wie ein Mycel, was unsichtbar unter dem Boden
kriecht, was aber die Fruchtkörper braucht, die Pilze, wo man sich
dann treffen kann. Die verschiedenen Netze haben ihre Berechtigung,
genauso wie ein Amiga OS und ein OS/2 ihre Berechtigung haben. Diese
Art der Deutschen, alles gleich machen zu wollen, also am liebsten nur
ein. de, und da alles drunter, das ist nicht für alle Leute das
Richtige. Das Z-Netz jetzt auch noch zu einem Usenet zu machen, wie
das von dem stark Uni-basierten .de-Netz herüberschallt, finde ich
nicht korrekt. Es ist ein anderes Netz, das sollte respektiert
werden. Genauso wie ich andere Netze auch respektiere. Mit Ausnahme
von Fido, wo man in der Diskussion um Private Mail sagen muß, die
verstoßen gegen geltendes Recht - das Grundrecht auf Vertraulichkeit
der persönlichen Nachricht kann auch in einer Mailbox nicht aufgegeben
werden.
mum: Worin siehst Du die Zukunft des Internet oder der Netze?
padeluun: Welche Zukunft? Ich möchte erstmal die Gegenwart sehen. Ich
möchte, daß alle Leute, die an dieser Gesellschaft interessiert sind,
einen einfachen niederschwelligen Zugang zum Netz haben. Daß darin
solche Orte wie Mediencaf6s eingebaut sind, die aber im Zweifelsfall
auch ohne Computer funktionieren. Treffpunkte, Kulturhäuser, die auch
entsprechend betrieben werden, die eine Zurückeroberung der
öffentlichen Plätze sind, die es immer weniger gibt. Menschen müssen
kommunizieren, sonst gehen sie kaputt. Für einen Manager, der den
ganzen Tag eher zuviel Kommunikation hat, ist es schwer zu begreifen,
daß das für manche Leute schwierig ist, daß sie gelockt werden
müssen. Das ist nicht nur mit den 300 oder 800 Plätzen im Theater
getan, dazu gehört mehr, und das ist für das menschliche Überleben,
auch für das industrielle Überleben, wichtig. Wenn das nicht
funktioniert, klappt es auch nicht mit dem Nachbarn, nicht mit der
Wirtschaft. Wir gehören zu den wenigen in der Branche, die versuchen,
ein Medium vernünftig zu nutzen, also nicht im Sinne von Geld machen,
sondern dieses Medium so zu nutzen, daß es der Welt hilft. Es dann
auch so einzusetzen, daß davon gelebt werden kann, aber nicht
umgekehrt. Dieser nichtkommerzielle Ansatz ist uns sehr wichtig.
mum: padeluun, wir danken Dir für dieses Gespräch.
Mensch und Mäuse, Februar 1996