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Kontrolle als Happening

Die Überwachungsgesellschaft in den Künsten: "CTRL (Space)" im ZKM war ein Pubiikumsmagnet

"Einen solchen Andrang haben wir seit Jahren bei keiner Ausstellung erlebt", bilanziert Carmela Thiele. Täglich kann die Sprecherin des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) einen neuen Rekord an verkauften Billets registrieren. Und wenn jetzt am Sonntag die Exposition "CTRL (Space)" zu Ende geht, werden diese weltweit erste Museumsschau zur Überwachungsgesellschaft (wir berichteten) mindestens 40000 Neugierige durchstreift haben. Das Thema der sich massenhaft ausbreitenden Kontrollkameras zieht, wie man sieht, das Publikum.

Auch die Resonanz in den Medien ist eindrucksvoll. Eine große Zahl von Journalisten begutachtete das von dem New Yorker Medienwissenschaftler Thomas Levin konzipierte Event: Arbeiten von 50 Künstlern aus den Bereichen Video, Malerei, Fotografie, Film und Internetgestaltung, die sich mit der Umwandlung des Menschen vom freien Subjekt zum überwachten Objekt und mit der "panoptischen Gesellschaft" auseinandersetzen.

Kann Kunst politische Wirkung entfalten? Immerhin zielt ja die Beschäftigung mit der Überwachungskamera und generell der elektronischen Kontrolle auf einen zentralen Nerv der heutigen Gesellschaft: auf die Transformation des Lebens in einen "control space". Medienkünstler Padeluun erklärt recht selbstbewusst: "Sicher besteht die Gefahr, dass die Kulturschaffenden Hofnarren bleiben. Aber ohne deren Engagement stünde es um die kritische Auseinandersetzung mit der Überwachungsgesellschaft noch schlechter."

Padeluun und seine Kollegin Rena Tangens managen die Bielefelder Initiative FoeBuD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs): Über diverse Aktionen mit Hilfe moderner Medientechnologien thematisiert diese Assoziation seit Jahren künstlerisch den massiven Ausbau der elektronischen Kontrolle und macht alljährlich Schlagzeilen mit der Verleihung des "Big Brother Award" an Protagonisten der Überwachungsgesellschaft in Politik und Wirtschaft. Zu den "Würdenträgern" zählen etwa Innenminister Otto Schily und Bahnchef Hartmut Mehdorn.

Der demokratische Nutzeffekt des künstlerischen Tuns

Aus Sicht von Thilo Weichert, Präsident der Deutschen Vereinigung für Datenschutz und stellvertretender Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein, kann man die Rolle von Künstlern beim Widerstand gegen die "controlsociety" gar nicht hoch genug einschätzen: "Die Bürgerrechtsbewegung ist ohne die Mitwirkung der Kulturschaffenden und ohne deren Resonanz in der Öffentlichkeit gar nicht vorstellbar." Weichert verweist zum Beispiel auf ein Happening in Kiel: Angesichts der Anti-Terror-Gesetze nahmen Künstler Passanten die Fingerabdrücke und steckten ihnen Kaugummi in den Mund, um an Gen-Daten zu kommen - spielerisch fiktiv natürlich.

Solche Aktionen sind mittlerweile häufiger zu beobachten. So veranstalten die New Yorker "Surveillance Camera Players" vor Videoüberwachungsanlagen zwecks Veralberung so manche Performance und gehen damit auch in Großbritannien auf Tournee. In Berlin baute Martin Kaltwasser einen Überwachungsturm auf und installierte im U-Bahnhof Alexanderplatz Fernrohre, durch die sich Fahrgäste gegenseitig observieren konnten. Die Pariser Macher der "Orwell-Partys" wurden mit dem Prix Voltaire ausgezeichnet.

Thilo Weichert über George Orwells Roman "1984": "Das ist nicht nur Literatur, dieses Buch hat auch eine ungeheure politische Sprengkraft." Zur Finissage der ZKM-Schau "CTRL (Space)" gehört jetzt auch eine zweitägige Marathonlesung von "1984": Der Karlsruher Harald Schwiers trägt das Werk komplett vor. FoeBuD richtet regelmäßig Diskussionsforen aus. Im Umfeld der Vereinigung bildeten sich Internet-Chatrooms zur Überwachungsgesellschaft. Inzwischen fragen Unternehmen bei FoeBuD an, wie man sich beim Datenschutz verhalten müsse, um den "Big Brother Award" nicht zu erhalten - da ist der demokratische Nutzeffekt künstlerischen Tuns unmittelbar überprüfbar.

Karl-Otto Sattler

© WWW-Administration, 21 Jan 03