1989 war es, als padeluun in seiner Bielefelder Wohnung die Mailbox Bionic installierte, die jahrelang eine der wichtigsten Schaltstellen für die vernetzte Kommunikation in Deutschland war. Er und Rena Tangens - beide betreiben ein Büro mit der an Erik Satie angelehnten Bezeichnung Art d'Ameublement" (http:// www.foebud.org/art) - arbeiten an der Schnittstelle zwischen elektronischen Medien und Kunst. Sie beschäftigen sich künstlerisch, aber auch theoretisch mit dem Zustand der Netze und haben in zahlreichen Veröffentlichungen unter anderem auch politische Forderungen für deren zukünftige Gestaltung entwickelt. Mit padeluun, der auf der konsequenten Kleinschreibung seines Namens besteht, sprach Dirk Fuhrig.
FR: Welche Bedeutung hat das Internet für Sie als Künstler?
padeluun: Alles, was ich ins Netz stelle, findet eine kleine Elite, bei der ich nicht sicher bin, ob ich genau diese Elite finden möchte. Also macht es für mich wenig Sinn, mich als Netzkünstler zu bezeichnen - was ich nicht tue; ich bin Künstler -, sondern ich versuche, sehr viel mehr im realen Leben zu machen. Das Netz ist nur eines von mehreren Medien, das mir hilft, etwas zu transportieren. Ich kann in meinem kleinen Dorf leben und habe Anschluß an jemand Intelligentes 20 000 Kilometer entfernt.
FR: Also die Basisform des Internets, das simple Kommunikationsmittel für schnellen Gedankenaustausch.
padeluun: Ja, ich kann mich eben auch in Newsgroups in Diskussionen einschalten oder sie anstoßen, kriege mit, was andere Leute denken, werde mit Meinungen konfrontiert, die mit meiner überhaupt nicht übereinstimmen. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß ich mich mit manchen Leuten, mit denen ich mich im Netz unterhalte, persönlich nichts anfangen kann.
FR: Aber Sie machen doch auch Kunst im Netz.
padeluun:Das einzige, was ich dort an Kunst machen kann, ist einen Rahmen aufzubauen, der es möglich macht, daß das Eigentliche passiert: daß sich Leute treffen und friedlich versammeln, miteinander reden können, neue Ideen bekommen.
FR: Sie unterscheiden zwischen Information und Kommunikation.
padeluun: "Information" bedeutet für mich: Da ist etwas, das ich mir holen kann. Es gibt jedoch erstmal keinen Rückkanal. Ich darf letztlich nur "Ja" oder "Nein" ankreuzen, also: Will ich die Information oder will ich sie nicht.
FR: Das wäre die kommerzielle Seite des Netzangebots.
padeluun: Kommunikation hingegen beinhaltet für mich den Austausch; daß jeder Mensch sich einbringen kann. Dafür ist das Internet, also das schöne www, nicht geeignet, sondern zum Beispiel Newsgroups. Obwohl auch die weiterentwickelt werden mussen, um für eine Kommunikationsgesellschaft wirklich dienlich zu sein.
FR: Was hieße denn dann der viel zitierte Begriff "Interaktivität"?
padeluun: Das ist ein sehr mißverstandenes Wort. Interaktiv scheint zu sein, wenn ich einen Knopf drücken darf. Das ist natürlich Unsinn, weil dieser Knopf in eine Handlung hineinführt, die bereits vorgegeben ist. "Multiple choice" oder "selektives Einkaufen". Wirklich interaktiv ist etwas dann, wenn es auch auf mich reagiert und wenn es sich dann selber auch verändern kann - eigentlich gibt es Interaktivität nur zwischen Menschen.
FR: Wie wird denn das Internet in Zukunft aussehen? Der Staat zieht sich ja weitgehend zurück und überläßt die Entwicklung dem freien Spiel der Marktkräfte.
padeluun: Es wird viel nachgedacht, es gibt eine Enquete-Kommission. Ob die viel Sinn hat, wage ich zu bezweifeln. So richtig rausziehen tut sich der Staat also nicht. Er hat nur keine Ahnung. Die Leute, die da sitzen, stecken einfach nicht tief genug in dem Thema drin, und dann ist es furchtbar schwer, etwas zu entscheiden. Zum Beispiel als es um das Signaturgesetz ging, also um die Möglichkeit, auf elektronischem Wege eine Unterschrift zu leisten, die gleichbedeutend mit der auf einem Scheck ist. Damit kann ich Währungsspekulationen in solchem Umfang durchführen, daß ich, sofern sich ein paar Leute zusammentun, eine Weltwirtschaft innerhalb von wenigen Sekunden komplett herunterfahren kann.
FR: Was wären denn Ihre Forderungen an die Politiker?
padeluun: Ganz einfach: Es muß Geld fließen. Allerdings in die richtigen Kanäle. Nicht an Marketing-Agenturen und nicht an irgendwelche, Professoren, die in einem wissenschaftlichen Elfenbeinturm sitzen - was nicht alle tun -, sondern an unabhängige Leute, die sich im Netz auskennen. Und es muß Geld geben, um alle Menschen den Zugang zum Internet zu verschaffen. Etwa indem Schüler im Rahmen der Lernmittelfreiheit einen Laptop mit Modern bekommen.
FR: In Ihren "Thesen für eine vernetzte Welt« schlagen Sie unter anderem vor, das Netz "als exterritoriales Gebiet anzuerkennen". Wer soll diese autonomen Zonen regieren?
padeluun: Nicht regieren", sondern "koordinieren" ist hier das richtige Wort. Die amerikanische Regierung hatte von sich aus schon einmal den Vorschlag gebracht, das Internet als eine Art "Duty Free"-Region zu definieren. Das Recht, das darin gelten soll, könnte durch überstaatliche Vereinbarungen festgelegt werden. Wir können ja damit beginnen, daß wir uns einmal das "Recht der Meere" oder die "Lex Mercatona" anschauen, mit der sich die mittelalterliche Kaufmannschaft Regeln gegeben hat, ganz ohne inkompetente staatliche Einmischung.
FR: Kann diese staatliche Enthaltsamkeit auch bei Straftaten gelten? Was sagen Sie etwa zu dem kürzlich ergangenen Urteil gegen den Compuserve-Chef wegen Verbreitung von Kinderpornographie?
padeluun: In der nationalen und internationalen Rechtsprechung gibt es genügend Schutzmechanismen bei Beleidigung oder Verunglimpfung. Nicht das Netz ist schuld daran, wenn Bilder von mißhandelten Kindern darüber verbreitet werden, sondern es handelt sich um das Verbrechen von Kindesmißhandlung und Handel mit verbotenen Bildern. Aber dennoch ist das Urteil so falsch gar nicht. Niemand ist von der Verantwortung für sein Handeln befreit. Das muß auch bei den Netzen gelten. Ich kenne keine Bemühungen der großen Online-Unternehmen, sich dieser -Verantwortung zu stellen. Wir brauchen grundsätzlich aber kein Kommunikationsverbot ' sondern vor allem Bildung, Ethik, Kultur; der Umgang mit den Netzen erfordert Kompetenz - ein Wort, das sich auch ohne die Vorsilbe "Medien" verwenden läßt.
Frankfurter Rundschau, 04. Juli 1998