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Wenn Datenreisende Urlaub machen

High-Tech und gesundes Essen beim Sommercamp des Chaos Computer Clubs in Berlin

Neue Westfälische 16. August 1999

Von Helmut Merschmann und Maurice Weiss

Berlin. Angestrengte Augenpaare starren auf den Monitor, Finger huschen flink über die Tastatur. Aus den kleinen Boxen schnarrt Grunge-Musik. Ein Augenblick perfekter Konzentration. Niemand würde ihn jetzt davon ablenken können, seinen wichtigen Auftrag zu erfüllen. Der junge Mann, Hacker aus Passion, bastelt an einer Software, die einem Raumschiff die Rückkehr ins All ermöglichen soll.

Die "Heart of Gold" ist wegen ein" Fehlers im Bordcomputer vom Kurs abgekommen und kann nun keine Anhalter mehr durch die Galaxis führen. Auf ihr SOS-Signal haben sich einige Computer-Freaks vom Planeten Erde gemeldet und ihre Hilfe angeboten. Nun thront das stolze Schiff auf einer frisch gemähten Wiese bei Altlandsberg, unweit Berlins.

So lautet zumindest die offizielle Version: Drumherum hat sich eine Zeltstadt gebildet. Etwa tausend Hacker und Cypherpunks an der Schwelle zur Volljährigkeit haben sich eingefunden und sitzen entweder im 2000 Quadratmeter großen Hackcenter oder scharen sich mit ihren Privatzelten um den zwanzig Meter hohen Funkmast.

Wer im Großzelt keinen Platz gefunden hat, baut sein Equipment einfach im eigenen Biwak auf. Der "Chaos Computer Club" (CCC) hat erstmalig ein Sommercamp ausgerufen, und viele sind gekommen. Wie Andy Müller-Maguhn, Vorsitzender des Clubs, betont, wollen die Leute hier "Urlaub machen in entspannter Atmosphäre". Recht hat er, wohl nirgends sonst ist die "Kultur der Datenreisenden" so hautnah zu erleben.

Platsch - mit wehenden Haaren und einer Arschbombe springt jemand in den nahe gelegenen See. Ausgleichsbewegungen sind notwendig nach soviel Vorm-Computer-Sitzen. Er hatte sich vorher aus einem T-Shirt geschält, auf dem "Exchange Microsoft" stand -oder war es "Error inside"?

Aus den Soundsystems dröhnt cooler Drum'n'Bass, ein süßlicher Duft hängt in der Luft. An der Vitaminbar warten frisch gepresste Säfte auf Durstige, ein Stand weiter gibt es lauwarmes Ökobier. Selbst die Hamburger sind hier nicht fleischhaltig, und ein Amerikaner fragt schon ganz verzweifelt nach "normaler Nahrung". Die High-Tech-Kids bevorzugen Health-Food, spielen auf dem Didgeridoo und räumen auch artig ihren Müll auf, wenn es sie vom Ruheplatz am See zurück ins Zelt zieht.

Schlösser öffnen unter Wasser

Dort geht es ebenso friedlich, aber nicht ganz so naturidyllisch zu, Denn niemand hier würde sich ohne seinen Computer wohlfühlen. So hat der CCC für die nötige Infrastruktur gesorgt: Diesel-Generatoren liefern den nötigen Strom, 14 Kilometer Kabel wurden verlegt, ein Internet-Anschluss per Funkverbindung bereitgestellt, der, wie Müller-Maguhn erklärt, "500 ISDN-Leitungen entspricht".

Das Datennetz reicht noch bis in den hintersten Winkel des Camps. Überall stehen sogenannte "Datenklos" herum, zweckentfremdete Bedürfniszellen aus blauem Plastik, aus denen man sich Kabelstrippen ins mitgebrachte Zelt legen kann. Sogar an einen eigenen Campus-Rundfunk wurde gedacht: "Radio Intergalaktik 93,9" sendet Musik, Informationen und Kommentare beinahe rund um die Uhr.

Niemand soll sich langweilen, für Programm ist gesorgt. In den beiden Workshop-Zelten finden im Zwei-Stunden-Rhythmus Veranstaltungen zu den Themenschwerpunkten "Kryptografie" (Verschlüsselungstechniken), "Freie Software" und "Re-Engeneering" statt. Letzterer Workshop will für mehr Knowhow und Transparenz bei neuen Micro-Technologien wie Chip- und Smart-Cards sorgen, deren Funktionsweise kaum jemand durchschaut.

Ein Unterwasser- Lockpicking-Wettbewerb symbolisiert das Hacker-Ethos: lm See verteilte Schlösser müssen aufgespürt und geknackt werden, ohne ihnen Gewalt anzutun.

Schöne Beispiele für große Internet-Karrieren

Viele Klischees, die sich mit Hackern verbinden, lösen sich hier beim Sommercamp in Wohlgefallen auf. Niemand schaut sonderlich konspirativ drein - obwohl. ... man weiß ja nie. Dem CCC war es jedenfalls ein Anliegen, auf die vielfältigen Aktivitäten der Hackerszene aufmerksam zu machen, zu denen es nicht nur gehört, in Sicherheitssysteme einzudringen.

John Gilmore, in ein türkisfarbenes Unterhemd und einen Batikwickelrock gekleidet, ist dafür ein gutes Beispiel. Der aus San Francisco stammende Cyber-Guru hält den Eröffnungsvortrag auf dem Sommercamp.

Gilmore ist Mitbegründer der renommierten Electronic Frontier Foundation (www.eff.org), die sich in den USA mit ihren Blue-Ribbon-Aktionen für freie Meinungsäußerung und den Prozessen um die Kryptografie einen Namen gemacht hat.

Im Vortrag geht um die "Politics of Creating Crypto Software": Wie man leistungsstarke Kryptografie-Freeware basteln kann, ohne sich mit den staatlichen Behörden anzulegen. In den USA ist es verboten, 128 Bit-Schlüssel zu entwickeln und sie im Handels- oder Datenverkehr mit dem Ausland zu verwenden. Zu Recht weist Gilmore auf die Paradoxie hin, dass sich damit im Prinzip jeder, der im Internet über einen Sicherheitsserver surft, strafbar macht. Die EFF bemüht sich, gegen derartig unsinnige Gesetze vorzugehen.

Auch später am Abend sitzt John Gilmore noch einmal auf dem Podium. Neben im haben sich weitere amerikanische "Careerpunks" versammelt, Hacker, die ihr Schäfchen längst ins Trockene gebracht haben. Einer von den Erfolgsverwöhnten ist Moderator Tom DeMarco, Autor des im vergangenen Jahr erschienenen Buches "Peopleware" und derzeit gefragter Consultant.

Ein anderer ist Sameer Parekh. Der mit seinen 25 Jahren Jüngste in der Runde hat vor einem Jahr die Firma "Zero Knowledge" gegründet. Sie vertreibt eine selbstentwickelte Software, die absolute Anonymität beim Surfen im Internet garantiert.

Schöne Beispiele für große Internet-Karrieren. Unter den anwesenden Jung-Hackern kommen bei soviel Euphorie jedoch leichte Zweifel auf. Ob wirklich jedem der große Coup gelingen kann, solange nur die Qualität des Produkts stimmt und ein Markt vorhanden ist? Hier wird wohl ein alter Hacker-Mythos beschworen: der vom "coolen" Computerjob, der die eigenen Interessen mit dem leidigen Broterwerb verbindet. Der Auftraggeber, ob Industrie oder Militär, sei zweitrangig, meinen die Amerikaner. Ein holländisches Pärchen verlässt empört das Zelt.

© WWW-Administration, 21 Jan 03