10 Jahre Chaos Computer Club

CHAOS IN DER KRISE

Nach 10 Jahren Kampf für "weltweite Kommunikationsfreiheit" steckt der "Chaos Computer Club" in der Krise - sagen Mitgründer. Die Stimme im Telefonhörer gibt sich gleichmütig, klingt aber doch ein wenig resigniert: "Wir haben zehn Jahre positive Arbeit gemacht, aber es ist wie mit Gorbatschow: Man muß wissen, wann man abzutreten hat!' Resignative Worte von einem, der es wohl beurteilen kann- Jürgen Wieckmann (35), einer der Mitgründer des berühmten Chaos Computer Club (CCC). Vor zehn Jahren wurde der CCC als Informationsforum für Hacker gegründet, für Computerfreaks also, die als engagierte "Datenreisende" per Modem und Telefonleitung in fremde Rechner und Computernetze eindringen. Doch im Gegensatz zu normalen Hackern trieb die CCCler nicht nur das technische Abenteuer zu ihren Datenreisen, immer war auch ein aufklärerische Element dabei. Bei ihren Aktionen arbeiteten die CCCler immer nach dem gleichen Muster. Sie knackten angeblich todsichere Computerschutzsysteme, veröffentlichten die Aktion und traten auf diese Art. für mehr Datenschutz und Datensicherheit ein.

Bei ihrem ersten Coup (eine "Hack", wie es die Szene nennt) knackten die CCCler 1984 das Sicherheitssystem der Post-Mailbox Btx. Zwei Hacker des CCC, der damals selbst Btx-Anbieter war, konnten sich durch eine Manipulation der Btx-Rechner als Hamburger Bank ausgeben, die gleichfalls Btx-Teilnehmer war. In dieser elektronischen Verkleidung riefen sie per Programmroutine während einer Nacht immer wieder die Btx-Seite des CCC auf, und jedesmal wurde seinem Btx-Konto die Benutzungsgebühr für diese Seite gutgeschrieben. Der Reingewinn aus diesem Hack betrug zwar nur bescheidene 135 Mark, doch hatten die Hacker damit bewiesen, daß man das Btx-Sicherheitssystem austricksen konnte.

Nach dieser Aktion wurde der CCC schnell zur Vermittlungsinstanz für alle Hacker, die in Hochsicherheitsrechner der Wirtschaft und der Wissenschaft eingedrungen waren und anschließend kalte Füße bekommen hatten. Wieckmann: "Wir wollten die Jungs aus dem Schußfeld holen. Das wa. ren schließlich keine Kriminellen, die wollten auf Mißstände aufmerksam machen!'

Die höchsten Wellen schlug der NASA-Hack: Freaks hatten eine Achillesferse des Computer-Sicherheitssystems der US-Raumfahrtbehörde entdeckt, durch die sie in den NASA-Datenbeständen walten und schalten konnten. Sie baten den CCC um Vermittlung, um nicht als Kriminelle hinter Gitter zu wandern. Doch richtig heiß wurde die Sache erst, als drei andere Hacker über die NASA-Connection Informationen für den ehemaligen - sowjetischen Geheimdienst KGB anschafften. Wieckmann: "Da merkten wir, daß die Sache eine Nummer zu groß für uns wurde."

Als dann auch noch 1987 die französische Polizei den CCCIer Steffen Wern‚ry verhaftete und für vier Monate in Untersuchungshaft. steckte, weil er angeblich Philips-Rechner ausspioniert habe, zogen die CCCIer den Schlußstrich, Wieckmann: "Wir konnten keine Clearing-Stelle für Hacker mehr sein." Danach hat der CCC nach Ansicht der Gründerväter keine neue Aufgabe mehr gefunden, sagt Wieckmann: "Der CCC lebt nur noch von dem Mythos seiner früheren Hacker-Aktionen."Heute scheine sich, so Wieckmann, die Mitgliedschaft nur noch aus Vereinsmeiern (Wern‚ry: "Lallköpfe") und Technofreaks zusammenzusetzen, Für die Technofreaks sei das sogenannte Phonephreaking typisch (dabei kann man mit einem Computer durch Manipulation der Post-Computer kostenlos rund um den Globus telefonieren. Wieckmann dazu: "Die haben nur Bock auf Technik, die denken nicht darüber nach, was passieren kann, wenn man irgendwelche Bits in diesen emplindlichen Informationsystemen umbiegt!"

Mit dem aufklärerischen Moment ist es nach seiner Ansicht endgültig vorbei. Aber vielleicht sehen die alten Männer des CCC die Lage auch zu düster. Auf dem 8. Kongreß des Clubs, der Dezember letzten Jahres stattfand, schien der alte Geist des Chaos quicklebendig zu sein. Kritisch, anarchistisch und ein bißchen abgedreht wie eh und je waren die Arbeitsgruppen des Kongresses. Schönstes Themenangebot war vielleicht die Gesprächsrunde "Feministisches Computerhandling". Programmankündigung "Diesmal sind die Männer ausgeschlossen."

KARSTEN WEIDE