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Gibt es Bielefeld?

...und andere offene Fragen beim Jahrestreffen des ChaosComputerClub

VON HELMUT MERSCHMANN

Reges Gewusel herrscht im Haus am Köllnischen Park in Berlin-Mitte. Zum 16. Mal jährt sich der Kongress des ChaosComputer-Clubs (CCC). Vor den Kassen hat sich eine lange Schlange gebildet. Auf den Tagesausweis kann man einen frei wählbaren Namen schreiben - Anonymität ist Hacker-Sitte. Leute, die ihren Computer auf dem Arm tragen, eilen von draußen herein und durchbrechen die Schlange, um schnell noch einen der begehrten Plätze im Hack-Center zu ergattern.

Dort hocken bereits 500 Computer-Freaks, haben sich ins Internet eingeloggt oder programmieren an irgendwelchen geheimnisvollen Dingen. Zopfträger von 14 bis 40 beherrschen das Bild. Auf ihren schwarzen Sweatshirts prangt oft der Slogan "Alt + F4", der Befehl, mit dem man die verhassten Programme von Microsoft ausschaltet.

Die wenigen anwesenden Frauen haben sich in einen separaten Raum zurückgezogen: "For Webgirls only!'' Gleich am Morgen wurde das Landeskriminalamt vorstellig und behinderte die Aufbauten, wie Andy Müller-Maguhn, Vorsitzender des Clubs, in einem Workshop verrät: Der CCC und das LKA sind wie Feuer und Wasser - so will es das Klischee.

Die Moral der Hacker

Um solche Klischees innerhalb der Kultur der Datenreisenden, um die Mentalität unter Hackern in der Auseinandersetzung mit der Außenwelt, ging es bei dem Workshop von Müller-Maguhn mit dem schönen Titel "Fnords Diplomatie". Fnords? Das sind "kulturraumspezifische Empfindlichkeiten", durch die sich eine soziale Gruppe wie etwa die der Hacker definiert. Genauso wie "LKA" oder "Verfassungsschutz" Reizwörter im Bewusstscin eines jeden aufrechten Hackers darstellen, so herrschen auch auf der Gegenseite entsprechende Klischeevorstellungen vor. Fnords prägen somit die Moral der Hacker, die sich als demokratische Bürgerbewegung in der Netzwelt verstehen.

Wie es um dieses Selbstverständnis bestellt ist, verdeutlicht die Frae, die Müller-Maguhn bald aufwarf: Kann man Fnords bewusst einsetzen und mit den Vorstellungen der Gegenseite spielen, um höhere, eigene Ziele zu erreichen? Oder kompromittiert dies das eigene Ideal? Als Mitglieder des CCC zu einem Gespräch der Bundesregierung über die Kryptographie-Gesetze der Amerikaner eingeladen waren, brachten sie das Argument der Wirtschaftsspionage ins Spiel - ein Fnord im Auge der Regierung. Freilich konnte auf diese Weise auch der Demokratie zu mehr Recht verholfen werden. Denn nun darf jeder verschlüsseln, was das Zeug hält.

Zu solchen offiziellen Treffen werden die Hacker immer häufiger herangezogen. Im "Jahresrückblick 99", den die Sprecher des CCC abends geben, offenbart sich die ganze Umtriebigkeit des Vereins. Vom Bundeswirtschaftsministerium bis zu globalen Konzernen, von der Brüsseler EU-Kommission bis zur Kieler Sommerakademie Datenschutz - überall hat der CCC seine flinken Finger im Spiel. Teils aus Interesse, teils aus Beratungsnot, teils als Alibi werden die Hacker eingeladen und bemühen sich, ihre Standpunkte zu vertreten.

"Die Leute fangen langsam an, auf uns zu hören", frohlockt Frank Riga auf dem Podium. Auch wenn Veranstaltungen wie ein Seminar der Bertelsmann Stiftung zum Thema Jugendschutz eher skeptisch verfolgt werden: Hier würden Werte von der Industrie geschaffen, "weil die Politik angeblich versagt hätte".

Keine Angst mehr vor Big Brother

Die Welt der Hacker ist nach wie vor eingeteilt in Gut und Böse. Als Skandal wird empfunden, dass Begriffe wie "Überwachungsstaat" und "Big Brother" keinen allgemeinen Sturm der Entrüstung mehr hervorrufen. Dabei sei die Video-Überwachung im Londoner Stadtraum längst so weit, einen Abgleich mit der Lichtbildkartei der Polizei automatisch und in Echtzeit vorzunehmen. Grund genug, auf dem dreitägigen Kongress über "Techniken professioneller Spionage", über Biometrie-Verfahren und Kopierschutz. aufzuklären. Auch technische Sessions zu Themen wie Programmierung, Kryptographie oder Geldkarten dürfen nicht fehlen.

Immer steht auch die Lebensweise der Hacker im Zentrum, ihre Kultur. Sie wird auf einer Veranstaltung wie dem Kongress nicht einfach nur praktiziert, sondern eben auch beschworen und reflektiert. Passenderweise hielt man einen Workshop zu den vielen umgreifenden Verschwörungstheorien ab, an denen ja auch diese Szene nicht gerade arm ist.

Regenwürmer, die den Humus unterwandern, der durch einen Einzeltäter verübte Mord an John F. Kennedy wie der Selbstmord der Monroe, die Illuminaten oder Apollo 11, selbst "Bielefeld", so zählten die Teilnehmer auf, könnten alles nur Behauptungen sein, unbewiesene Hypothesen. Zu Fragen sei hingegen, so Diskussionsleiter Matthias Rehkop, wozu Verschwörungstheorien dienen und wie man sie sich bastelt.

Dem will der CCC offenbar selber nachkommen. Zumindest weist sein Umgang mit den Vorfällen um Tron - einen im Oklober 1991 ums Lehen gekommenen jungen Hacker, dessen Tod nicht aufgeklärt ist -selbst Züge einer Verschwörungstheorie auf. Wozu? Aus "Eigeninteressen", zwecks "Gruppenbildung" und zur "Steigerung des Ansehens", so lauteten die Kategorien der Analyse am Nachmittag, die freilich auch auf diesen Fall anzuwenden wären.


Helmut Merschmann

Berliner Zeitung


© WWW-Administration, 21 Jan 03