der 11. september als startschuss für eine neue privacy-bewegung?

(von thomas thaler)

padeluun: "Ich glaube es ist sehr wichtig Worte neu zu begreifen, wir reden von Datenschutz, wir meinen informationelle Selbstbestimmung, es ist wichtig für dieses schreckliche Wortmonster ein besseres Wort zu finden, was es klarer aussagt, und mit dem man auch irgendwo hingehen kann ohne hinausgeworfen zu werden. Und ich finde es sehr wichtig, sich zu überlegen was das alles mit unserer Demokratie zu tun hat, und diese Fragestellung kommt viel zu kurz."

padeluun ist Netzaktivist der ersten Stunde. Unter anderem organisiert er mit seinem Verein FoeBuD die deutschen BigBrother-Awards.
Die letzten Tage des abgelaufenen Jahres hat er wie viele andere beim Chaos Communication Congress verbracht. Das jährliche Hackertreffen des Chaos Computer Clubs ist über die Jahre zu einer Veranstaltung von europäischer Bedeutung gewachsen. Dieses Jahr hatte der Kongress aus aktuellem Anlass einen Schwerpunkt zu Datenschutz- und Privacy-Themen.

padeluun: "Der 11. September hat in meinem Leben nichts verändert, ich hab vorher für ein vernünftiges selbstbestimmtes Leben gearbeitet und ich tue das nach wie vor weiterhin."

Das Cybercrime-Abkommen des Europarat, die europäische Urheberrechts-Richtlinie oder der Versuch in Deutschland die Zensur von Internetseiten durchzusetzen. Die Liste der Gesetze und Maßnahmen, die von den Teilnehmern des CCC-Kongresses als problematisch angesehen werden, ist lang. Die deutsche Bundesregierung bereitet inzwischen ihr drittes Sicherheitspaket seit dem 11. September vor.
Schlechte Zeiten für Datenschützer und Aktivisten, die ganz allgemein angesichts der rasanten technologischen Endwicklung für Grundrechte eintreten. Viele, die schon lange in diesem Bereich arbeiten, fühlen sich ganz einfach von der Menge der neuen Maßnahmen und Gesetze überrollt. Die Zeit ist reif für strategische Überlegungen.

padeluun:"Was mich interessiert, ist die Arbeit die ich leiste, finanziert zu bekommen. Weil im Moment muß ich die Arbeit von zehn Leuten gleichzeitig machen inklusive der Arbeit mich dabei zu finanzieren. Und ich hab auch gewisse Ansprüche, die schon real sind, also mir reicht keine schlammige Wohnung unter der Brücke, oder so. ich wünsche mir eine Finanzierung und ich werde dafür arbeiten. Das ist was mich tief interessiert, und glaube ich auch das einzige ist was wirklich weiterführt."

padeluun glaubt das nur kleine, professionelle NGOs in der Lage sind die technologische Endwicklung und den begleitenden Gesetzgebungsprozeß zu überblicken. Und entsprechend zu agieren. Er wünscht sich ein Büro in dem gute Köpfe versammelt sind, und Geldmittel, um zum Beispiel auch Forschungsaufträge vergeben zu können. Große hierarchische Organisationen, so glaubt er, haben hinlänglich bewiesen, dass sie die notwendige Arbeit nicht leisten können.
Bei diesem eher elitären Konzept drängt sich die Frage auf, welche Rolle die Masse der Betroffenen eigentlich spielt.

padeluun: "Natürlich darf man sich nicht hinstellen und sagen wir wollen keine breite Bewegung, klar hätten wir sie gern. Sie wird es erstmal nicht geben. Punkt. Das ist einfach ein Faktum. Und entweder es taucht ein Jesus auf der die Massen hinter sich versammelt, oder er taucht nicht auf, dann wird man eben anders arbeiten müssen. Und ich weis auch nicht ob breite Bewegungen immer das bringen was man möchte, wie Eric Sati zu sagen pflegte: "Wenn die Masse was richtiges macht, dann meist aus den falschen Gründen'."

Sabiene Moebs: "Ich hab mir gedacht irgendwie muß man sich jetzt so langsam ein paar Partner suchen um ein Bißchen mehr Öffentlichkeit für dieses Thema zu schaffen, also die Gesetzesänderungen die so europaweit eigentlich passieren. Also es war wirklich der Grund für mich hierher zu kommen"

Sabiene Moebs studiert Wirtschaftsinformatik. Sie begreift sich als politisch bewußten Menschen. Datenschutz und Netzbürgerrechte haben sie schon immer interessiert, in der aktuellen Situation hält sie es für notwendig selbst etwas zu tun.

Sabiene Moebs: "Ja aus meinem Umfeld kriege ichs einfach mit, dass viele Leute das gar nicht richtig registriert haben, das auch auf die Ebene schieben, so ich hab ja nichts zu verbergen. Vielleicht haben sie ja doch was zu verbergen und wissen es nur noch nicht. Ich sehe wirklich das Problem, dass die Gesetze überhaupt nicht diskutiert werden, dass die grundlegend eingreifen in die Grundgesetze, aber die Leute merken es gar nicht. Die merken es erst wenn sie an die neue Grenze stoßen, die Mauer die da vorher nicht da war."

Sabine Moebs möchte vor allem mehr Problembewußtsein schaffen. Denn betroffen von den Gesetzen und Maßnahmen ist früher oder später jeder.
Viele der Hacker auf dem Kongress verstehen sich selbst als Techniker, die sich nicht berufen fühlen, gesellschaftspolitische Auswirkungen oder Veränderungen zu beurteilen. Den politisch Interessierten fehlt umgekehrt oft das technologische Know How. In einer stark spezialisierten Gesellschaft scheint es selbst bei vorhandenem Problembewußtsein schwierig zu sein, die komplexen Zusammenhänge zu durchschauen.

Volker Birk: "Ich denke durchaus, dass es mit den technischen Möglichkeiten zu tun hat die es jetzt heutzutage einfach gibt. Ich hab ja hier auf dem Kongress einen Vortrag gehalten, über Biometrie und die Möglichkeiten zur Identifizierung von Personen mit biometrischen Meßverfahren und über Datenbankverfahren, wie man effizient, im Vorbeilaufen quasi, Leute identifizieren kann, und das datenbanktechnisch auswerten kann, das sind eben Techniken die gab es vor kurzem noch gar nicht."

Volker Birk arbeitet für das eigene Softwareunternehmen. Auch er ist zum Kongress gekommen, um aktiv zu werden.

Volker Birk : "Auch der große Internet-Hype ist natürlich eine technische Endwicklung, die sicherlich nicht seit gestern stattfindet, oder seit dem 11. September, die aber sicherlich eine Entwicklung ist, die das ganze vergrößert. Ich sag mal 1983 hat es beinahe einen Volksaufstand gegeben, gegen die Volkszählung. Heute finden die Leute es schick, wenn ihr Goldhamster Durchfall hat, das auf ihrer Homepage im Internet zu veröffentlichen, wohlgemerkt in einer hierarchischen Datenbank, die problemlos maschinell auslesbar und auch auswertbar ist."

Gemeinsam mit Anderen haben Volker Birk und Sabine Moebs auf dem Chaos Communication Congress eine Gruppe gegründet, die gegen Versuche das Internet zu zensurieren aktiv werden will. Der Anlassfall ist der Versuch regionaler Behörden in Düsseldorf, die Internetprovider vor Ort dazu zu zwingen, bestimmte, in den USA gehostete Netzinhalte zu sperren. Betroffen sind Neo-Nazi-Seiten aber zum Beispiel auch das höchstens geschmacklose Portal rotten-dot-com. Für die Aktivisten handelt es sich bei dem lokalen Vorstoß der Behörden um einen Versuchsballon. Ist die Maßnahme erfolgreich, könnte sie sehr schnell auf ganz Deutschland, und auch auf ganz andere Inhalte ausgeweitet werden.

Auf dem Kongreß soll es auch um die internationale Zusammenarbeit bestehender NGOs im Bereich Datenschutz und Netzbürgerrechte gehen. Auch Österreich ist prominent vertreten. Herbert Wilfing vom Verein quintessenz betont, dass internationale Zusammenarbeit den nationalen Datenschutzorganisation schon immer ein Anliegen war. In letzter Zeit wird sie aber zu einer zwingenden Notwendigkeit.

Herbert Wilfing: "Insbesondere dann, wenn man die Möglichkeit hat, wie den Status den sich Quintessenz mühevoll in Jahren erarbeitet hat, Ansprechpartner von Behörden zu sein, und man in einem Austausch dann auch seine Wünsche bekannt gibt, und diese eigentlich positiv eingestellten Leute meinen, dass sich das außerhalb ihres Kompetenzbereiches abspielt, weil sie sich danach richten müssen auf Grund von bilateralen Verträgen, auf Grund von EU-Richtlinien eben diese Sachen zu verwirklichen."

Dass sich eine vernetzte Welt nur schwer durch die nationale Gesetzgebung regulieren läßt, ist mittlerweile auch denen klar, die die einschlägigen Gesetze machen. Kein Wunder also, dass die Politik in diesem Bereich zunehmend auf europäischer Ebene formuliert wird. Die nationalen Gesetzgeber setzen oft nur mehr im Detail um, was in Brüssel beschlossen wurde. Den NGOs bleibt nichts anderes übrig als nachzuziehen.

Erich Möchel : "Der 11. September hat auch das beschleunigt. Es hat hier eine relativ groß angelegte Sitzung gegeben, von verschiedenen Cyberright-Organisationen, und man ist überzeugt, dass man jetzt das, auf gut österreichisch "derhebt", was man vorher nicht so leicht heben hatte können. Sprich ein gesamteuropäischer Dachverband der sich diesen Themen speziell widmet."

Erich Möchel ist Mitarbeiter der ORF Futurezone und ebenfalls bei quintessenz aktiv. Unter dem Titel "Treffen europäischer Netzaktivisten: Auf dem Weg zur europäischen Privacy und Cyberrights Union" kamen die Vertreter von Organisationen aus verschiedenen europäischen Ländern auf dem Kongreß zusammen. Gemeinsam wurde versucht, den Weg zu eben dieser Union vorzuzeichnen.

Herbert Wilfing: "Das waren heute natürlich verschiedene Vorstellungen, von verschiedenen Ländern, und so gewisse Länder haben natürlich immer ihre Eigenheiten. Die Engländer die das alles strukturiert haben wollen, also im besten Sinne dieses Wortes, treffen auf den österreichischen Anarchismus, der viel mehr Wert darauf legt, daß Dinge belebt werden, als auf irgendwelche Strukturen oder nur Gelder aufzutreiben"

Wenn alles klappt wird es schon bald ein fixes Büro in Brüssel oder sonstwo in Europa geben. Ein Stab bezahlter Experten soll dann als Herz der neuen europäischen Organisation dazu beitragen, die "Cyber-Menschenrechte im Informationszeitalter" zu wahren. Das Büro soll Öffentlichkeitsarbeit machen, aber vor allem auch Ansprechpartner für die europäischen Politiker sein.
Und wenn sich der Chaos Computer Club mit seinen Vorstellungen durchsetzt, ist die breite Masse zumindest bei der Finanzierung der neuen Organisation gefordert. Nur eine möglichst große Anzahl zahlende Mitglieder garantiere Unabhängigkeit und Flexibilität. Auch sonst werden die Experten in den NGOs wohl auf breite Unterstützung angewiesen sein.

Herbert Wilfing: "Es ist, glaube ich zu viel von uns verlangt, wenn man die gebratenen Tauben am Tisch haben will, und wir leben auch von verschiedene Einflüssen, und das macht die Sache ganz interessant. Das heißt, um den Raum zu erweitern oder Themen kreativ und mit Phantasie darzulegen, ist es glaube ich schon für jeden wichtig sich damit auseinanderzusetzen. Es soll ja nicht die große Enzyklopädie des Datenschutzes werden."

Österreichischer Rundfunk (ORF), 20. Januar 2002