Neulich noch auf der Cebit, als Beta-Version für Fach-Tester (darunter die Damen Griefhahn, Schröder und Süßmuth), demnächst in unserer Stadt, für alle: ein MedienCafé mit offenen Computerarbeitsplätzen, virtuellen Zeitungen, echt ergonomischer Bestuhlung, einem globalen Dorf-Springbrunnen im Innenhof, stadtbekannten Computerkünstlern in Festanstellung - sogar Meditationsraum und Krabbelstube sind beim Innenarchitekten schon fertig geplant. Ja, das Mehrmillionenprojekt könnte, wenn es kommt und klappt, sogar ein gesellschaftsförderliches Dienstleistungsprodukt werden, das sich via Franchise in ganz Europa weitervermarkten ließe. Eine Art McData für Info-Bürger soll es werden, eine wissenschaftlich begleitete Raststätte an der Datenautobahn, ein dienstleistungsfähiger Knoten im weltweiten Kommunikationsnetz und eine vollökologisch möblierte Schnittstelle zur wirklichen Welt dazu.
Wenn wir Zeit hätten, sagt padeluun und unterbricht sich für einen Anruf von "Hallo Ü-Wagen" - wenn wir die Zeit hätten, uns drum zu kümmern, hätten wir längst die Bielefelder Luft-Werte alle drei Minuten aktuell im Netz, für jeden abrufbar. Derweil spart das hier zuständige Wasserschutzamt gerade auf einen videotexttauglichen Fernseher, damit es einen möglichen lokalen Ozon-Alarm nicht erst mit dem Fax vom Landesumweltamt 24 Stunden verspätet auslöst. So hängen Demokratie, Technik, Umwelt, Geld, Berühmtheit und Kommunikation zusammen.
Und so kriegen padeluun, Mit-Medien-Künstlerin Rena Tangens und ihr Ideenträgerverein FoeBuD mit Zeitnot, Kompetenz und Kontakten (vom Umweltminister bis zum Bertelsmann will ständig jemand verantwortliches was von iohnen wissen), die große Chance sich dem Satzungszwecken (Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs) demnächst im eigenen offenen Haus zu widmen. Und unter anderem weil der konnektionistische Prozessor-Club aus Art D'Ameublement (Pseudo-Galerie von padeluun und Rena Tangens), FoeBuD und Zerberus (Mailbox-Software, demnächst auch unter Windows) in grüner Vorzeit am Bielefelder Umweltzentrum seine ersten Erfolge hatte (die 2. Mailbox in Bielefeld stand dort, das Nitratarchiv liegt dort), deshalb soll das MédienCafe auch als Umwelt-MedienCafé eröffnen. Mit dem nicht nur taktischen, sondern auch richtigen Gedanken, daß eine reine Umwelt-Informations- Agentur nur einen gebremsten Wirkungsgrad hätte. Müsse man aber nicht Thema und Antwort schon beim Betreten des Ladens kaufen, dann könnte eine Kommunikations-Agentur in der weiteren Umwelt erfolgreich werden. In etwa 5 Jahren, so umfangreich ist das Projekt dimensioniert. Und aufs Halbjahr genau steht im Plan, wann das Personal eingestellt wird (zum Teil auch wer, alles bekannte Könner), wann die Lehren aus dem Testbetrieb ins Alltagsgeschäft einfließen - und wann Al Gore zur Visite erscheint.
Losgehen kann es, falls die Anträge durchgehen, die erste Förderung, die FoeBud je wollte, schon diesen Winter. Örtlichkeiten gäb's genug in Bielefeld, findet padeluun, vorne Fußgängerzone, Glasfassade - und guter ÖPNV-Anschluß. Schon wegen der umweltverträglichen Erreichbarkeit des Verkehrsknotenpunkts. Und größer als das ansonsten ideale Ratscafé. Weil es ja nicht reiche, einen Computer aufzustellen, um ein elektronisches Kaffeehaus zu haben. Vorgesehen sind Anschlußstellen für mitgebrachte Rechner, eine Softwarebibliothek und eine mit anderen Medien, Vortrags-, Veranstaltungs- und Seminarräume und ein kompletter "zweiter Stock", eine Denkfabrik, die in der Endausbaustufe sogar eine bundesweite MedienCaféZeitung auf echtem Papier herausgeben können soll.
Das ist weit entfernt von den simplen "Bürgernetz"-Versuchen in Los Angeles und Berlin, von denen padeluun eh nicht viel hält. Alles Spielkram, bloß miteinander zu Schwatzen könne es doch nicht sein. Da könne man ja gleich wieder das CB-Funken anfangen. Aber sämtliche Eingaben im Bundestag im Zugriff zu haben, das wäre die Zukunft. Und Leute finden, mit denen man drüber reden kann. Auf der einen Seite. Auf der anderen brauche man einfach ein sichtbares Produkt. Auch für die Idee der freien Kommunikation. Datennetze könne man eben nicht sehen. Man muß erst einen Computer einschalten. Oder ins MedienCafé gehen, wo jemand kompetentes das Einschalten ebenso übernimmt, wie das Kaffee-Kochen. Und das Schweißabtupfen beim vergeblichen Versuch, im Internet alles über Quallen und die Wasserverschmutzung zu finden. Oder die www-Seiten gewisser Stadtillustrierten.
Überhaupt: das Internet ist das genaue Gegenteil des MedienCafés, nicht nur, weil es keine virtuellen Öko-Stühle gibt ("Auf der Cebit wollten sie die uns abkaufen, Computer hatten sie alle schon, aber sie haben dann doch die Idee genommen"). Erstens teurer und schlechter als Btx, und zweitens bestenfalls ein Informationsweg - während das Umwelt-MedienCafé der festen Überzeugung ist, Information ohne Kommunikation sei umweltschädlich. Umgekehrt sind MedienCafés eher begehbare Mailboxen, der Bielefelder Prototyp sowas wie das erste echte Freiland-Experiment mit //BIONIC-Erbgut (die FoeBuD-Mailbox): Daten und Diskussionen, Selbstorganisation und Selbstverpflichtung, Effizienz und ethisches Bedenken, ein Kommunikations-Labor, eine synergetische Struktur im demokratischen Fließgleichgewicht ... wenn padeluun seinen Wichtig-Anzug anzieht und der Unternehmensberatungs- Simulator anläuft, dann kann man seine MedienCafés schon über dem Horizont sehen. Und eine glorreiche Zukunft für den kommenden Daten- Nabel beider Welten: Bielefeld. Wenn jetzt nur keiner an die falschen Knöpfe kommt.
WING
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Ultimo Sommerausgabe 1995