Schöne neue Datenwelt

Die Informationsgesellschaft biegt ab auf den Datenhighway, rast durch Glasfaserkabel und parkt in der MailBox. Hendrik Schreiber berichtet aus dem Datendickicht.

Die CeBIT war da. Unübersehbar, unüberhörbar, eben Multimedia. Zeitungen schrieben die Informations-Society (Informationsgesellschaft) herbei, Nachrichtensendungen bejubelten den Informations-Highway (Datenautobahn). Der Rummel um die CeBIT hat sich wieder gelegt, doch die Schlagwörter sind geblieben und mit ihnen die Frage: Was verbirgt sich dahinter?

Beispiel Informations-Highway (Datenautobahn). Die vom amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore so getaufte Datenautobahn ist noch nicht vollständig befahrbar, durch den europäischen Vorläufer ISDN (dienstintegrierendes digitales Kommunikationsnetz) fluten hingegen schon heute die Informationen. Mit ISDN lassen sich enorme Datenmengen (128 kBits pro Sekunde, das entspricht fünf Schreibmaschinenseiten pro Sekunde) übertragen. Videokonferenzen mit ruckelfreien Bildern sind damit möglich. Vorbei die Zeiten also, in denen die Telekom Geräte als Bildtelefone präsentierte, die in der Bildfrequenz an Diashows erinnerten.

Die wahren Schnellstraßen für Daten sind jedoch die Glasfasern. Ein einziges Glasfaserpaar überträgt gleichzeitig 30.000 Telefongespräche. Allein in Ostwestfalen-Lippe verbuddelte die Telekom bislang 2460 Kilometer Glasfaser, fast ein Viertel davon in Bielefeld und näherer Umgebung. Telefonverbindungen zwischen zum Beispiel von Bielefeld nach Herford, laufen schon jetzt über Glasfasern. Auch Krankenhäuser, Rechenzentren oder Bibliotheken sollen per Glasfaser vernetzt werden. Dienste wie Video-on-Demand (bei einem zentralen Anbieter Filme bestellen, die dann via Kabel ins Haus geliefert werden), Teleshopping oder Computerspiele würden ohne Glasfaser gar nicht erst funktionieren.

Der einfache Bürger jedoch benötigt für die meisten ihm zugänglichen Anwendungen weder ISDN noch Glasfasertechnik. Ausgestattet mit PC, Modem und normalem Telefonanschluß steht schon jetzt jedem die Tür zur schönen neuen Datenwelt offen. Wer sich diese Grundausstattung nicht leisten kann, muß leider draußen bleiben. Die soziale Ausschlußgrenze liegt bei etwa 2000 Mark.

Der Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen beweg ten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD) fordert daher, daß öffentliche Netzwerkzentren geschaffen werden. Diese sollen kostenlos von jedem Bürger genutzt werden können. FoeBuD selbst geht hier mit gutem Beispiel voran: In den eigenen Räumen, Marktstraße 18, befinden sich öffentliche Terminals der FoeBuD eigenen MailBox BIONlC. Sie bietet in erster Linie Zugang zu lokalen, nationalen und internationalen Foren (Brettern) sowie den Internet Basisdiensten News und E-Mail.

Das Besondere an freien Bürgernetzen ist, daß sie dezentral und ohne Kontrollinstanz organisiert sind. Der Zugang ist einfach, lokale Diskussionen sind möglich. Der gemeine Benutzer (im Fachjargon: User) kann unkontrolliert schreiben und lesen was er will, Ist somit gleichzeitig Konsument und Produzent von Information. Brechts Radiotheorie findet sich hier verwirklicht. Grundsätzlich könnte sogar jeder seine eigene Mailbox aufmachen und Teil des Z-Netzes werden.

Gelassenes Verhältnis zur Telefonrechnung

Hauptbenutzer freier Bürgemetze sind weniger Computerfreaks, als vielmehr Umweltschützer, Bürgerinitiativen und andere politische Vereinigungen. Ihnen kommt die dezentrale und nichthierarchische Struktur dieser Netze sehr entgegen. Der vielbemühte und ebenso ausgelutschte wie wahre Slogan global denken, lokal handeln findet hier seine Infrastruktur. Bürgemetze mit ihrer anarchistischen Struktur können den politischen Diskurs fördern, weil sie auch finanziell schwachen Gruppen die Möglichkeit zum Aufbau einer Öffentlichkeit geben. User von BIONIC müssen neun Pfennig pro Minute, einen monatlichen Mindestverbrauch von 15 Mark vorausgesetzt, berappen. E-Mails kosten, je nach gewünschter Geschwindigkeit und Zieladresse, zwischen zehn Pfennig und drei Mark. Hinzu kommen Telefongebühren in Höhe des Ortstarifs.

Anders sieht das bei kommerziellen Online-Diensten, wie zum Beispiel bei CompuServe der amerikanischen Firma H&R Block, aus. Ortstarif-Auffahrten gibt es zur Zeit nur in Ballungsräumen; vier aus zehn sind Berlin, Hamburg, München und Köln. Weitere Auffahrten sind geplant. Bislang jedoch setzt Wohnen in der Provinz ein gelassenes Verhältnis zur Telefonrechnung voraus. Hinzu kommt eine monatliche Grundgebühr von 16 Mark. Geboten werden dafür über hundert Basisdienste, wie E-Mail, Fax, das Bertelsmann Universallexikon, der 24-Stunden-Ticker der Deutschen Presseagentur, Wetterberichte, HealthNet (medizinische Datenbank), Spiele, ... »Unterhaltung wird bei CompuServe großgeschrieben.«, so die Werbung. Wohlgemerkt: Nicht Kommunikation, sondern Unterhaltung. Denn genau da liegen Markt und Mark.

Diskussionsforen gibt es zwar auch, sie werden allerdings von Moderatoren kontrolliert. Äußert sich jemand unflätig oder rechts widrig, wird er verwarnt und beim nächsten Vergehen aus der Diskussion ausgeschlossen. Dennoch versichert Nikolai Zotow, Produkt-Manager bei CompuServe: »Wir zensieren nicht.« So oder so: Diskussionsforen stellen ganz klar nicht das Hauptangebot dar. CompuServe selber charakterisiert sich als »Informationspool«.

Fortschritt, Wachstum, Geld

Online Dienste wie CompuServe sind eine, wenn nicht gar die Wachstumsbranche. Der Gütersloher Medienriese Bertelsmann stieg bereits mit seiner Beteiligung an America Online in den Info-Boom ein, das Verlagshaus Burda wird noch in diesem Jahr mit Europe Online auf den Markt drängen. Und der wächst. In den nächsten Jahren wird die potentielle Nutzerzahl von Online-Diensten in Europa auf rund 40 Millionen ansteigen, schätzt Verleger Hubert Burda. Bereits jetzt hat CompuServe weltweit 2,6 Millionen Nutzer, davon 90.000 im deutschsprachigen Raum, fur den Telekom Dienst Datex-J (vormals BTX) zahlen immerhin 700.000 Teilnehmer Gebühren und America Online vermeldete 2 Millionen User - bei einem Plus von 500.000 innerhalb der letzten sechs Wochen. Das nichtkommerzielle Internet ist dabei das Netz der Netze: Die weltweite Teilnehmerzahl wird auf rund 30 Millionen geschätzt, aber genau kann das aufgrund der dezentralen Struktur keiner sagen.
Sicher ist: Immer mehr Nutzer drängen ins Internet. Bis zum Jahr 1999 soll die Zahl auf 200 Millionen steigen, so die Marktforscher.

Daß diese Entwicklung nicht spurlos an der Gesellschaft vorbei gehen kann, ist klar. Zu Hause am PC zu arbeiten und nur via Datenleitung mit dem Betrieb verbunden zu sein (Telearbeit), könnte Alltag für viele Arbeitnehmer werden. Dabei sind die Nebenwirkungen noch kaum erforscht. Willi Vogts, Bezirkssekretär der IG Medien, sieht jedoch noch keinen dringenden Handlungsbedarf: »In der Zeitachse, die wir heute überschauen können, wird sich Telearbeit in Deutschland nicht so durchsetzen, wie in anderen Ländern.« Mitte des Jahres werden IG Medien und Postgewerkschaft genaue Positionen zur Telearbeit erarbeiten. Das dringendste Problem ist dabei die soziale Isolation von Telearbeitern. Ein gesetzlicher Rahmen für die schöne neue Datenarbeitswelt fehlt bislang.

Kontakt:
FoeBuD,
Marktstraße 18,
33602 Bielefeld,
Telefon: 0521/175254

Glossar:

Online/Offline
Eine Verbindung über eine Datenleitung gilt als Online, wenn sie über die gesamte Dauer der Nutzung gehalten wird. Dienste wie Datex-J oder CompuServe lassen sich Online nutzen. Eine Recherche, ein Spiel oder eine Konferenz sind dabei typische Anwendungen. Arbeitet der Nutzer erst am eigenen PC etwas aus, das er dann später kompakt in eine MailBox, ein anderes Netz oder einen anderen Computer schickt (zum Beispiel einen Brief), so arbeitet er Offline.

Eine MailBox ...
...(engl. Briefkasten) ist ein Computer oder eine Computeranlage, die rund um die Uhr telefonisch von anderen Computern erreichbar ist. In ihr lassen sich zum Beispiel Nachrichten und Programme für andere Nutzer hinterlegen. Dies kann öffentlich (innerhalb von Brettern oder Foren) aber auch privat (in ein Postfach) geschehen. MailBoxen wie die Bielefelder BIONIC arbeiten auch als Vermittlungspunkte. So werden zum Beispiel Nachrichten aus Sarajevo über BIONIC an Empfänger in aller Welt weiter geleitet.

Das Modem ...
...ist das Gerät, welches zwischen Telefonleitung und Computer-geschaltet wird. Es ist damit die Zugangsvoraussetzung zur Datenautobahn. Modem ist die Kurzfomm für Modulator/Demodulator. Hinter dieser kryptischen Bezeichnung verbirgt sich die Fähigkeit, Computerdaten in Töne und umgekehrt zu verwandeln und somit übertragungstauglich zu machen.

E-Mail ...
...heißt in voller Form electronic mail, was nichts anderes als elektronische Post bedeutet. Postfächer in MailBoxen werden mit E-Mail gefüllt. Die Adresse von Bill Clinton lautet zum Beispiel: president@whitehouse.gov, die von Zukunftsminister Jürgen Rüttgers: minister@bmbf.bund400.de

Internet ...
..ist das größte Datennetz der Welt. Ursprünglich diente es nur zum Datenaustausch zwischen amerikanischen Universitäten. Mittlerweile sind Universitäten auf der ganzen Welt angeschlossen und auch private Nutzer können zum Beispiel via BIONIC oder CompuServe Zugang zum Internet erlangen. Besonders häufig genutzt wird der Internet-Basisdienst E-Mail. Das Internet ist nicht kommerziell.

Eine Datenbank ...
...ist ein elektronisches Nachschlagewerk. In ihm werden Daten zu einem oder mehreren Themenkomplexen gesammelt. HealthNet zum Beispiel ist eine medizinische Datenbank mit Tips zu Sport, Fitness und Ernährung. Ein anderes Beispiel ist das elektronisch gespeicherte Bertelsmann-Lexikon.

Stadtblatt, 16. März 1995